Foto: Sandra Ratkovic

Berlin, Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen

Viele Wissenschaftlerinnen wirkten und wirken in Berlin. Dennoch werden sie öffentlich weniger wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen. Mit Stadtbewohner*innen wollen das Berlin Institute of Health und die Berliner Senatskanzlei die Wissenschaftlerinnen durch Edit-a-thons sichtbarer machen. Im Gastbeitrag erklärt Projektkoordinatorin Carmen Kurbjuhn das Vorgehen.

Wissenschaftlerinnen bewegen Berlin – zahlreiche hervorragende Frauen waren oder sind in Forschung und Wissenschaft in Berlin tätig. Unsere Hauptstadt hat heute bundesweit den höchsten Anteil an Frauen in der Wissenschaft1 und wird vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller als „Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen“ bezeichnet. Doch, wie in so vielen Bereichen des öffentlichen Wirkens, wird auch an weibliche Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft seltener erinnert, und sie erfahren auch seltener die ihnen gebührende Sichtbarkeit. Gemeinhin werden sie weniger wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen und das über Grenzen hinweg2. Ein Beispiel ist Dr.in Cécile Vogt3. Sie lebte und forschte von 1902 bis 1937 in Berlin und war eine der Begründer*innen der modernen Hirnforschung. Sie wurde dreizehnmal für den Nobelpreis nominiert, doch erhalten hat sie ihn nie4. Einen Wikipediaeintrag über sie gab es bislang nicht. 

„Wenn Frauen etwas erreichen, werden sie viel weniger gewürdigt als Männer“, schreibt Minette Lontsie, Aktivistin bei Wiki Loves Women5. Mit dem Citizen-Science-Projekt Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen wollen das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und die Senatskanzlei von Berlin daher gemeinsam mit der Stadtgesellschaft Frauen in der Wissenschaft mit Bezug zu Berlin sichtbar machen. Dabei ist das Projekt eine Einladung zum Mitmachen.       

Wir setzen da an, wo viele Menschen nach Informationen suchen: Einträge in die Wikipedia, der weltweit größten Enzyklopädie. In der Regel ist zu wenig über das Wirken und Leben von Wissenschaftlerinnen im Internet zu finden, wie am Beispiel von Cécile Vogt sichtbar. Sie kennen vielleicht Hermann von Helmholtz und Rudolf Virchow? Aber kennen Sie auch Naika Foroutan oder Bénédicte Savoy? Selbst auf Wikipedia handeln nicht einmal siebzehn Prozent der biografischen Einträge von Frauen und Artikel über Wissenschaftlerinnen sind selten6. Dieses Ungleichgewicht möchten BIH und Senatskanzlei mit seinen Berliner Edit-a-thons ändern und somit die Geschlechterkluft in der deutschsprachigen Wikipedia durch neue Wissenschaftlerinnenbiografien oder Überarbeitungen von vorhandenen Biografien verringern. Ziel ist es, die Wahrnehmung von Wissenschaftlerinnen aus Geschichte und Gegenwart durch die Wikipediaeinträge zu stärken, ihre Leistungen für den Wissenschaftsstandort Berlin zu würdigen und ihnen somit eine nachhaltige Präsenz in der kollektiven Erinnerung (zurück) zu geben – als Role Models. 

In den drei mehrtägigen Edit-a-thons, sogenannten Schreibwerkstätten, sind Hobbyforscher*innen aufgerufen, auf Wikipedia aktiv mitzuschreiben, Lebensläufe von Wissenschaftlerinnen aus allen Fachdisziplinen zu recherchieren und Beiträge zu erarbeiten oder vorhandene weiterzuentwickeln. 


Dabei wird recherchiert, diskutiert, editiert, geschrieben, begutachtet, hochgeladen und gelacht. In Einführungsworkshops erhalten Teilnehmer*innen dazu das Handwerkszeug von erfahrenen Wikipedianerinnen, wie z.B. Textstruktur, Aufbau des Literaturverzeichnisses, Recherchetipps, Infos zu Einzelnachweisen und Sekundärliteratur. Gemeinsam oder auf eigene Faust können die „Neu“-Wikipedianer*innen Frauenbiografien verfassen oder überarbeiten. Ihnen steht zu jeder Zeit auf Wunsch jemand zur Klärung von Fragen zur Seite.

Während der Edit-a-thons recherchieren und schreiben die Teilnehmenden Wikipedia-Einträge von Berliner Wissenschaftlerinnen. Foto: Sandra Ratkovic

Zur Erleichterung gibt es auf der Wikipedia-Projektseite eine Liste von Wissenschaftlerinnen, die den Wikipedia- und Projektkriterien7 entsprechen, wie Professorinnentitel und Wissenschaftspreise sowie Berlinbezug beispielsweise, aus denen die Teilnehmer*innen Biografien auswählen können. Zudem besteht die Möglichkeit, eigene Vorschläge mitzubringen.

Die Edit-a-thons sind nach unterschiedlichen Zielgruppen unterteilt: breite Öffentlichkeit, Senior*innen und Schüler*innen ab der 10. Klassenstufe. Haben wir am BIH den ersten Edit-a-thon noch online durchgeführt, was uns nicht nur Teilnehmer*innen aus Berlin, sondern aus ganz Deutschland und sogar aus Frankreich beschert hat, sind die weiteren Veranstaltungen Präsenztermine. Die Teilnehmer*innen möchten wir auf das Thema der unzureichenden Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen aufmerksam machen und sie für das Thema sensibilisieren. Neben der Partizipation am kollektivem Gedächtnis der Gesellschaft am Beispiel der Sichtbarkeit von Berliner Wissenschaftlerinnen mitzuwirken, spielt hierbei der Netzwerkgedanke und das Kennenlernen von Menschen mit gleichem Interesse eine wichtige Rolle.

Gerade Senior*innen möchten wir den Zugang zu Wikipedia erleichtern, indem sie gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen teilen, ihren Horizont erweitern, sich zu  Schreibgruppen zusammenfinden, die auch nach unserer Veranstaltung gemeinsam aktiv sind oder sich Wikipediaschreibgruppen anschließen.

In Einführungsworkshops wird den Teilnehmenden das Vorgehen beim Edit-a-thon erklärt. Foto: Carmen Kurbjuhn.

Bei den Schüler*innen möchten wir ebenfalls diesen Netzwerkgedanken stärken und dazu beitragen, die durch Corona bedingte Einschränkungen vermehrt verlorene soziale Kompetenz wieder zurückzugewinnen, durch Gemeinschaft, Austausch und gemeinsamem Lernen. Parallel möchten wir ihnen Wikipedia über Recherchezwecke hinaus näherbringen und ihnen als Digital Natives eine Perspektive aufzeigen, sich in dem Medium zu engagieren, das sie kennen – das Internet. Warum dann nicht, indem sie Wissenschaftlerinnen ein Gesicht geben? Sie können zudem die potenziellen Wissenschaftler*innen oder Multiplikator*innen von morgen sein.

Zu den drei Edit-a-thons haben sich 84 Teilnehmer*innen angemeldet, es entstanden mehrere tausend Bearbeitungen und somit tolle Ergebnisse: 24 neu entstandene Einträge, 26 überarbeitete und 8 begonnene bzw. in Arbeit befindliche Biografien. Die Teilnehmer*innen zeigten allesamt ein hohes Engagement und sie sorgten für eine wunderbare Stimmung. Sie haben Wikipedia nicht nur anders kennengelernt, sondern auch ihre Kompetenzen erweitern können. Besuchen Sie Naika Foroutan, Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung und Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin doch einmal auf Wikipedia.

Ausgehend von den Wikipedia-Einträgen, die neu erstellt oder editiert wurden, haben wir eine Wanderausstellung mit prominenten und weniger bekannten Berliner Wissenschaftlerinnen erstellt, die vom 20.10.2021 bis zum 20.12.2021 im Roten Rathaus von Berlin gezeigt wird. Anschließend wird die Wanderausstellung an verschiedenen Orten der Stadt und in Kürze online zu sehen sein.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


Projektsteckbrief

Als Teil der Jahresaktion Wissensstadt Berlin 2021 wird das Projekt vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) mit Unterstützung der Berliner Senatskanzlei durchgeführt. Das Projekt wurde vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller initiiert.

Träger: 

Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) mit Unterstützung der Senatskanzlei Berlin

Budget/Finanzierung: 

20.000 € zzgl. Eigenmittel

Ziele: 

  • Sichtbarmachung und Würdigung von historischen und aktuellen Wissenschaftlerinnen aus allen Fachdisziplinen mit Bezug zu Berlin durch Einträge via Edit-a-thons in Wikipedia
  • Role Models aufzeigen 
  • Ausbau weiblicher Biografien / Artikel über Frauen in der Wikipedia
  • durch Teilhabe der Stadtgesellschaft den Netzwerkgedanken fördern und Kompetenzen ausbauen
  • Wanderausstellung ausgehend von den Wikipedia-Einträgen

Zielgruppen: 

  • breite Öffentlichkeit
  • Senior*innen
  • Schüler*innen ab der 10. Klassenstufe

Laufzeit:

Juni bis November 2021, 3 Edit-a-thons á 3 Tage: Juli, August und Oktober 2021

Zahlen zur Zielerreichung:

80 Plätze, 84 Anmeldungen