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„Wir wollen zum Nachdenken darüber anregen, welche Wörter wir benutzen“

Framing ist in der Coronapandemie ein präsentes Thema. Wieso das so ist und warum es sich lohnt, über den eigenen Sprachgebrauch und den anderer Menschen nachzudenken, erklärt Theresa Schnedermann vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache im Interview. 

Frau Schnedermann, der Begriff „Framing“ scheint derzeit omnipräsent. Allerdings stehen dahinter verschiedene Konzepte. Können Sie genauer erklären, was es damit auf sich hat?

Theresa Schnedermann ist wissenschaftliche Redakteurin in der Öffentlichkeitsarbeit am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Interessenschwerpunkte der Linguistin sind Schnittstellen zwischen Linguistik, Psychologie und Medizin sowie diskursanalytische Methoden. Promoviert hat sie zur Macht des Definierens im Bereich psychischer Gesundheit und Krankheit am Beispiel des Burnout-Syndroms. Foto: PicturePeople
Theresa Schnedermann ist wissenschaftliche Redakteurin in der Öffentlichkeitsarbeit am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Interessenschwerpunkte der Linguistin sind Schnittstellen zwischen Linguistik, Psychologie und Medizin sowie diskursanalytische Methoden. Promoviert hat sie zur Macht des Definierens im Bereich psychischer Gesundheit und Krankheit am Beispiel des Burnout-Syndroms. Foto: PicturePeople

Wörtlich übersetzt, steht der Begriff dafür, etwas einzurahmen. „Frames“ werden von Linguist*innen auch als „Wissensrahmen“, „Deutungsrahmen“ oder auch als „Ordnungsstrukturen von Wissen“ beschrieben. Dabei gibt es unterschiedliche Definitionen, weil verschiedene Disziplinen an dem Thema forschen. Neben der kognitiven Linguistik gibt es semantische und grammatische Ansätze, auch die Medien- und Kommunikationswissenschaft oder die Kognitionsforschung arbeiten mit dem Konzept. Deshalb kann ich Ihnen nicht die eine Definition geben, werde aber versuchen, einen linguistischen Zugang zu erläutern. Für die Linguistik in diesem Bereich ist Charles J. Fillmore von der University of California, Berkeley sehr einflussreich gewesen. Auf ihn geht die Frage zurück: „Was muss ich wissen, um eine sprachliche Form angemessen zu verwenden und andere Leute zu verstehen, wenn sie diese verwenden?“ Der Linguist Dietrich Busse gibt zur Veranschaulichung dieser Frage das folgende Beispiel: Wenn wir den Satz „Hans liest seit Stunden“ hören, dann wissen wir, dass es für diese Handlung auch einen Ort geben muss und dass diese Person irgendein Objekt liest. Wir denken: Hans liest wohl ein Buch oder eine Zeitung. Das sind die Füllungen für die Leerstelle Leseobjekt im Frame „Lesen“. Sie werden nicht genannt, aber wir denken sie uns dazu. 

Wenn wir stattdessen den Satz hätten: „Hans liest seit Stunden angestrengt“, würde dadurch auch das Frame-Element der Art und Weise befüllt. Aber es würde uns vielleicht verwundern, warum gerade diese Zusatzangabe genannt wird, wir aber nichts über das Kernframe-Element erfahren, welcher Text oder über welches Thema denn gelesen wird. Solche Fragen werden auch in größeren Frame-Analysen gestellt, die öffentliche Diskurse untersuchen: Welche Elemente eines Frames werden dominant versprachlicht? Was wird betont? Und welche anderen Aspekte werden nicht explizit benannt und stehen dadurch nicht im Scheinwerferlicht? Das wäre eine erste Erklärung, wie man in Frame-Analysen vorgeht. 

Warum spielt Framing gerade in der Coronapandemie eine so große Rolle? 

„In der Coronapandemie fällt uns das besonders auf, weil wir viele Sachverhalte, die wir vorher nicht kannten, benennen müssen.“ Theresa Schnedermann
In der Coronapandemie fällt uns das besonders auf, weil wir viele Sachverhalte, die wir vorher nicht kannten, benennen müssen. Es gibt viele Wortneuschöpfungen. Kolleginnen bei uns am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache sammeln den neuen Wortschatz rund um die Coronapandemie. Er umfasst mittlerweile schon über 1800 Einträge und wird noch weiter bearbeitet. Bei diesen neuen Wörtern wird teilweise öffentlich darüber diskutiert, ob sie zur Beschreibung der pandemischen Wirklichkeit passen. Es gibt auch in den Medien Kommentare über Sprache, die uns zum Nachdenken anregen. So ließe sich beispielsweise an den Ausdrücken erste, zweite oder dritte „pandemische Welle“ versus „Dauerwelle“ nachzeichnen, wie über die adäquate sprachliche Wissensvermittlung gerungen wurde und welche Wissenschaftler*innen jeweils welche Ausdrücke verwenden und in welcher Weise diese Begriffe von unterschiedlichen Personen und Interessengruppen aufgegriffen wurden und werden.

Können Sie ein Beispiel für Framing im aktuellen politischen Diskurs nennen?

Ganz offensichtlich ist es, wenn sich verschiedene Benennungen gegenüberstehen – wie bei „Klimawandel“, „Klimakatastrophe“ und „Klimawahnsinn“. An diesen Begriffen zeigt sich ein Spektrum der Perspektiven auf, die durch die Sprache mitgegeben werden. Es macht beispielsweise auch einen Unterschied, ob ich über „Impfung“ oder „Schutzimpfung“ spreche. Der zweite Begriff gibt einen ganz klaren Rahmen vor. Er wird zum Beispiel in öffentlichen Kampagnen verwendet, um zu zeigen, was die Impfung bewirken soll. 

Welche Beispiele für Framing zeigen sich in der Pandemie?

In der Coronakrise wurde gerade auch von Linguist*innen und Psycholog*innen beispielsweise die Worteinheit „Social Distancing“ kritisch reflektiert, und es wurde stattdessen „Distant Socializing“ vorgeschlagen. Außderdem wurde die verwendete Kriegsmetaphorik stark kritisiert. Emmanuel Macron hat gesagt: „Nous sommes en guerre“, also: „Wir sind im Krieg“. Diese Metapher haben dann auch andere verwendet, und es ging um die Frage, welche politischen Maßnahmen damit legitimiert wurden. Es ging in den sprachlich aufgerufenen Deutungsrahmen darum, dass es einen äußeren Feind gibt – das Virus und seine Mutationen wurden zunächst auch mit Ländernamen verbunden. Es gab Ausdrücke wie „die Virusfront rückt näher“. Man muss hier noch dazusagen, dass wir auch bei anderen Infektionskrankheiten kämpferisches Vokabular verwenden. Das ist erst mal die beschreibende Ebene. Man kann sprachreflexive Beschreibungen dann auch argumentativ verwenden, um Sprachkritik zu üben. Hier verlässt man als forschende Person dann die beschreibende Ebene, und diese Grenze zwischen Beschreibung und Wertung ist in der Linguistik sehr wichtig. Eine Möglichkeit, die prinzipiell jedem Mitglied einer Sprachgemeinschaft offensteht, ist es, andere Formulierungen und Deutungsrahmen zu verwenden und den Versuch zu starten, diese in den Diskurs einzubringen und durchzusetzen, also zu reframen.

Gibt es auch Framing, das eher versteckt daherkommt?  

„Wichtig ist zu sagen: Wir tauschen uns sprachlich über unsere Umgebung aus, Sprache ist Handeln.“ Theresa Schnedermann
Ja, unauffälliger sind grammatische Strukturen und bestimmte syntaktisch-semantische Merkmale von Verben. Ein Beispiel ist: „Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt oder fällt“. „Steigen“ oder „fallen“ drücken keine Handlung aus, sondern beschreiben einen Vorgang. Diesen Prozess könnte man mit dem Satz vergleichen: „Die Temperatur ist gefallen“ – also etwas, das ohne absichtliches menschliches Zutun passiert. Das stimmt gewissermaßen. Die Ansteckungen werden in aller Regeln nicht absichtsvoll herbeigeführt. Dem aber steht wiederum die Kampagne entgegen: „Schützen Sie sich und andere“. Denn in den letzten Monaten haben wir gelernt, dass bestimmte Dinge durchaus in unserer Kontrolle liegen. 

In der Linguistik gibt es die Methode, dass man einander bestimmte Ausdrücke gegenüberstellt – wie „Klimakrise“ und „Klimawandel“. Bei unserem Beispiel könnte man sich fragen: Wie sähe es aus, wenn wir die Verben „steigern“ und „senken“ verwenden? Es würde dann heißen: „Die Sieben-Tage-Inzidenz wurde gesteigert oder gesenkt“. So würde deutlicher, dass wir keine Angabe dazu machen, wer diese Steigerung oder Senkung bewirkt. Das ist ein Beispiel dafür, dass beim Framing bestimmte Aspekte genannt werden, andere nicht. Der Aspekt der absichtsvollen Handlung oder der Verantwortung wird durch die Verwendung der Vorgangsverben „fallen“ oder „sinken“ und „steigen“ nicht betont. 

Sie haben auch von „Reframing“ gesprochen, also der Veränderung von Deutungsrahmen. Inwiefern können Framing-Prozesse bewusst beeinflusst werden?

Ich weiß nicht, ob ich das pauschal mit einem abschließenden Satz beantworten kann. Es gibt empirische Studien, die beispielsweise mit einander gegenüberstehenden Formulierungen in verschiedenen Textversionen arbeiten. Diese werden Proband*innen in einem kontrollierten Experiment-Setting vorgelegt, um Framing-Effekte auf mögliche anschließende Entscheidungen oder Einstellungen der Proband*innen nachzuweisen. Je nach Kontext müsste man also Studien durchführen, was die Verwendung verschiedener Ausdrücke und Formulierungsmuster für die Sicht der Proband*innen auf einen Sachverhalt bewirkt. Aber es geht bei der Frage ja auch darum, ob Framing etwas Bewusstes oder Unbewusstes ist. Es ist auf jeden Fall so, dass wir bewusstes Framing haben, vor allem in der Politik und bei Interessengruppen. Aber es passiert auch, dass wir für etwas, das wir beschreiben wollen, ein neues Sprachbild oder eine bestimmte sprachliche Form wählen und sich diese Form durch die ständige Wiederholung verfestigt, ohne dass uns dies gänzlich bewusst ist. 

Die Frage, in welchem Maß über den Sprachgebrauch hervorgerufene Frames unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflussen, berührt Fragen der Erkenntnistheorie zum Verhältnis von Sprache, Denken und Wirklichkeit, die ich hier nicht im Einzelnen erläutern kann. Wichtig ist zu sagen: Wir tauschen uns sprachlich über unsere Umgebung aus, Sprache ist Handeln. Wie die Beispiele gezeigt haben, heben wir beim Sprechen und beim Schreiben bestimmte Dinge hervor und richten damit bewusst oder unbewusst die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte. Durch die sprachlichen Zeichen, die wir verwenden, rahmen und perspektivieren wir die Dinge, über die wir sprechen. Die Sprachwissenschaft fragt dann, mit welchen sprachlichen Mitteln wir das bewerkstelligen.

Sie arbeiten beim Leibniz-Institut für Deutsche Sprache an einem Video-Projekt zum Thema Framing. Wie sieht das aus? 

„Generell bietet die Coronapandemie uns eine Chance zum Vergleich, weil dieselben oder ähnliche Sachverhalte auch in anderen Ländern und Sprachen versprachlicht werden.“ Theresa Schnedermann
Wir planen kurze Videosequenzen, in denen wir bestimmte Formulierungen wie „die Sieben-Tage-Inzidenz fällt“ als Aufhänger nehmen und dann erklären, warum man hier von Rahmung sprechen kann. Dann fragen wir Expert*innen aus unserem Haus, die über ihre Forschung zu dem Thema berichten – zum Beispiel jemanden, der aus grammatisch-semantischer Sicht zu Verben forscht. Starten wollen wir mit einem Video, das erklärt, warum man sich in der Coronapandemie überhaupt mit Framing oder mit sprachlicher Perspektivität befassen sollte. Dann wollen wir auch gerne zeigen, welchen unterschiedlichen Sprachgebrauch es gibt – also mündliches Sprechen, schriftliche Texte oder auch strategisches Framing in Form von politischen Aussagen. Die Videos werden nach der Produktion auf unseren Twitter– und Facebook-Kanälen veröffentlicht werden.

Was ist das Ziel? 

Wir setzen dabei an den Bedürfnissen an, die wir während der Coronapandemie wahrgenommen haben. Wir haben auch von Medien viele Anfragen zum neuen Wortschatz und zur Einordnung von bestimmten Redeweisen bekommen. Kann man zum Bespiel „neue Normalität“ sagen, wenn dabei Grundrechte eingeschränkt werden? An solche Fragen wollen wir anknüpfen und dabei auch den Bogen zu einer allgemeinen Wissensvermittlung schlagen, wie sprachliches Handeln vonstattengeht und wie wir Perspektiven setzten. Es geht primär darum, Menschen zum Nachdenken über die Folgen ihres Sprechens und das von anderen zu ermutigen. Wir wollen auch ein paar sprachwissenschaftliche Beschreibungskriterien einbringen und zeigen, welche sprachlichen Mittel Frames hervorrufen und wie Linguist*innen so etwas analysieren.

Haben Sie Tipps, wie man im Alltag bewusster und kritischer mit Framing umgehen kann?

Ein Tipp wäre zum Beispiel, dass man, wenn man einen Text oder eine Überschrift in einer Zeitung liest, etwas zurücktritt, die Augen zumacht und sich fragt: Warum steht gerade dieses Wort da und nicht ein anderes? Wie könnte man denselben Sachverhalt anders ausdrücken? Man kann sich auch ein Synonymwörterbuch nehmen und überlegen: Was sind die genauen Unterschiede zwischen zwei inhaltlich ähnlichen Verben? 

Eine andere Methode, um sich sprachliche Perspektiven bewusst zu machen, ist, zu versuchen, einen Satz in eine andere Sprache zu übersetzen. Denn gerade diese Übersetzungstätigkeit macht deutlich, welche Aspekte in dem Satz benannt werden. Generell bietet die Coronapandemie uns eine Chance zum Vergleich, weil dieselben oder ähnliche Sachverhalte auch in anderen Ländern und Sprachen versprachlicht werden. So kann man mit Kontrasten und Vergleichen arbeiten. Mit sprachvergleichenden Wort-Bild-Postings arbeiten wir schon seit Beginn der Coronapandemie in unseren Social-Media-Kanälen. Ein Beispiel ist, dass „Lockerungen“ während der Pandemie im Polnischen wörtlich übersetzt „Entfrostung“ heißen. Da spielt vielleicht – anders als bei der bei uns häufig zu hörenden Bezeichnung „Lockerungen“ – auch ein Wärmeaspekt eine Rolle. Wir wollen zum Nachdenken darüber anregen, welche Wörter wir benutzen.