Viele fühlen sich nach dem Nachrichtenlesen schlechter als vorher. Aber geht es auch anders? Der Konstruktive Journalismus will dem etwas entgegensetzen. Wie das funktioniert, erklärt Lisa Urlbauer vom Bonn Institute.
Wie Medien Zuversicht vermitteln können
Frau Urlbauer, warum brauchen wir konstruktiven Journalismus?
Die Welt hat sich in den letzten 50 Jahren in vielen Bereichen verbessert. Gleichzeitig gibt es Studien, die sich den Ton von Nachrichten angeschaut haben, die sogenannte Sentimentanalyse. Und da sieht man: Während sich viele Lebensbedingungen verbessert haben, ist der Ton in der Berichterstattung negativer geworden.

Trotzdem teilen große Medienhäuser auch immer öfter positive Nachrichten. Häufig fallen darunter auch Nachrichten über wissenschaftliche Fortschritte. Ist das konstruktiver Journalismus?
Ja, wenn bestimmte Aspekte berücksichtigt werden, zum Beispiel der nötige Kontext. Es geht darum, ein vollständiges Bild zu zeigen. Wenn etwa von einem wissenschaftlichen Durchbruch die Rede ist, sollte klar werden, wo die Forschung aktuell steht. War das ein erster Test an Mäusen oder gibt es bereits Studien mit Menschen? Wie weit ist der Forschungsprozess fortgeschritten? Und wie realistisch ist eine breite Umsetzung?
Solche Informationen sind entscheidend, damit die Nachricht nicht isoliert im Raum steht. Good-News-Meldungen, zum Beispiel als Sharepics auf Instagram, sollten im begleitenden Text weiterführende Informationen enthalten, im besten Fall auch eine Quelle. Viele Redaktionen achten inzwischen darauf und erklären, wie die Meldung einzuordnen ist. Nicht nur im konstruktiven Journalismus, sondern ganz allgemein gilt, dass wir nichts besser darstellen sollten, als es tatsächlich ist.
Im Gegensatz zu “Good News” – was zeichnet konstruktiven Journalismus noch aus?
Man kann beobachten, dass es bei guten Nachrichten oft um einen Endpunkt geht. Es wurde etwas gefunden oder entschieden, das positive Auswirkungen auf viele Menschen hat. Im konstruktiven Journalismus hingegen geht es eher darum, den Weg zum Ziel zu begleiten. Das geht über kurze Nachrichten hinaus und ist ein tiefergehender Ansatz. Neben den lösungsorientierten Aspekten geht es auch darum, Perspektivenvielfalt abzubilden und konstruktive Dialoge zu fördern.

Sind Forschungsthemen prädestiniert für konstruktiven Journalismus?
Konstruktiver Journalismus und Wissenschaft haben vieles gemeinsam. Beide sind transparent mit dem, was sie wissen, und auch mit dem, was noch offen ist. Das schafft Vertrauen und gibt anderen die Möglichkeit, genau an diesen Punkten weiterzuarbeiten.
Im konstruktiven Journalismus ist es sehr wichtig, evidenzbasiert zu arbeiten. Wenn es zu einem Thema Forschung gibt, macht das jede journalistische Geschichte besser. Vor allem dann, wenn Menschen bereits etwas in der Praxis erproben und man zeigen kann, dass dazu auch wissenschaftliche Studien vorliegen, die einen Ansatz über längere Zeit beobachtet haben.
Dann sieht man, dass es nicht nur einen Lösungsweg gibt, der an einem Ort funktioniert hat, sondern dass dieser Ansatz an verschiedenen Stellen getestet wurde, vielleicht über Jahre hinweg. Diese Evidenzbasis ist unglaublich wertvoll.
Wie sieht das praktisch aus?
Wir arbeiten gerade mit neun Lokalredaktionen in unserem Projekt b°local zusammen, das lösungsorientierten Lokaljournalismus fördert. In dreiwöchigen Sessions entwickeln wir gemeinsam Themen und analysieren Texte. Dabei kam ein interessantes Beispiel auf: Ein Pflegeheim hat eine Tiertherapie mit Hologrammen eingeführt. Das war eine gute Geschichte, aber die Evidenz, die im Beitrag genannt wurde, war noch sehr anekdotisch.
In weiteren Recherchen zeigte sich, dass es bereits einige wissenschaftliche Studien zur Effektivität dieser Therapie gibt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man abstrakte Forschung und eine lokaljournalistische Geschichte zusammenbringen kann.
In einer Webserie hat sich das Bonn Institute mit der psychologischen Wirkung von Nachrichten auseinandergesetzt. Wie kann man die Zuversicht und Resilienz der Lesenden ganz praktisch stärken?
Journalismus hat einen großen Einfluss. Selbst wenn Menschen heute weniger klassische Nachrichten konsumieren, wirken Medieninhalte trotzdem stark. Wir können etwas verändern, das unterschätzen viele Journalist*innen.
Konstruktiver Journalismus kann zum Beispiel das Gefühl von Selbstwirksamkeit stärken. Indem wir zeigen, dass an anderen Orten Lösungen gefunden wurden, entsteht das Gefühl: „Es ist möglich, etwas zu tun.“ Die Forschung zeigt, dass dieses Gefühl nicht nur durch eigenes Erleben entsteht, sondern auch, wenn man erfährt, dass andere etwas geschafft haben.
Konstruktiver Journalismus kann auch helfen, weniger zu polarisieren. Er betont eher, was Menschen verbindet, als was sie trennt. Vielleicht wollen wir im Kern das Gleiche, haben aber unterschiedliche Vorstellungen vom Weg dorthin. Genau an dieser Stelle kann Journalismus moderierend wirken.
Welche Formate funktionieren gut, um konstruktiv über Themen zu kommunizieren?
Ein Format, das ich wirklich spannend finde, ist 13 Fragen vom ZDF. Es ist teils eine Debatte, teils ein experimentelles Spiel. Zwei Teams vertreten unterschiedliche Positionen zu einer gesellschaftlichen Frage. Im Verlauf werden 13 Unterfragen gestellt, und es wird geschaut, ob eine Annäherung möglich ist. Zwischendurch gibt es Einordnungen, Interviews und Fact-Checks, was für die journalistische Tiefe sorgt.
Mich fasziniert vor allem, wie gesellschaftlich polarisierte Themen in kleinere Aspekte aufgebrochen werden. Auch wenn wir uns beim Oberthema uneinig sind, gibt es oft Teilfragen, bei denen wir einen gemeinsamen Nenner finden können. Das Format zeigt, dass verhärtete Fronten nicht unverrückbar sind.
Welche Unterschiede zum konventionellen Journalismus sieht man noch?
Lösungsorientierter Journalismus steigert im Vergleich zu problemorientiertem das Wohlbefinden.1 Menschen fühlen sich besser informiert, sie stehen der Berichterstattung positiver gegenüber. Er wurde auch eher als Qualitätsjournalismus wahrgenommen.
Menschen befassen sie sich mit konstruktiver Berichterstattung oft intensiver. Wir beobachten eine höhere Verweildauer bei diesen Inhalten. Konstruktive Beiträge enthalten meist mehr Informationen, die Geschichte entfaltet sich über längere Zeit. Wenn es etwa einen Lösungsansatz gibt, will man wissen, wie es dazu kam, was dahinter steckt, ob es vielleicht doch noch einen Haken gibt.
Stimmt es, dass Menschen trotzdem eher negativen als positiven Nachrichten Aufmerksamkeit schenken?
Konstruktiver Journalismus kann diesen menschlichen Mechanismus nicht aushebeln. Und das soll er auch nicht. Es ist wichtig, dass wir aufmerksam werden, wenn etwas Gefährliches passiert. Wir müssen wissen, ob eine Katastrophe bevorsteht oder eine Bedrohung real ist.
Leider sehen wir, dass dieser Mechanismus manchmal auch ausgenutzt wird. Nicht unbedingt mit böser Absicht, sondern aus wirtschaftlichem Druck heraus,dass Beiträge geklickt werden sollen. Wenn Leser*innen dann feststellen, dass die angekündigte Katastrophe gar nicht eingetreten ist, verlieren sie das Vertrauen. Ein Beispiel dafür war die Diskussion um mögliche Blackouts im Winter 2022. Es gab viele Warnungen, gar Schreckenszenarien, aber letztlich keine flächendeckenden Stromausfälle.
Konstruktiver Journalismus will dagegensteuern. Es geht um ein realistisches Bild der Welt. Probleme benennen – ja. Aber auch zeigen, was möglich ist. Es geht nicht darum, die Welt rosarot darzustellen oder Probleme zu verharmlosen. Aber wir sollten genauso auch über Fortschritte berichten. Auch das verdient Aufmerksamkeit.
- Urlbauer, L. (2019). Data visualisations: Investigating their effects on the perception of solutions journalism (Doctoral dissertation, Master’s thesis]. University of Amsterdam). ↩︎