Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im August 2023

Wie haben sich der wissenschaftliche und der mediale Diskurs um den Klimawandel in den letzten 20 Jahren verändert? Was wissen Deutsche über die Energiewende? Und was zeichnet die Beziehungen von Wissenschaft und Medien aus? Das sind Themen im Forschungsrückblick für August.

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

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Wissenschaftler*innen und ihre Beziehung zu Medien

Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen Wissenschaftler*innen und Journalist*innen? Inwiefern lässt sich von einer Mediatisierung der Wissenschaft sprechen, also einer Anpassung an die Logiken des Mediensystems? Das haben Laura L. Moorhead und Alice Fleerackers von der San Francisco State University zusammen mit Lauren Maggio von der Uniformed Services University of the Health Sciences (USUHS) in Maryland untersucht.

Methode: Die Forscherinnen befragten 19 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Fachbereichen, die im März oder April 2021 in englischsprachigen Medien zitiert beziehungsweise erwähnt wurden oder deren Arbeit dort verlinkt wurde – darunter die Zeitungen The Guardian und New York Times, Wissenschaftsmagazine (Popular Science und Wired), Gesundheitswebseiten (News Medical und MedPage Today) und Nischen-Blogs zu Wissenschaft und Gesundheit (HealthDay und IFLScience).

In den Interviews ging es um generelle Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Journalist*innen. Außerdem fragten die Forscherinnen konkret nach dem Artikel aus der Stichprobe, in dem die Wissenschaftler*innen erwähnt wurden. Sie wollten wissen, ob die Studienteilnehmer*innen den jeweiligen Artikel kennen, wie der Berichterstattungsprozess abgelaufen ist, ob dieser aus ihrer Sicht typisch war und wie sie die Qualität des Ergebnisses bewerteten.

Persona, die ,ambivalente Medienquellen‘ repräsentiert, Abbildung: Laura L. Moorhead, Alice Fleerackers und Lauren Maggio

Die Forscherinnen untersuchten die Interviews nach thematischen Mustern in Hinblick auf die Einstellung gegenüber Journalist*innen, Pressearbeit und Medienlogiken. Für jede*n Wissenschaftler*in erstellten sie ein Profil mit demographischen Informationen und ordneten sie*ihn in eine Typologie mediatisierter Wissenschaftler*innen nach Arko Olesk1 ein. Anschließend identifizierten die Forscherinnen Personas (typische Vertreter*innen) von mediatisierten Wissenschaftler*innen, indem sie die Profile anhand bestimmter Merkmale (beruflicher Werdegang, Motivation zur Beschäftigung mit Medien, Einstellungen zur Öffentlichkeitsarbeit) gruppierten.

Ergebnisse: Alle 19 interviewten Wissenschaftler*innen verfügten zumindest über ein grundlegendes Verständnis von Medienlogik. Die Forscherinnen arbeiteten drei typische Mediatisierungs-Muster heraus, von denen zwei bereits von Olesk beschrieben worden sind. Außerdem identifizierten sie ein drittes: die ,Zugehörigkeit zur Medienlogik’.

  1. Anpassung an die Medienlogik: Ein kleiner Teil der befragten Wissenschaftler*innen war sich zwar der journalistischen Normen, Werte und Praktiken bewusst und beherrschte diese grundsätzlich, verfolgte aber eher einen reaktiven Ansatz bei Kommunikationsaktivitäten. Diese wurden in der Regel durch die Kommunikationsabteilung ihrer Institution oder die Presseabteilung einer Zeitschrift vermittelt. Diese Gruppe räumte der Medienarbeit keine Priorität ein und sah sie eher als Möglichkeit, die eigene Arbeit zu promoten, als gesellschaftliche Ziele zu verfolgen. Teilweise zeigten sich die Wissenschaftler*innen dieser Gruppe über journalistische Praktiken irritiert – beispielsweise, wenn sie ihre Zitate nicht autorisieren konnten.
  1. Übernahme der Medienlogik: Ein größerer Teil der befragten Wissenschaftler*innen zeigte eine ambivalente Einstellung gegenüber professioneller Medienarbeit. Einerseits vertrauten sie den Kommunikationsfachleuten ihrer Institutionen, andererseits kritisierten sie zu viel Kontrolle und Einfluss. Im Vergleich zum Muster der Anpassung zeigten sie ein größeres Verständnis für Medienberichterstattung und nutzten diese, um eigene Ziele zu erreichen. Sie betrachteten die Zusammenarbeit mit Journalist*innen als Teil ihrer beruflichen Aufgaben und gestalteten Beziehung zu Medien proaktiv. Sie berichten auch über negative Erfahrungen, was jedoch ihre positive Grundeinstellung gegenüber dem Journalismus nicht in Frage stellte.
  1. Zugehörigkeit zur Medienlogik: Als dritte Gruppe identifizierten die Forscherinnen Wissenschaftler*innen, die eine sehr starke Verbindung zur Medienlogik zeigten. Die Öffentlichkeitsarbeit lag ihnen sehr am Herzen – ähnlich wie beim zweiten Muster. Allerdings hegten sie eine größere Wertschätzung für Journalist*innen und versuchten deren Arbeit eher zu unterstützen als sie zu kontrollieren. Sie verfolgten im Umgang mit Medien strategische Ziele, aber hatten dabei auch umfassendere, gesellschaftliche Ziele im Blick. Viele schätzten den Kontakt zu Journalist*innen und hatten langfristige Beziehungen zu ihnen aufgebaut.
Persona, die ,eingeschränkte Kommunikator*innen‘ repräsentiert, Abbildung: Laura L. Moorhead, Alice Fleerackers und Lauren Maggio

Die meisten der befragten Wissenschaftler*innen fügten sich nicht durchgängig in ein einziges Muster der Mediatisierung. Es zeigte sich, dass Faktoren wie der Karrierestatus Einfluss auf die Mediatisierung haben. Nachwuchswissenschaftler*innen waren beispielsweise vorsichtiger und zögerten, Anfragen von Journalist*innen nachzukommen. Andererseits berichteten sie auch, dass sich Medienberichterstattung in dieser Karrierephase förderlich auswirken könne. Auswirkungen auf die Mediatisierung hatte auch der Druck, in „High-Impact“-Zeitschriften zu veröffentlichen, um Medienaufmerksamkeit zu erreichen. Ein weiterer Faktor war der institutionelle Kontext. Einige Presseabteilungen waren sehr aktiv und boten Interviews an oder hatten strenge Richtlinien dafür, wie mit Medien zusammengearbeitet werden sollte.

Die Forscherinnen arbeiteten vier unterschiedliche Personas von mediatisierten Wissenschaftler*innen heraus:

  1. „Eingeschränkte Kommunikator*innen“ äußern den größten Frust gegenüber der Kontrolle durch die eigenen Pressestellen oder dem Druck der Fachzeitschriften. Sie haben das Gefühl, wenig Einfluss zu haben. Sie sind meist Nachwuchswissenschaftler*innen oder Forscher*innen, die für eine große gemeinnützige oder staatliche Organisation arbeiten. Der Kontakt zur Presse läuft meistens über Kommunikationsfachleute.
  2. Die „ambivalente Medienquelle“ wird typischerweise durch Wissenschaftler*innen in der Mitte ihrer Karrierelaufbahn repräsentiert, die gemischte Gefühle bezüglich ihrer Interaktion mit Journalist*innen haben. Sie halten die Übersetzungsleistung durch die Medien für wichtig, machen sich aber Sorgen um Genauigkeit und Kontrollverlust. Sie sprechen gelegentlich davon, dass die Ziele, Normen und Berufspraktiken von Wissenschaftler*innen und Journalist*innen nicht übereinstimmen. Sie gehen selten aktiv auf Journalist*innen zu und verfügen nur über ein begrenztes Verständnis journalistischer Praxis.
  3. Die „Strateg*innen“ sind erfahrene Wissenschaftler*innen, die in der Medienberichterstattung ein wirksames Instrument sehen, um ihre Karriere voranzubringen, auf Forschungsergebnisse aufmerksam zu machen, das eigene Fachgebiet zu promoten und Geldmittel sowie Mitarbeitende zu akquirieren. Die Strateg*innen sind medienaffin und nutzen viele Instrumente, um die Berichterstattung zu orchestrieren.
  4. „Medienbegeisterte“ betrachten Journalismus als Möglichkeit, Wissen zu teilen und Veränderungen in der Gesellschaft anzuregen. Sie gehen strategisch vor, wollen aber vor allem wissenschaftliche Arbeit der Öffentlichkeit zugänglich machen, anstatt für sich oder ihre Institutionen zu werben. Medienbegeisterte haben oft die akademische Welt verlassen oder wollen dies tun, um in einem anderen Umfeld eine größere öffentliche Wirkung zu erzielen. Sie suchen regelmäßig auf verschiedenen Wegen den Austausch mit Journalist*innen und sind auf Social Media und Online-Plattformen aktiv.

Schlussfolgerungen: Die Studienergebnisse weisen auf im Allgemeinen positive und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zwischen Journalist*innen und Wissenschaftler*innen hin. Unklar sei, was die starke Mediatisierung für Folgen habe, schreiben die Forscherinnen. Einerseits könnten die engen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Journalismus zu einer qualitativ hochwertigen, evidenzbasierten Berichterstattung beitragen. Andererseits sehen die Forscherinnen auch die Gefahr, dass die Autonomie der Wissenschaft und des Journalismus leiden könnten.

Was die Arbeit von Pressestellen und Kommunikationsfachleuten angeht, deutet sich in den Studienergebnissen Widerstand und Frustration auf Seiten der Wissenschaftler*innen an. Hier sehen die Forscherinnen Bedarf für weitere Forschung.

Persona, die ,Strateg*innen‘ repräsentiert, Abbildung: Laura L. Moorhead, Alice Fleerackers und Lauren Maggio

Sie raten dazu, den Einfluss von Fachzeitschriften und ihren Veröffentlichungsprozessen nicht zu unterschätzen. Denn der Druck, in „High-Impact“-Zeitschriften zu veröffentlichen, halte Wissenschaftler*innen bisweilen davon ab, ihre Forschung mit Journalist*innen zu diskutieren, bevor sie einer Fachbegutachtung unterzogen und veröffentlicht worden sind.

Die Forscherinnen schlagen vor, dass die von ihnen herausgearbeiteten Personas dazu genutzt werden könnten, Leitlinien für Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Institutionen und Karrierestufen zu entwickeln, um sie bei der strategischen und dem Wohle der Gesellschaft dienenden Wissenschaftskommunikation zu unterstützen. Die Erkenntnisse könnten auch Kommunikationsfachleuten in Institutionen und Zeitschriften dazu anregen, ihre Richtlinien und Prozesse zu überdenken.

Einschränkungen: Es wurden Wissenschaftler*innen interviewt, die in journalistischen Artikeln zitiert oder erwähnt wurden und außerdem Interesse zeigten, Interviews zur Zusammenarbeit mit Medien zu geben. Es ist also zu vermuten, dass sie ein höheres Interesse an Öffentlichkeitsarbeit aufweisen als andere Wissenschaftler*innen. Unklar bleibt, welchen Einfluss die Coronapandemie auf die Forschungsergebnisse hat. Möglicherweise wären die Antworten vor der Pandemie oder in anderen Phasen anders ausgefallen.

Moorhead, L. L., Fleerackers, A., Maggio, L. (2023). ‘“It’s my job”: a qualitative study of the mediatization of science within the scientist-journalist relationship’. JCOM 22 (04), A05. https://doi.org/10.22323/2.22040205

Von den Ursachen zu den Folgen: Klimawandel in Wissenschaft und Medien

Wie die Gesellschaft auf die Herausforderungen des Klimawandels reagiert, hängt unter anderem davon ab, welches Wissen darüber produziert und zugänglich gemacht wird. Jasper W. Korte, Rasmus Beckmann, Andreas Hamm, Tobias Hecking und Roxanne El Baff vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt haben zusammen mit Sabine Bartsch von der Technischen Universität Darmstadt den Klimawandeldiskurs der letzten 20 Jahre in der Datenband OpenAlex und auf Wikipedia untersucht und verglichen.

Methode: Die wissenschaftliche Datenbank OpenAlex haben die Forscher*innen als Beispiel dafür gewählt, wie der Klimawandel im Wissenschaftssystem verhandelt wird. Die kollaborative Enzyklopädie Wikipedia hingegen steht dafür, wie sich Wissen zum Klimawandel in den Massenmedien entwickelt. Die Forscher*innen beziehen in ihre Untersuchung alle Wikipedia-Seiten und alle auf OpenAlex versammelten wissenschaftlichen Arbeiten mit Bezug zum Klimawandel ein, die zwischen 2001 und 2021entstanden sind.

Immer mehr Autor*innen beteiligten sich an der Wissensproduktion zum Klimawandel.
Die theoretische Grundlage der Studie bildet die Gesellschaftstheorie von Niklas Luhmann und seine Ausarbeitung zu Umweltgefahren2. Wissenschaft und Massenmedien betrachten die Forscher*innen demnach als zwei gesellschaftliche Teilsysteme, die den Klimawandel auf ihre jeweils eigene Art wahrnehmen und verhandeln. Die Systeme beobachten und beeinflussen einander. Politische Veränderungen können zum Beispiel zu einer anderen Verteilung von Forschungsgeldern im Teilsystem der Wissenschaft führen. Für die Massenmedien ist vor allem entscheidend, dass Informationen neu sind. Sie konstruieren Ereignisse zu einer Erzählung und schaffen so ein aktuelles Weltbild.

Die Forscher*innen nutzen Text-Mining-Methoden, also Algorithmus-basierte Analyseverfahren, um Bedeutungsstrukturen in der riesigen Datenmenge zu identifizieren. Sie untersuchen unter anderem Themen, Kategorien, die Anzahl von Artikeln und Autor*innen. Überarbeitungen von Wikipedia-Seiten betrachten sie als Anzeichen dafür, wie viel Aufmerksamkeit die jeweiligen Themen in diesem System bekommen. Mit Hilfe eines Visualisierungstools zeigen sie, wie häufig bestimmte Konzepte bei OpenAlex vorkommen und in welchen Kombinationen sie auftauchen.

Ergebnisse: Der Klimawandel wurde als Thema in der Wissenschaft immer wichtiger. Von 2001 bis 2021 stieg die Anzahl der Publikationen mit Klimawandelbezug von 4.145 im Jahr 2001 auf 41.093 im Jahr 2021. Auch der Anteil an den Gesamtartikeln stieg von 0,11 (2001) auf 0,43 (2021) Prozent. Immer mehr Autor*innen beteiligten sich an der Wissensproduktion zum Klimawandel.

Bei OpenAlex werden den einzelnen Werken Konzept-Tags zugeordnet. Die prominentesten in dem untersuchten Datensatz sind „Klimawandel“, „Umweltwissenschaften“, „Geographie“, „Klimatologie“ und „Umweltressourcenmanagement“. Insgesamt verdreifacht sich die Anzahl der Konzepte im Laufe der 20 Jahre. In der ersten Phase (2001–2007) sind vor allem erd- und klimawissenschaftliche Konzepte in den Top 20 vertreten. Soziale Konzepte (zum Beispiel Politikwissenschaft) werden im Laufe der Jahre wichtiger. In der nächsten Phase (2008–2014) erkennen die Forscher*innen einen Wendepunkt. Die ursachenorientierten Erd- und Klimawissenschaften verlieren an Bedeutung, stattdessen geht es mehr um die Folgen des Klimawandels.

Die Visualisierung der Häufigkeit und der Nähe der Konzepte zueinander zeigt unter anderem, dass Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften über die 20 Jahre hinweg zwei wenig miteinander verbundene Bereiche sind.

Auch auf Wikipedia wurde der Klimawandel zu einem wichtigen Thema: Besonders viele neue Seiten zum Klimawandel entstanden zwischen 2004 und 2010 sowie zwischen 2018 und 2021. In diesen Phasen wurden auch besonders viele Klimawandel-Seiten bearbeitet. In den ersten Jahren stiegen die Autor*innenzahlen zum Thema Klimawandel sprunghaft an: von 132 im Jahr 2001 auf 110.775 im Jahr 2007. Danach ging die Zahl bis 2013 zurück und stabilisierte sich dann. Der Anteil der Autor*innen von Klimawandel-Seiten an allen Autor*innen lag 2002 zwischen 30 und 44 Prozent, sank dann auf 11 Prozent im Jahr 2012. 2019 stieg er wieder auf 19 Prozent. Ein ähnlicher Trend zeigt sich bei den Überarbeitungen der Seiten. Es gibt eine erste intensive Phase bis 2010, danach stagnieren die Zahlen. Eine weitere Intensive Phase ist zwischen 2019 und 2021 zu erkennen. Die insgesamt am häufigsten überarbeiten Seiten sind „Klimawandel“ (2,22 Prozent), „Windkraft“, „UK Independence Party“, „Al Gore“ und „Tropischer Wirbelsturm“ (jeweils 0,9 Prozent).

Auf Wikipedia wird konkreter auf die katastrophalen Folgen eingegangen, während in der Wissenschaft Anpassungs-Konzepte eine größere Rolle spielen.
Die Forscher*innen sortierten die Themen der Klimawandel-Seiten auf Wikipedia in fünf Cluster: Natur, Politik, Energie, Medien, Auto. Bis 2017 dominierte der Natur-Cluster mit Themen wie Treibhausgase und Klimaforschung. Nur wenige Seiten beschäftigten sich damals mit den Auswirkungen des Klimawandels. Von 2008 bis 2014 bleibt Natur der wichtigste Cluster. Seiten zum Thema Katastrophen (zum Beispiel Überschwemmungen) bekommen mehr Aufmerksamkeit. Es gibt mehr Seiten über Klimaskeptiker*innen und auch technische Lösungen werden stärker verhandelt. Die Phase von 2015 bis 2021 ist von einer zunehmenden Politisierung vor dem Hintergrund von Katastrophen gekennzeichnet. Anfangs dominieren Seiten über Skeptiker*innen, dann kommen Aktivismusseiten rund um die Fridays-for-Future-Bewegung hinzu. Beim Thema Natur geht es nun stärker um Auswirkungen des Klimawandels (vor allem Buschbrände).

Die Visualisierung des gleichzeitigen Auftretens von Hyperlinks auf Klimawandel-Seiten zeigt, dass sich im Laufe der Zeit die Detailtiefe und Komplexität drastisch erhöht. Es entstehen immer mehr Seiten zu konkreten Personen wie Politiker*innen, Forscher*innen und Aktivist*innen, aber auch zu Institutionen, Abkommen und theoretischen Konzepten. Diese Art von Personalisierung des Themas findet sich in der Wissenschaft nicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auf beiden Plattformen der Klimawandel als naturwissenschaftliches Thema verhandelt wird. Auf Wikipedia wird jedoch konkreter auf die katastrophalen Folgen eingegangen, während in der Wissenschaft Anpassungs-Konzepte eine größere Rolle spielen. Der politische Streit um den Klimaschutz ist auf beiden Plattformen ein dominantes Thema. Dabei spielt auf Wikipedia die Leugnung des Klimawandels eine viel größere Rolle als in der Wissenschaft, wo diese eher als Sonderfall von Einstellungen erscheint.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Klimawandel in den letzten 20 Jahren zu einem wichtigen Feld der Produktion wissenschaftlichen Wissens entwickelt hat. Es lässt sich beobachten, dass sich die Aufmerksamkeit in den Wissenschaften immer stärker von den Ursachen des Klimawandel hin zu den ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels verschiebt.

Während in der Wissenschaft die Aufmerksamkeit für den Klimawandel stetig wächst, zeichnen sich bei Wikipedia zwei intensive Aufmerksamkeitsphasen ab. Die erste lässt sich laut der Forscher*innen auf die Vergabe der Nobelpreise für Al Gore und den IPCC im Jahr 2007 sowie das Scheitern der COP 15 im Jahr 2009 zurückführen. Die zweite Phase spiegele die große Aufmerksamkeit für die Fridays-for-Future-Bewegung. Auf Wikipedia zeichnen sich im Gegensatz zur Wissenschaft also eher zyklische Aufmerksamkeitsmuster ab. Das hat laut der Forscher*innen damit zu tun, dass Massenmedien durch einen Aktualitätsdruck getrieben sind und schnell auf neue Bewegungen und Ereignisse reagieren. Den diskursiven Wandel auf Wikipedia interpretieren die Forscher*innen als einen „vom Chat zur Krise“. Denn im Laufe der Zeit spielen katastrophale Naturereignisse, Klimawandel-Skeptiker*innen und Aktivist*innen wie von Fridays-for-Future eine immer größere Rolle.

Überrascht hat die Forscher*innen, dass bestimmte Themen wie Religion, Bildung und Kunst bei den Plattformen keine große Rolle spielen. Das zeige womöglich, dass die Systeme Wissenschaft, Politik und Massenmedien den Klimawandeldiskurs dominieren und andere Systeme deshalb nicht im Fokus von Wissenschaft und Massenmedien stehen.

Einschränkungen: Eine Einschränkung der Studie ist, dass die Forscher*innen auf die von Wikipedia und OpenAlex bereitgestellten Daten angewiesen sind. Die Forscher*innen merken selbst an, dass Wikipedia kein typisches Beispiel für ein Massenmedium ist. Um die Systeme Wissenschaft und Massenmedien zu vergleichen, wäre deshalb eventuell aufschlussreich, noch weitere Beispiele zu untersuchen.

Korte, J. W., Bartsch, S., Beckmann, R., El Baff, R., Hamm, A., Hecking, T. (2023) From causes to consequences, from chat to crisis. The different climate changes of science and Wikipedia. Environmental Science & Policy, Volume 148, https://doi.org/10.1016/j.envsci.2023.103553

Was wissen Deutsche über die Energiewende?

Bis 2045 will Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Dafür sind tiefgreifende Veränderungen in der Energieversorgung nötig. Um den Wandel zu verstehen und fundierte Entscheidungen zu treffen, brauche es eine informierte Öffentlichkeit, schreiben Dorothee Arlt, Christina Schumann und Jens Wolling von der Technischen Universität Ilmenau. Die Forscher*innen haben deshalb untersucht, was Deutsche über die Energiewende wissen und welchen Einfluss die Nutzung von Medien darauf hat.

Methode: Ausgehend von dem Modell von Everett M. Rogers3 zur Verbreitung von Innovationen, nehmen die Forscher*innen zwei unterschiedliche Arten von Wissen in den Blick. In der ersten Phase der Einführung neuer Technologien entwickelten Menschen ,Awareness-knowledge’ (,Bewusstsein-Wissen’) für die Existenz einer Innovation. In der zweiten Phase, in der neue Technologien öffentlich diskutiert werden, werde Wissen über die korrekte Anwendung einer Innovation (,How-to-Wissen’) und das Grundwissen über die Funktionsweise einer Innovation (,Principles-Knowledge’ bzw. ,Prinzipien-Wissen’) erworben. Diese zweite Phase lege die Grundlage dafür, welche Einstellungen Individuen gegenüber der Innovation entwickeln.

In der ersten Phase der Einführung neuer Technologien entwickelten Menschen ,Awareness-knowledge’ (,Bewusstsein-Wissen’) für die Existenz einer Innovation.
Die Forscher*innen untersuchten ,Awareness-knowledge’ zur Energiewende anhand von fünf technischen Entwicklungen, die für das Erreichen von Klimaneutralität wichtig sind: Elektrifizierung (der Ausbau erneuerbarer Energien, um den CO2-Ausstoß aus fossilen Brennstoffen zu reduzieren), die Dezentralisierung der Energieversorgung, die Flexibilisierung des Energiebedarfs (Anpassung an das schwankende Angebot erneuerbarer Energien), Power-to-X (elektrische Energie wird genutzt, um Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe zu produzieren) und Sektorenkopplung (Kopplung verschiedener Bereiche wie Transport oder Industrie). ,Principles-Knowledge’ untersuchen die Forscher*innen am Beispiel der Produktion und Anwendung von Wasserstoff als Energiequelle.

An der im August 2021 durchgeführten Online-Umfrage nahmen 2025 deutschsprachige Personen im Alter von 14 bis 65 Jahren teil. Sie wurden befragt, ob sie von den fünf technischen Entwicklungen gehört hatten und ob sie wüssten, was diese bedeuten. Außerdem sollten sie verschiedene Aussagen zum Thema Wasserstoff bewerten. Die Forscher*innen wollten zudem wissen, wie oft sich die Studienteilnehmer*innen über verschiedene journalistische Medien über die Energiewende informieren. Gefragt wurde auch, wie häufig die Studienteilnehmer*innen Informationen von bestimmten Akteur*innen (politische, wirtschaftliche, Umweltorganisationen, Wissenschaftler*innen) erhalten, die über Social Media, Blogs oder Webseiten kommunizieren. Zuletzt wurde auch das persönliche Interesse an verschiedenen Themen wie Energiepolitik oder Klimawandelforschung und die Einstellung zum Klimawandel abgefragt.

Ergebnisse: Vier von fünf Befragten kannten das Prinzip der Elektrifizierung. Weniger als ein Drittel von ihnen jedoch wusste, was das Konzept der Dezentralisierung bedeutet und weniger als eine eine von sieben Personen wusste, was Power-to-X oder Sektorenkopplung bedeutet. Etwa zwei Drittel der Befragten hatte noch nie davon gehört. Nur vier Prozent kannten alle fünf abgefragten technischen Veränderungen.

Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Thema Wasserstoff. Etwa ein Drittel der Befragten erkannte, dass die Aussage „reiner Wasserstoff kommt in der Natur nahezu unendlich vor“ falsch ist. Etwas mehr als die Hälfte wusste, dass Wasserstoffproduktion immer noch sehr teuer ist. Zehn Prozent der Befragten zeigten ein hohes Level an Wissen und beantworteten alle Statements korrekt. Zwischen 35 und 45 Prozent gaben bei allen Statements an, dass sie die Antwort nicht wüssten.

Männliche Befragte, die einen hohen formalen Bildungsgrad und großes Interesse am Klimawandel haben, verfügten typischerweise über mehr Wissen in beiden abgefragten Bereichen. Wer ein höheres Problembewusstsein in Bezug auf den Klimawandel zeigte, verfügte eher über größeres ,Principles-Knowledge’ im Bereich Wasserstoff, aber nicht unbedingt mehr ,Awareness-Knowledge’ über Veränderungen im Energiesystem.

Die Forscher*innen schlussfolgern, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland über ein sehr eingeschränktes Wissen in beiden abgefragten Feldern verfügt.
Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Zeitungen und Magazinen als Informationsquelle und dem Wissensstand waren kaum zu erkennen. Deutlich wurde jedoch, dass Menschen, die mehr Informationen aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen bezogen, stärkeres Bewusstsein für die Veränderungen im Energiesystem zeigten. Der gegenteilige Effekt zeigte sich bei Personen, die ihre Informationen vom Privatfernsehen bezogen. Wer sich stärker direkt über wissenschaftliche Akteur*innen informierte, wusste etwas mehr über die Veränderungen in der Energieversorgung. Wer hingegen stärker politische und wirtschaftliche Akteur*innen als Informationsquelle nutzte, wusste weniger über Wasserstoff.

Schlussfolgerungen: Die Forscher*innen schlussfolgern, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland über ein sehr eingeschränktes Wissen in beiden abgefragten Feldern verfügt. Dieses Ergebnis bewerten sie als problematisch, da ein Mangel an Wissen Menschen daran hindern könne, sich an den anstehenden Veränderungen zu beteiligen und informierte Entscheidungen zu treffen. Wissen über Wasserstoff sei wichtig, da er als ein Schlüsselelement der Energiewende diskutiert werde. Dass diejenigen, die über großes Wissen in den beiden abgefragten Bereichen verfügen, eher männlich waren, über hohe formale Bildung und ein großes Interesse am Klimawandel verfügten, zeige, dass das Wissen in der Gesellschaft ungleich verteilt sei.

Was die Rolle von medialen Informationsquellen angeht, war ein nur begrenzter und fragmentierter Einfluss auf das Wissen zu erkennen. Der Konsum von Privatfernsehen wirkte sich sogar negativ aus. Das könne möglicherweise an einer Boulevardisierung von Themen, negativer Berichterstattung und dem Mangel an Hintergrundinformationen liegen, überlegen die Forscher*innen.

Sie schlussfolgern, dass Medien nur eine marginale Rolle spielen, was die beiden abgefragten Arten von Wissen angeht. Daran anschließend stellt sich die Frage, welche Kommunikationsformen stattdessen geeignet sind, um über die Energiewende zu informieren. Die Forscher*innen plädieren für unterhaltsame und dialogorientierte Formate. Sie selbst haben im Rahmen des Verbundprojekts „Wissenschaftskommunikation Energiewende“ eine Ausstellung mit dem Titel „Power2Change: Mission Energiewende“ entwickelt.

Dass direkte Informationen über wissenschaftliche Akteur*innen den Grad von ,Awareness-Knowlegde’ etwas erhöhten, sehen die Autor*innen als Zeichen dafür an, dass direkte Kommunikation mit Wissenschaftler*innen positive Auswirkungen haben könne. Beim ,Principles-Knowledge’ zeigte sich jedoch kein Effekt. Darüber, warum sich Informationen von politischen und wirtschaftlichen Akteur*innen negativ auf das Wissen auswirkten, könne nur spekuliert werden. Möglicherweise sei die Kommunikation dieser Akteur*innen mitunter unklar oder verwirrend, überlegen die Forscher*innen.

Einschränkungen: Die Studie beruht auf Selbsteinschätzungen der Befragten. Es lässt sich daraus also nicht ableiten, wie viel die Studienteilnehmer*innen tatsächlich über die unterschiedlichen Themen wissen.

Arlt D., Schumann C., Wolling J. (2023) What does the public know about technological solutions for achieving carbon neutrality? Citizens’ knowledge of energy transition and the role of media. Frontiers in Communication, 8:1005603. doi: 10.3389/fcomm.2023.1005603

 

Mehr Aktuelles aus der Forschung

📚   In Lateinamerika führen Umweltthemen oft zu gewalttätigen Konflikten. Wie können Aktivist*innen und Wissenschaftsjournalist*innen von NGOs Wissenschaftskommunikation nutzen, um über sozioökonomische Konflikte zu berichten? Diogo Lopes de Oliveira und Bruce V. Lewenstein von der Cornell University gehen in ihrer Studie der Frage nach, wie der Einsatz wissenschaftlichen Storytellings von vier lateinamerikanischen NGOs dazu beitragen kann, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen, dass wissenschaftliche Verweise und Erklärungen in der öffentlichen Berichterstattung von NGOs dazu beitragen können, das Ausmaß der Gewalt zu reduzieren.

📚 Um Freiwillige für die Teilnahme an bürgerwissenschaftlichen Initiativen zu gewinnen, ist Überzeugungsarbeit insbesondere bei der ersten Kontaktaufnahme durch Projektbeschreibungen entscheidend. Yaela N. Golumbic von der Tel Aviv University und Marius Oesterheld vom Museum für Naturkunde in Berlin haben anhand einer Zufallsstichprobe von 120 englischsprachigen Projektbeschreibungen eine Analyse der Texte durchgeführt. Dabei wurden die Vollständigkeit der Informationen und die Qualität der Beschreibungen analysiert. Die Autor*innen stellten einen mangelhaften Informationsgehalt und Herausforderungen bei der Zugänglichkeit fest. Während die Ausführlichkeit der Beschreibungen stark variiere, sei der Fokus auf den wissenschaftlichen Hintergrund und die akademische Sprache oft hinderlich. Praktische Hinweise für Freiwillige würden häufig fehlen.

📚 Wissenschaftskommunikation über TikTok? Ben Rein von der Stanford University hat untersucht, welche Faktoren dazu beitragen, dass Wissenschaftsthemen auf der Plattform viel Aufmerksamkeit erhalten. Der Neurowissenschaftler hat einen eigenen Account auf der Plattform. Aus seinen TikToks hat er eine Zufallsstichprobe von 150 Videos ausgewählt, um Faktoren für effektive Wissenschaftskommunikationzu untersuchen. Die Analyse zeigt, dass die Verwendung von Hashtags sowie plattformeigene Sounds und Effekte keinen Einfluss auf die Videoaufrufe haben. Videos, die Forschungsarbeiten zusammenfassen, hätten die höchste Resonanz erzielt, was der Autor auf das Lai*innenpublikum zurückführt, das eher selten Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen hat. Er schließt, dass die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Tiktok das Vertrauen in die Wissenschaft stärken könne.

📚 Sollten Wissenschaftler*innen in ihren Publikationen häufiger persönliche Details  preisgeben, um sich als vertrauenswürdig und zugänglich zu präsentieren? Dieser Frage gingen Marlene Sophie Altenmüller und Mario Gollwitzer von der Ludwig-Maximilians-Universität München gemeinsam mit Lorenz Kampschulte und Laura Verbeek vom Deutschen Museum München in einer Metaanalyse von sechs Online-Experimenten (insgesamt N = 2.431) und einem Feldexperiment im Museum (N = 480) nach. Die Studie kommt zu ambivalenten Ergebnissen. Die Selbstoffenlegung persönlicher Details kann das Vertrauen in die wissenschaftliche Kommunikation der Forschenden in geringem Maße fördern, führt aber auch zu einem Verlust an wahrgenommener Kompetenz. Die Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Aussage wird hingegen nicht beeinträchtigt.

📚 Mit der Frage, wie Wissenschaftskommunikation effektiv kommuniziert werden kann, beschäftigt sich eine Vielzahl von Arbeiten. Nun hat die Lead-Autorin Laura M. König von der Universität Bayreuth die Ergebnisse ihrer systematischen Literaturrecherche veröffentlicht. Gemeinsam mit einem Forschungsteam wurden 171 experimentelle Studien zum Thema untersucht. Daraus leitet die Gruppe elf evidenzbasierte Empfehlungen für eine effektive Kommunikation über wissenschaftliche Ergebnisse ab. Dazu gehört unter anderem, wissenschaftlichen Jargon zu vermeiden und stattdessen eine neutrale Sprache zu verwenden. Weitere Strategien sind beispielsweise die strukturierte Aufbereitung von Texten, das Einbinden von Zitaten und das Aufzeigen von Unsicherheiten in der Wissenschaft. Die Publikation befindet sich derzeit noch im Preprint. Die Empfehlungen können in einem Twitter-Thread der Lead-Autorin nachgelesen werden: