Überforderung als Einladung zum Verstehen: Gert Scobel hat 17 Jahre lang gezeigt, dass auch im Fernsehen Komplexität funktionieren kann. Jetzt zieht es ihn auf YouTube – als „alter, weißer Typ“ will er junge Menschen für Wissen begeistern.
„Ich halte es für gefährlich, Inhalte auf die Einschaltquote auszurichten“
Im Sommer 2025 lief die letzte Folge Ihrer Wissenschaftssendung „Scobel“. Sie haben einmal gesagt, dass die Talksendung oft an der Kante dessen war, was im Fernsehen möglich ist. Warum glauben Sie, hat sich die Sendung trotz ihrer inhaltlichen Komplexität 17 Jahre lang gehalten?

Genau wegen dieser Komplexität. Sehr viele Sendungen im Fernsehen stellen für Menschen, die etwas lernen möchten, eher eine Unterforderung dar. Der Kern der Wissenschaft ist es, sich mit Themen zu beschäftigen, die ins Unwissen, oder besser gesagt, ins noch nicht-Wissen führen. Wenn eine Sendung zu schwer ist, bedeutet das nur, dass es etwas gibt, das ich noch nicht verstehe. Dieser Gedanke hat mir all die Jahre geholfen, immer wieder auf die Komplexität von Themen oder Fragestellungen aufmerksam zu machen. Ich bin der Überzeugung, dass die Wirklichkeit in ihrer Grundstruktur komplex ist und dass niemand von uns in der Lage ist, diese Komplexität vollständig zu durchschauen. Daher war es immer meine Philosophie, die Zuschauer*innen ein bisschen zu überfordern und auch als Moderator zuzugeben: „Das verstehe ich selbst nicht so richtig.“
Welchen Auftrag haben Sie mit Ihrer Sendung verfolgt? Sehen Sie sich eher als Wissenschaftskommunikator oder als Mediator zwischen Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen?
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir das zumindest in den ersten Jahren gar nicht so konkret überlegt und hätte es wahrscheinlich auch nicht so gelabelt. Ich habe mich als Vertreter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gesehen, der den Public-Value-Auftrag hat, aufzuklären und zu bilden – ganz konservativ, vielleicht auch ein bisschen idealistisch.
Mein Ausgangspunkt war damals, eine Vermittlung zwischen den klassischen Geistes- und den empirischen Naturwissenschaften zu schaffen. Ich habe es als meine Aufgabe gesehen, diese verschiedenen Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen und dabei Reibungen zu erzeugen. Im Gegensatz zu üblichen Talkshows und Politiksendungen sollte diese Reibung jedoch nicht dazu führen, dass sich die Teilnehmenden gegenseitig fertigmachen. Vielmehr sollten diese Reibungen Fragestellungen hervorbringen, die in diesem Fachbereich sonst nicht auftauchen würden. So sind tatsächlich gelegentlich neue Gedanken und manchmal sogar neue Forschungsprojekte entstanden.
Worin liegt für Sie der Reiz des Interdisziplinären?
Für mich persönlich ist klar: Wissenschaft ist interdisziplinär. Nur durch das Zusammenwirken verschiedener Disziplinen kann umfassenderes Wissen gewonnen werden. Allerdings zahlt sich interdisziplinäre Forschung für Wissenschaftler*innen häufig nicht aus. Wenn ich als Physiker beispielsweise einen Fachartikel in einer Fachzeitschrift für Philosophie veröffentliche, wirkt sich das negativ auf meine Karriereplanung aus. Das ist schade, denn interdisziplinäre Forschung und ein Engagement in der Wissenschaftskommunikation sollten sich für Wissenschaftler*innen lohnen.
In Ihrer letzten Sendung haben Sie gesagt, dass es anfangs gar nicht so einfach war, Wissenschaftler*innen zu finden, die teilnehmen wollten.
Ja, das war anfangs wirklich sehr schwierig – und damit meine ich die Zeit von 2004 bis in die Zehnerjahre hinein. „Ich gehe doch nicht ins Fernsehen“ – mit dieser Haltung vieler Wissenschaftler*innen hatten wir immer wieder zu kämpfen. Die Wissenschaftler*innen hatten Sorge, dass Kolleg*innen negativ über sie denken könnten. Da mussten wir sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, besonders bei Frauen. Von ihnen haben wir interessanterweise oft die Reaktion bekommen: „Sie laden mich doch nur ein, weil ich eine Frau bin.“ Was sehr schade war, denn das war natürlich nie der Grund.
Schwierig war auch, dass viele Wissenschaftler*innen kaum ein Gespür dafür hatten, wie man ein wissenschaftliches Thema so vermittelt, dass auch Lai*innen es verstehen, oder wie man miteinander ins Gespräch kommt. Das hat sich zum Glück mit der jüngeren Generation sehr positiv verändert.
Entgegen des Klischees, das mit Wissenssendungen häufig nur Menschen aus dem akademischen Umfeld erreicht werden, waren viele Ihrer Zuschauer*innen keine Muttersprachler*innen und besaßen keinen akademischen Abschluss. Warum glauben Sie, konnten Sie diese Personengruppe so gut erreichen?
Ich glaube es lag auch an meiner Haltung, nicht mit Wissen aufzutrumpfen zu wollen und dadurch vielleicht arrogant zu wirken. Mein Ziel war es immer, ein sehr schwieriges Thema verständlicher zu machen und die Zuschauer*innen mit einem Erkenntnisfortschritt aus der Sendung zu entlassen. Nicht nur mit dem Gefühl, sondern mit der tatsächlichen Erkenntnis: „Jetzt habe ich etwas gelernt.“
Wir setzten die Zuschauer*innen mit in diese Gesprächsrunde und signalisierten: Das Gespräch führen wir für euch, denn das ist unser Auftrag. Wir haben immer wirklich gute Forscher*innen zusammengebracht, um das Thema so gut wie möglich zu erklären. Und zwar für die Zuschauer*innen, die sich die Mühe machen, auch noch um 21 Uhr konzentriert zuzuhören – was zugegebenermaßen für Leute, die hart gearbeitet haben, gar nicht so einfach ist.
In einem Interview vor etwa 15 Jahren sagten Sie, dass Sie es schade finden, dass es kaum noch Fernsehsendungen gibt, die versuchen, Natur- und Geisteswissenschaften, Gesellschaft, Politik und Kultur zusammenzubringen. Wie sehen Sie das heute?
Im Interview mit der Frankfurter Rundschau habe ich einmal – sehr zum Ärger meines damaligen Direktors – gesagt: „Die Zukunft des Fernsehens ist der Hörfunk.“ Nach wie vor finde ich, dass es Podcasts häufiger gelingt, verschiedene Disziplinen zu einem Gespräch zusammenzubringen. Im Fernsehen gibt es nur noch selten Sendungen, die das überhaupt versuchen. Ich nehme an, dass die Angst der Sender, keine hohe Einschaltquote zu erzielen, zu groß ist. Bei meiner Sendung war auch nicht zu erwarten, dass sie eine hohe Einschaltquote erzielt. Trotzdem hat sie sich bewährt und lag oft über dem Senderdurchschnitt.
Sehen Sie also den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien darin, sich gegen diese Quoten zu stellen, um ihren Bildungsauftrag zu erfüllen?
Ja, diese Meinung habe ich schon immer vertreten. Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten sich überlegen, was Gemeinwohl für sie bedeutet. Im Prinzip müssten sie sich mit dem Publikum sowie mit Politik und Wissenschaft austauschen, um zu identifizieren, welches Ziel der Bildungsauftrag haben sollte.
Ich halte es für gefährlich, Inhalte auf die Einschaltquote auszurichten. Zumal die Vorstellung von fest definierten Zielgruppen und deren Erreichbarkeit oft gar nicht auf die Alltagswirklichkeit zutrifft. Bei meinem YouTube-Kanal haben insbesondere Kollegen aus dem Hauptprogramm gedacht, dass ein alter, weißer Typ wie ich bei YouTube überhaupt keinen Erfolg haben kann. Im Endeffekt hat der Erfolg sie alle überrascht. Ich habe nicht den Anspruch, dass meine Videos viral gehen. Ich möchte verlässliche Bildungs- und Aufklärungsqualität zu unterschiedlichen Themen produzieren, und das kommt bei jungen Menschen gut an.
Wenn ich dabei nur auf die Zahlen, die Zielgruppen und irgendwelche Datenmuster achte, verliere ich die Qualität der Kommunikation.“
Könnten Sie das genauer erklären?
Natürlich kann ich möglichst viel über das Nutzungsverhalten herausfinden und genau das anbieten, was diese Nutzer*innen wahrscheinlich gerne hätten. Im Endeffekt führt das lediglich zu einer immer genaueren Analyse derjenigen, die sowieso einschalten und produziert eine Echokammer. Aber wie erreiche ich ganz andere Zielgruppen? Da helfen mir diese Daten möglicherweise nur sehr begrenzt. Ich bin selten den Zahlen gefolgt aber dafür meiner Neugier und den Themen, die sich in vielen Gesprächen entwickelt haben.
Was zählt, ist Haltung und der Wunsch, wirklich miteinander in Kommunikation zu treten. Und nicht, einen bestimmten Stil oder eine bestimmte Sprache, wie die von jungen Menschen, zu imitieren. Das halte ich für meine Kommunikation für falsch.
Das Thema Ihrer letzten Sendung, „Wissenschaft in der Vertrauenskrise“, lag Ihnen am Herzen. Wie denken Sie, kann Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, dieser „Krise“ entgegenzuwirken?
Um sowohl die Wissenschaft als auch die Bildung voranzubringen, ist dringend eine bessere Wissenschaftskommunikation erforderlich. Es reicht aber nicht aus, wenn in jedem Forschungsprojekt gefordert wird, dass Wissenschaftler*innen in die Medien sollen. Die Wissenschaftler*innen müssen von den Universitäten dafür auch gute Bildungsmöglichkeiten angeboten bekommen.
Problematisch finde ich auch, dass die meisten Hochschulen und Universitäten unter Wissenschaftskommunikation lediglich Öffentlichkeitsarbeit verstehen. Es gibt nur relativ wenige Universitäten, die wirklich gute Wissenschaftskommunikation und somit ehrliche Bildungsangebote für Bürger*innen schaffen. Solche ehrlichen Angebote sind aber wichtig, um das Vertrauen in Wissenschaft zu stärken.