Virtuelles Auditorium beim Heidelberg Laureate Forum 2020 im Tool Bizzlogic. Foto: con gressa

Gekommen um zu bleiben

Die Zukunft von Wissenschaftsveranstaltungen ist hybrid: Wunsch oder Wirklichkeit? Die Verbindung von On-site und Online-Events ist mehr als die Summe zweier Veranstaltungsformate, argumentiert Susann Morgner von der Agentur con gressa im Gastbeitrag.

Das Wissenschaftsmagazin Nature befragte im März dieses Jahres Leser*innen zu virtuellen Wissenschaftskonferenzen. Eine Mehrheit von 74 Prozent (n = 925) der Befragten sieht auch post-Covid-19 virtuelle Konferenzen als festen Bestandteil der Konferenzwelt an. Als großer Nachteil wird – wie könnte es anders sein – der mangelnde persönliche Austausch genannt. 69 Prozent bewerten die eingeschränkten Networking-Optionen als Manko von Online-Konferenzen.

Bei con gressa konzipieren und realisieren wir häufig Networking-Veranstaltungen, bei denen neben dem Informationsaustausch das Networking eine sehr große, fast gleichberechtigte Rolle spielt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich eine Mehrheit (60 Prozent, n = 82) der Befragten der Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation virtuelle Veranstaltungen des Verbands zukünftig nur noch vereinzelt wünscht. Bei einer Networking-Tagung der Alexander von Humboldt-Stiftung (Humboldt-Kolloquium 2021) sprechen sich rund 80 Prozent (n = 53) für eine Rückkehr zu On-Site-Events aus. Gleichzeitig geben aber auch rund 80 Prozent an, dass sie die Wahl haben möchten, ob sie online oder on-site teilnehmen. Ambivalente Befunde, denen sich Veranstalter stellen müssen, wenn sie diesen verschiedenen Bedürfnissen ihrer Teilnehmenden gerecht werden wollen. Sind Hybrid-Veranstaltungen die Lösung?

Bevor man Hybridität als Zauberwort einsetzt, müssen die Stärken und Einschränkungen von Online- und On-Site-Events berücksichtigt werden.

1. Digitale Elemente können Veranstaltungen inklusiver und zugänglicher machen, als es reine On-Site-Events oft sind. Gerade eine überregionale Teilnahme oder die Teilnahme von Menschen, die zwingende andere Verpflichtungen haben, beispielsweise Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, können durch digitale Alternativen ermöglicht werden. Ein Fallstrick: Die Wahl der genutzten Online-Tools sollte den technischen Möglichkeiten der Zielgruppe entsprechen, um keine neuen Barrieren aufzubauen.

2. Events mit Online-Elementen können weitere Akteur*innen einbinden, beispielsweise besonders gefragte Referierende, die zeitlich stark eingebunden sind oder auf anderen Kontinenten leben und eher nicht zu einer On-Site-Veranstaltung kämen. Ein Fallstrick: Exklusivität entsteht vor allem im unmittelbaren Erleben – live (wenn auch online) und als Teil einer definierten Gruppe. Eine Veranstaltung, die komplett aufgezeichnet und sogar live gestreamt wird, kann diese Exklusivität leicht wieder verlieren. Das gilt erst recht, wenn die Verfügbarmachung von Mitschnitten schon vorab angekündigt wird.

3. Mit digitalen Veranstaltungsteilen können auch in einem lange geplanten On-Site-Event sehr schnell aktuelle Themen adressiert werden. Ein Fallstrick: Um Mitwirkende und Publikum nicht überzustrapazieren und nicht zur allgemein beklagten Informationsüberflutung beizutragen, sollten Adhoc-Veranstaltungen besser die Ausnahme bleiben.

Hybride Veranstaltungen gibt es in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Oft muss ein Schwerpunkt gesetzt werden. Machen Sie dies sich selbst und den Teilnehmenden bewusst. Foto: con gressa

 

4. Schnell attestiert man Online-Veranstaltungen eine deutlich bessere Ökobilanz, insbesondere durch den Wegfall von (Flug-)Reisen, Catering oder Printprodukte. Dass nicht jedes Meeting in Präsenz stattfinden muss und dennoch gelingen kann, haben jetzt erfreulicherweise alle gelernt. Ein Fallstrick: Die Internetnutzung verbraucht ebenfalls erhebliche Ressourcen. Nach Aussage eines Forschenden des Freiburger Öko-Instituts verursachen die Herstellung und Nutzung von Endgeräten, die Übertragung von Daten über das Internet sowie die Nutzung von (nur deutschen) Rechenzentren pro Jahr einen CO2-Fußabdruck von insgesamt 850 Kilogramm pro Person. Auch ohne genaue und verlässliche Berechnungen zu digitalen Events zu kennen, scheint auch hier Maßhalten geboten. Nicht alles muss mitgeschnitten werden – die geringen Abrufzahlen vieler Angebote sprechen Bände. Und die durch den Wegfall von Reisen und Catering eingesparten Emissionen sollten beispielsweise nicht durch übermäßig verpackte und nicht unbedingt sinnvolle Päckchen-Versandaktionen konterkariert werden. Auch die Gäste stehen diesem Thema inzwischen sehr aufmerksam und kritisch gegenüber. Geben Sie beispielsweise Teilnehmenden bei der Anmeldung die Möglichkeit, sich gegen Paketzusendungen zu entscheiden.

5. Zur Nachhaltigkeit von Veranstaltungen gehört auch ihre inhaltliche Wirkung über das eigentliche Event hinaus. Mit kollaborativen Online-Tools, live während einer On-Site-Tagung eingesetzt, können Themen und Fragestellungen aus Workshops auch danach – asynchron – weiter bearbeitet werden.
Ein Fallstrick: Wie auch in Präsenz müssen sich Menschen dafür verantwortlich fühlen, dass eine Diskussion fruchtbringend geführt wird. Erst recht, wenn die Euphorie einer gemeinsamen Debatte verflogen ist und die Form der darüber hinausgehenden Zusammenarbeit erst noch gefunden werden muss.

Es scheint einfach, die guten Seiten von Online-Events in die Präsenzwelt mitzunehmen. Aber sind wir dann schon hybrid? Technisch gesehen sicherlich. Die Herausforderungen hybrider Veranstaltungen bestehen dramaturgisch aber vor allem in der Entscheidung, wie welche Teile des Publikums mit Referierenden, aber auch untereinander interagieren können. Davon wird im Wesentlichen abhängen, wie komplex und aufwändig die Veranstaltung wird. Welche digitalen Tools eignen sich für die Verschränkung von Online- und On-Site-Angeboten innerhalb einer Tagung? Welche sind mit dem erwarteten Publikum „kompatibel“? Welche Räume – sowohl virtuell als auch real – müssen betreut und moderiert werden? Welche inhaltlichen Angebote funktionieren eigentlich nur on-site? Und gibt es passende Angebote, die derweil den Online-Teilnehmenden vorbehalten sein könnten?

Die Verbindung von on-site und online ist also mehr als die Summe zweier Veranstaltungsformate. Viele werden zurecht vor dem damit verbundenen Aufwand zurückschrecken. Und das ist völlig legitim. Veranstalter*innen wollen vor allem, dass das Ziel ihrer Veranstaltung bestmöglich erreicht wird. Also fragen Sie sich, worin dieses Ziel hauptsächlich besteht! Und – ich entschuldige mich für den Ausdruck – eiern Sie dabei nicht rum! Die Ansprüche von Mitwirkenden und Teilnehmenden in Bezug auf die Teilnahmemöglichkeiten sind gestiegen. Allen gerecht zu werden, ist fast unmöglich. Man muss sich meist bewusst ein Schwerpunkt setzen und diesen auch den Teilnehmenden bewusst machen.

Ein komplettes Zurück zu den On-Site-Veranstaltungen der Prä-Corona-Zeit ist aber niemandem zu empfehlen. Zu häufig waren die Formate inzwischen eingestaubt und wenig originell. Neues Denken tut jeder (alten) Veranstaltung gut.