Forschung durch Vielfalt bereichern

#ProgressDiversity heißt eine neue Kampagne der Alexander von Humboldt-Stiftung zum Thema Diversität. Georg Scholl, Leiter des Referats Presse, Kommunikation und Marketing der Stiftung, spricht im Interview über Ziele, die Bedeutung des Themas sowie die Entwicklung der Kampagne.

Herr Scholl, welches Ziel verfolgt die Kampagne #ProgressDiversity?

Aus der Vielfalt von Hintergründen und Denkweisen entsteht eine Vielfalt von Ideen, die Forschung besser macht. Und trotzdem gibt es in vielen Wissenschaftssystemen Nachholbedarf, auch in Deutschland. Mit unserer Kampagne wollen wir für Vielfalt werben und zeigen, was sich verändern muss. Zugleich wollen wir Diversität international diskutieren. In Deutschland geht es, wenn von Diversität die Rede ist, sehr häufig um Gender. Das ist natürlich ein wichtiges Thema, aber Diversität hat viele Facetten, je nachdem, aus welcher Region der Welt man kommt. Es geht auch um eine Vielfalt der Disziplinen sowie um eine Vielfalt des Alters, der sozialen Herkunft, Nationalität und vieles mehr.

Georg Scholl leitet das Kommunikationsreferat der Alexander von Humboldt-Stiftung und ist Chefredakteur des Magazins „Humboldt Kosmos“. Zuvor war er beim Institut für Auslandsbeziehungen und beim Europarat tätig. Foto: Alexander von Humboldt-Stiftung

In der Corona-Krise beobachten wir, dass die Vielfalt zudem unter der eingeschränkten Mobilität leidet. Bereits etablierte Wissenschaftler*innen kooperieren stärker innerhalb ihrer bestehenden Netzwerke und knüpfen tendenziell weniger neue Kontakte. Junge Wissenschaftler*innen, die ihre Kontakte und Netzwerke noch aufbauen müssen, haben es in der Pandemie auch deshalb schwerer, die für den nächsten Karriereschritt wichtigen Kontakte und Erfahrungen zu sammeln. Internationale, junge Postdocs, wie wir sie fördern, sind für die Vielfalt der Wissenschaft zentral und brauchen jetzt besondere Unterstützung. Auch deshalb finden wir unsere Kampagne gerade jetzt wichtig.

Aus welchen Elementen setzt sich die Kampagne zusammen?

Startpunkt ist die aktuelle Ausgabe unseres Magazins „Humboldt Kosmos“ mit Analysen und vielen internationalen Beispielen, wie unterschiedlich Diversität international gesehen und gefördert wird. Diese Inhalte stellen wir via Twitter zur Diskussion. Ein Kanal, über den wir am besten Multiplikator*innen und Zielgruppen in Politik, Wissenschaft sowie Teile der Öffentlichkeit in einem globalen Maßstab erreichen. Unser Magazin erscheint in einer Auflage von 36.000 Exemplaren und erreicht Alumni in über 140 Ländern. Wir wollen einen internationalen Austausch und Impulse.

Welche Impulse gab es bisher?

„Wir wollen dazu animieren, dass man seine persönlichen Erfahrungen teilt.“ Georg Scholl
Bisher gibt es viel generelle Zustimmung, aber auch individuelle Rückmeldungen und Kommentare. Wir wollen dazu animieren, dass man seine persönlichen Erfahrungen teilt. Das passiert auch. Aber sich mit persönlichen Erlebnissen zu outen, ist natürlich auch eine Hürde.

Inwiefern?

Je nachdem, aus welchem Land man kommt, tut man sich unterschiedlich schwer, sich zum Thema Diversität in die Öffentlichkeit zu wagen, gerade wenn es um sexuelle Orientierung geht. Die Diskussion wird nicht überall offen geführt, auch in Deutschland gibt es ja – wie man zuletzt am Outing einer Gruppe von Schauspieler*innen im SZ-Magazin sehen und lesen konnte – immer noch eine Hemmschwelle.

Wie haben Sie denn die bisherigen Stellungnahmen erhalten?

Wir haben die Gesprächspartner*innen für unser Magazin einzeln angefragt. Bis auf eine Ausnahme wollten alle dabei sein und etwas über sich erzählen. Das finde ich bemerkenswert, weil es in der Wissenschaft eine gewisse Scheu gibt, sich über Themen außerhalb der Wissenschaft zu definieren oder über sie definiert zu werden. Man möchte beispielsweise nicht, dass es den Anschein hat, man habe eine Position oder eine Förderung nur erhalten, weil man eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe repräsentiert. Deshalb freut es mich, dass so viele bereit waren, ihre Geschichte zu teilen. Das erfordert mehr als ein Lippenbekenntnis der Art: Ja, auch ich bin selbstverständlich für Diversität.

Wie wichtig ist es, dass es eben kein Lippenbekenntnis ist?

„Wir zeigen Beispiele für extrem erfolgreiche und einflussreiche Persönlichkeiten, die die Forschung durch Vielfalt bereichern.“ Georg Scholl
Ich glaube, dass authentische und persönliche Geschichten sehr wirksam sein können, um anderen Mut zu machen und zu zeigen, wie Erfolg auch gegen Widerstände und mit Handicaps möglich ist. Wir zeigen Beispiele für extrem erfolgreiche und einflussreiche Persönlichkeiten, die die Forschung durch Vielfalt bereichern. Wir hoffen, dass dies andere ermutigt, von eigenen Erfahrungen zu berichten.

Weshalb passt diese Kampagne gut zur Humboldt-Stiftung?

Diversität spielt für uns seit jeher eine große Rolle – gerade, weil wir ein so großes Netzwerk mit Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichsten Ländern und mit verschiedenen Hintergründen in unserer Stiftung zusammenbringen. Wir befassen uns ständig damit, wie sich das Netzwerk entwickelt und welche Rolle Diversität dabei spielt. Wir überprüfen an dieser Stelle auch immer wieder, in welchen Bereichen systemische Grenzen gesetzt sind. So führen wir gerade eine internationale Genderpotentialanalyse durch.

In puncto Gender gibt es auch für uns noch einiges zu tun. Wir haben derzeit beispielsweise ungefähr ein Drittel Frauen in unseren Stipendienprogrammen. Bei den verliehenen Preisen liegt der Anteil noch darunter. Damit liegen wir in den jeweiligen Karrieresegmenten zwar in etwa im internationalen Durchschnitt, aber das reicht uns nicht. Unser Präsident Hans-Christian Pape sagt dazu im „Humboldt Kosmos“: „Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen, die Welt ist eben so.“ Wir wollen die Welt verändern.

Was bräuchte es denn außer solchen Kampagnen noch, um eben eine solche Veränderung zu erreichen?

„Jede und jeder sollte sich fragen, was sie oder er aktiv für Diversität tut, etwa bei Personalentscheidungen, Berufungen, Nominierungen. Wenn das gelingt, wird sich auch etwas verändern.“ Georg Scholl
Wir setzen auf Wandel durch Motivation und Engagement. Jede und jeder sollte sich fragen, was sie oder er aktiv für Diversität tut, etwa bei Personalentscheidungen, Berufungen, Nominierungen. Wenn das gelingt, wird sich auch etwas verändern. Aus unserem Forschungspreisprogramm wissen wir beispielsweise, dass der Frauenanteil bei Nominierungen steigt, wenn mehr Frauen unter den Nominierenden sind. Dadurch können Folgeeffekte entstehen. Solche Dinge zu wissen und an diesen Stellschrauben zu drehen, ist hilfreich. Deshalb ergänzen wir ja die Kampagne auch mit Analysen zum Thema, um unter anderem auch herauszufinden, wie es um unterschiedliche Aspekte von Diversität in der Wissenschaft bestellt ist. Dazu gibt es bislang zu wenige Daten.

Das Thema Diversität sorgt in der Öffentlichkeit und gerade in den sozialen Medien teilweise für heftige Diskussionen. Gab es Bedenken, hier auf Gegenwehr zu stoßen?

Nein, Angst gab es nicht. Wir wussten aber natürlich um das Risiko. Wir sind es eingegangen, weil wir zu unserer Position stehen und diese auch verteidigen wollen. Ich denke aber auch, dass es in der Wissenschaft grundsätzlich viel Konsens bei diesem Thema gibt. Die Frage ist eher, ob man nur passiv dahintersteht, oder sich aktiv engagiert.

Es gab also noch keine kritischen Kommentare?

Nicht zur Kampagne – von vereinzelten Trollen abgesehen. Kritische Stimmen teilen vor allem negative persönliche Erfahrungen. So wird via Twitter ein deutscher Professor zitiert, er arbeite grundsätzlich nicht mit Personen aus „Dritte-Welt-Ländern“. Es gibt auch praktische Fragen, etwa, ob unsere Familienförderung auch für Paare aus Ländern möglich ist, in denen gleichgeschlechtliche Ehen nicht erlaubt sind. Die Antwort lautet: Ja, wir erkennen auch eingetragene Partnerschaften an.

Wie geht es mit der Kampagne jetzt weiter?

In den nächsten Wochen machen wir mit Beispielen aus unserem Netzwerk weiter. Danach werden wird das Thema das ganze Jahr über immer wieder aufbringen, etwa bei verschiedenen Veranstaltungen. Gleichzeitig hoffen wir, dass der Hashtag weiter genutzt wird und Kreise zieht. Wir sind gespannt.