Die Social Media-Biografien von Wissenschaftler*innen zeigen auffällige Unterschiede. Im Interview sprechen Judith Ackermann und Anna-Sophie Barbutev über Selbstnarrative und darüber, wie sie mit ihrem Projekt „Wissenschaftlerinnen in die Medien“ die Sichtbarkeit von Frauen stärken.
„Expertin“ oder „Mama“?
In Ihrer Forschung haben Sie unterschiedliche Selbstnarrative von Wissenschaftler*innen bei Social Media identifiziert. Männer bezeichnen sich viel häufiger selbst als „Experte“. Wie unterscheiden sich diese Narrative noch?
Judith Ackermann: Wir haben viele Account-Biografien untersucht und mit automatisierten Methoden ausgewertet. Besonders aufgefallen ist, dass in weiblich gelesenen Accounts Begriffe wie „Mutter“ und „Mama“ sehr häufig vorkommen, mit Blick auf die genannten Rollen sogar an erster Stelle. In männlich gelesenen Accounts war das deutlich seltener der Fall.

Dafür steht dort viel öfter das Wort „Experte“. Genau da setzt auch unser Projekt „Wissenschaftlerinnen in die Medien“ an. Wir wollen damit die Sichtbarkeit von weiblicher Expertise stärken. Ein Ansatzpunkt wäre, gezielt dazu zu ermutigen, Begriffe wie „Expertin“ selbstbewusst zu nutzen.
Interessant war auch, dass weiblich gelesene Accounts ihre Rolle in der Wissenschaftskommunikation häufiger erklären oder einordnen. Sie verwenden in ihren Bios stärker entsprechende Hashtags, zum Beispiel „Wisskomm“, die ihre Arbeit legitimieren. In männlich gelesenen Accounts haben wir das kaum gesehen.
Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Ackermann: Wir sehen hier Hinweise auf Performancedruck und Selbstselektion. Viele zögern, sich sichtbar zu machen und wenn sie es tun, zeigen sie in der Bio oft sehr deutlich, dass es sich um Wissenschaftskommunikation handelt. Das wirkt wie eine Absicherung, gerade weil Social Media nicht automatisch als wissenschaftlicher Raum gilt. In männlich gelesenen Accounts sehen wir diesen Rechtfertigungsdruck deutlich seltener.

Sie haben auch den Hashtag #IchbinHanna untersucht. Was hat Ihre Analyse der Beiträge gezeigt?
Ackermann: Wir haben eine qualitative Analyse der Tweets durchgeführt, die relativ am Anfang der Initiative gepostet wurden. Die Systemkritik war in allen Beiträgen deutlich erkennbar. Besonders der Befristungsdruck trat als zentrales Thema hervor. Häufig wurde auch die Notwendigkeit thematisiert, ins Ausland zu gehen, oder die Erfahrung, bereits aus der Wissenschaft herausgefallen zu sein – sei es unfreiwillig oder durch bewusste Entscheidung. Mit Blick auf Genderunterschiede fanden sich in weiblich gelesenen Accounts zudem vermehrt Hinweise auf Care-Verpflichtungen.
Ihre Untersuchungen zeigen, dass Wissenschaftlerinnen nur 28 Prozent der medial sichtbaren Expert*innen darstellen. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen Bereitschaft vieler Wissenschaftlerinnen zur Kommunikation und ihrer tatsächlichen medialen Präsenz?
Anna-Sophie Barbutev: Unsere Medienpräsenzanalyse war der Ausgangspunkt, um zu sehen, wie schlimm die Lage wirklich ist. Leider passen die Zahlen gut zum Forschungsstand. Aufbauend auf dieser Analyse haben wir dann auch eine Interviewstudie mit Medienschaffenden und Wissenschaftlerinnen gemacht.
Tatsächlich haben Wissenschaftlerinnen viele Herausforderungen. Zum einen der Zeitmangel durch Mehrfachbelastung, vor allem im Early-Career-Bereich. Dort müssen sie nicht nur wissenschaftlich vorankommen, sondern oft auch Care-Arbeit leisten oder pendeln. Gleichzeitig haben sie Lehraufträge, müssen publizieren, um weitere Projekte zu bekommen oder sich auf Professuren bewerben zu können.
Zum anderen gibt es Bedenken, was passiert, wenn sie mit ihrer Forschung in die Öffentlichkeit gehen. Das haben wir auch in Workshops immer wieder gehört. Manche fürchten Hasswellen, vor allem bei gesellschaftlich umkämpften Themen wie Klimaforschung oder Gender.
Wie können Wissenschaft und Medien besser aufeinander zugehen?
Barbutev: In Interviews mit Medienschaffenden zeigte sich, dass sie selbst großen Zeitdruck haben, besonders im tagesaktuellen Geschäft. Die Verantwortung, Wissenschaftlerinnen sichtbar zu machen, wird oft weggeschoben mit dem Argument, man habe einfach keine Expertin gefunden. Dabei wird nicht immer gründlich gesucht und auch mal auf Seite zwei bei Google geschaut.
Deshalb brauchen wir Sensibilisierung bei Medienschaffenden, aber auch eine Veränderung im Wissenschaftssystem. Es kann nicht sein, dass Forschende Wissenschaftskommunikation nur in ihrer Freizeit machen müssen und das nicht schon als Teil von Projekten geplant ist.
Initiativen wie die Fifty-Fifty Challenge des BBC sind wichtig. Dort prüfen Redaktionen das Geschlechterverhältnis in Beiträgen und setzen sich zum Ziel, die Medienpräsenz von Wissenschaftlerinnen zu erhöhen.
Welche digitalen Profile sollten Forscher*innen pflegen, um von Medien gefunden zu werden?
Ackermann: In unserer Eye-Tracking-Studie haben wir untersucht, wie Medienschaffende unter Zeitdruck vorgehen, wenn sie Expert*innen suchen. Wenig überraschend war Google dabei ein zentrales Element. Um besser gefunden zu werden, ist es hilfreich, auf verschiedenen digitalen Plattformen präsent zu sein, vor allem solchen, die regelmäßig aktualisiert werden.
Eine der wichtigsten Ressourcen bleibt aber nach wie vor die Website der eigenen Institution. Auch wenn wir festgestellt haben, dass Wissenschaftlerinnen diese nicht immer so intensiv pflegen, wie sie es könnten, lohnt sich das auf jeden Fall. Das ist ein zentraler Faktor bei der Entscheidung, jemanden als Expertin überhaupt erst anzufragen.
Und auch wenn es nicht ganz einfach ist, eine eigene Seite bei Wikipedia zu haben, lohnt es sich. Die Sichtbarkeit steigt dadurch deutlich.
Als das am häufigsten genutzte soziale Netzwerk hat sich LinkedIn gezeigt. Viele Wissenschaftlerinnen sind dort aktiv, weil die Plattform klar im beruflichen Kontext verankert ist. Die LinkedIn-Profile wurden zudem von den suchenden Personen sehr intensiv gelesen und ausgewertet.
Gab es auch hier Geschlechterunterschiede?
Ackermann: Ja. Interessant war, dass bei männlich gelesenen Experten häufiger gezielt nach Publikationen und Forschungserkenntnissen gesucht wurde, während bei weiblich gelesenen Personen stärker geschaut wurde, ob sie auf einer offiziellen Website auffindbar sind.
Und: Man entscheidet sich zwar relativ schnell gegen eine Person, aber braucht im Verhältnis deutlich länger, um sich für eine Person zu entscheiden. Deshalb lohnt es sich, unterschiedliche Kommunikationsformate anzubieten, damit sich Medienschaffende ein möglichst vollständiges Bild davon machen können, wie jemand spricht, denkt oder über Forschung kommuniziert.
Wie nützlich sind persönliche Webseiten?
Barbutev: Für Wissenschaftlerinnen, die eine Konferenz besetzen wollten, war die persönliche Website tatsächlich ein relevanter Kanal. Für die Medienschaffenden in unserem Sample war allerdings die Website der Institution am wichtigsten.
Aber: Persönliche Webseiten werden durchaus rezipiert. Vor allem, wenn sie schon länger bestehen und gut von den Suchmaschinen gerankt werden. Sie bieten die Möglichkeit, sich detaillierter vorzustellen, auch wenn sie nicht der zentrale Ausgangspunkt für Medienanfragen waren.
Basierend auf Ihren Forschungsergebnissen haben Sie nun einen „Crashkurs“ Wisskomm in Form von kurzen Videos gestartet. Was sind Ihre zentralen Tipps?
Ackermann: Wissenschaftskommunikation einfach mal auszuprobieren, ist aus meiner Perspektive etwas, das man auf jeden Fall mal tun sollte. Und sich aber auch die Freiheit zu nehmen, zu entscheiden: Das ist nicht das, was für mich oder für meine Forschung essentiell ist.
Wenn man aber an den Punkt kommt: „Doch, Wissenschaftskommunikation ist mein Ding“, dann sollte man mit den Vorgesetzten sprechen und sagen: „Ich will das in meiner Tätigkeitsdarstellung abbilden. Ihr profitiert davon, und ich möchte, dass das als Arbeitszeit anerkannt wird.“
Barbutev: Findet euer Format. Mittlerweile gibt es Initiativen wie PhDSciComm, wo man eine Woche lang ausprobieren kann: Wie ist das denn, wenn ich mit meiner Forschung rausgehe? Bin ich eine Person, die gern vor der Kamera steht, oder schreibe ich lieber Texte? Oder mache ich vielleicht lieber einen Podcast?
Sie haben auch selbst Social Media Formate entwickelt, mit denen Sie die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen fördern möchten. Welche haben sich in der Praxis als besonders wirksam erwiesen?
Anna-Sophie Barbutev: Alle Formate haben sich auf ihre Weise bewährt. Einerseits „Kopf und Kuchen“, wo wir live in den Austausch gehen und die Community im Gespräch Fragen stellen kann.
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Dann „Ich bin Wissenschaftlerin“, das hatten wir anlässlich des Tags der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft 2023 gestartet. Dort wollten wir mit Kurzvideos sichtbar machen, welche Forschungsgebiete es gibt und welchen Schwierigkeiten Wissenschaftlerinnen vielleicht auch innerhalb ihrer Laufbahn begegnen.
Wir hatten zum Beispiel auch „Eine Frau, ein Buch“, wo wir Publikationen vorstellen – seien es Dissertationen, Habilitationen oder Sammelbände von Wissenschaftlerinnen. Auch dort gab es eine große Resonanz. Wir bekommen E-Mails oder Direktnachrichten von Leuten, die schreiben, dass sie das sehr cool finden und wissen wollen, wie sie sich beteiligen können.
Dann gibt es noch „Kennst du schon?“, wo wir sehr etablierte Wissenschaftlerinnen präsentieren, die aber medial noch nicht so im Fokus stehen, obwohl sie Preise erhalten haben und in ihrem Feld sehr gesettelt sind.
Sehen Sie, dass die vielfältigen Sichtbarkeitsmaßnahmen bereits Wirkung zeigen?
Ackermann: Wir sehen tatsächlich, dass unsere Idee des Kurzvideoformats gern übernommen wird. Bei unserem Format stellen wir immer die gleichen Fragen. Im Prinzip ist es ein Kurzinterview, das jede Institution machen kann.
Solche niedrigschwelligen Social-Media-Formate lassen sich einfach adaptieren. Wir bekommen das auch immer wieder im Austausch mit unserer Community widergespiegelt, dass Forschende sich mit ihrer Forschung raustrauen und unser WissKomm-Crashkurs dafür einen Anstoß gegeben hat.
Barbutev: Studien wie „Draw A Scientist“ zeigen, dass sich das Bild von Wissenschaft langsam wandelt: Kinder zeichnen zunehmend auch Wissenschaftlerinnen und nicht nur den männlichen Professor. Wir freuen uns, dass wir mit unserem Projekt einen Beitrag zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft leisten.