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Digitale Gesundheitskompetenz: Wie kann Deutschland aufholen?

Verstehen, Bewerten, Verbessern: Die Ergebnisse der kürzlich erschienenen Health Literacy Survey Germany zeigen, dass sich eine geringe Gesundheitskompetenz negativ auf die eigene Gesundheit auswirken kann. Wie sie durch Wissenschaftskommunikation gefördert werden kann, erläutert der Psychologe und Referent bei der Stiftung Gesundheitswissen Lars König im Gastbeitrag.

Gesund bleiben möchte wohl jede*r. Vielen Menschen gelingt es jedoch nicht, die Grundsteine für ein gesundes Leben zu legen. Es fehlt ihnen an Wissen, Verständnis und der Motivation, gesundheitliche Empfehlungen im Alltag konsequent umzusetzen – kurzum: sie haben eine schlechte Gesundheitskompetenz.
Für den Begriff „Gesundheitskompetenz“ gibt es zahlreiche Definitionen, jedoch keine einheitliche. Im wissenschaftlichen Diskurs versteht man darunter meist die Fähigkeit, relevante Gesundheitsinformationen im Alltag zur Krankheitsbewältigung und Gesundheitsförderungen zu nutzen, um die eigene Lebensqualität zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. Hierzu zählt auch die digitale Gesundheitskompetenz, welche unter anderem die Fähigkeit umfasst, Gesundheitsinformationen im Internet zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und das resultierende Wissen zur Lösung gesundheitlicher Fragestellungen anzuwenden.
Diverse Akteure im Gesundheitswesen haben das Thema Gesundheitskompetenz hoch auf ihre Agenda gesetzt. Vereine wie das Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz haben es sich zur Mission gemacht, Methoden und Konzepte zur Förderung der Gesundheitskompetenz zu entwickeln und zu diskutieren. Das Bundesministerium für Gesundheit hat, zusammen mit Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens, die Allianz für Gesundheitskompetenz geschmiedet, und der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz bietet einen wissenschaftlichen Leitfaden zur Stärkung der Gesundheitskompetenz in Deutschland.

Wie steht es um die Gesundheitskompetenz in der deutschen Bevölkerung?
Das kürzlich erschienene Health Literacy Survey Germany zeichnet ein eher düsteres Bild von der Gesundheitskompetenz in Deutschland. Die Erkenntnisse aus über 2.000 Interviews zeigen die vielfältigen Herausforderungen in diesem Bereich auf.
Laut der Autor*innen verfügen 59 Prozent der Befragten über eine nur gering ausgeprägte Gesundheitskompetenz. Zudem sind bestimmte gesellschaftliche Gruppen überproportional häufig von dieser Problematik betroffen: Dazu zählen vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsniveau oder Sozialstatus, aber auch Menschen mit chronischen Erkrankungen oder mit Migrationshintergrund. Auffällig ist auch, dass neben den älteren Generationen auch junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 29 Jahren eine geringe Gesundheitskompetenz haben.
Geht man eine Ebene tiefer und betrachtet die Ergebnisse zur digitalen Gesundheitskompetenz, offenbart sich ein noch kritischeres Bild. Hier weisen 76 Prozent der Befragten eine geringe digitale Gesundheitskompetenz auf. Wiederum sind Menschen mit geringer formaler Bildung sowie Ältere besonders betroffen. Zudem zeigen sich die Deutschen äußerst zurückhaltend bei der Nutzung digitaler Gesundheitsangebote. So nutzen beispielsweise 79 Prozent  der Bevölkerung keine Gesundheits-Apps und auch Internetseiten zum Thema Gesundheit werden von 36 Prozent der Bevölkerung nie besucht.

Geringe Gesundheitskompetenz gleich ungesunder Lebensstil?
Die vorgestellten Ergebnisse erscheinen besonders kritisch, da sich eine geringe Gesundheitskompetenz negativ auf die eigene Gesundheit auszuwirken scheint. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn Gesundheitskompetenz mit konkretem Gesundheitsverhalten in Beziehung gesetzt wird. So scheint es einen Zusammenhang zwischen der Gesundheitskompetenz eines Menschen und seinem Ernährungsverhalten zu geben. Im Health Literacy Survey Germany gaben 50 Prozent der Befragten mit exzellenter Gesundheitskompetenz an, täglich Obst, Gemüse oder Salat zu essen. Bei den Befragten mit einer inadäquaten Gesundheitskompetenz waren es hingegen nur 31 Prozent. Auch ein Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und körperlicher Aktivität scheint wahrscheinlich. 28 Prozent der Befragten mit exzellenter Gesundheitskompetenz gaben an, täglich 30 Minuten oder länger körperlich aktiv zu sein. Bei den Befragten mit einer inadäquaten Gesundheitskompetenz waren es hingegen nur 14 Prozent. Aus früheren Studien ist zudem bekannt, dass Gesundheitskompetenz auch mit thematisch ferneren Verhaltensweisen, wie dem individuellen Unfallschutzverhalten, zusammenzuhängen scheint. Von den untersuchten bildungsfernen Jugendlichen mit einer hohen Gesundheitskompetenz gaben beispielsweise 25 Prozent an, mit verkehrssicherer Ausrüstung im Straßenverkehr unterwegs zu sein. Bei den bildungsfernen Jugendlichen mit einer niedrigen Gesundheitskompetenz war dies hingegen nur bei 13 Prozent der Fall. Gerade bei der Betrachtung von Ergebnissen aus Querschnittsstudien ist es hilfreich zu betonen, dass Korrelationen nicht mit Kausalitäten gleichzusetzen sind. Nichtsdestotrotz scheint einiges darauf hinzudeuten, dass die Gesundheitskompetenz eine zentrale Rolle im Kontext der individuellen Gesundheitsförderung spielt.

Schlechte Gesundheitskompetenz als Nährboden für Fake News?
Ein ungesunder Lebensstil ist nicht die einzige mögliche Folge einer geringen Gesundheitskompetenz. Die Autor*innen des Health Literacy Survey Germany weisen auf eine weitere Problematik hin: So hatten 83 Prozent Probleme zu beurteilen, wie vertrauenswürdig aufgefundene Informationen sind, und 82 Prozent haben Schwierigkeiten zu beurteilen, ob hinter den angebotenen Informationen kommerzielle Interessen stehen. Diese Befragungsergebnisse decken sich mit Erkenntnissen aus einer experimentellen Studie, in denen Lai*innen erhebliche Probleme damit hatten, kommerzielle Interessen und potenzielle Interessenkonflikte im Kontext von Gesundheitsratschlägen in Onlineforen zu erkennen. Gleichzeitig nimmt die Menge an Fehl- und Falschinformationen im Internet zu, was die deutsche Bevölkerung vor erhebliche Herausforderungen stellt. Auch früher Studien kamen bereits zu dem Schluss, dass zentrale Akteure im deutschen Gesundheitswesen der digitalen Gesundheitskompetenz einen hohen Stellenwert beimessen, es allerdings kaum inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Thema gibt, und es an überzeugenden Förderkonzepten mangelt.

Wie kann die digitale Gesundheitskompetenz gefördert werden?
Bereits Ende 2019 hat die Bundesregierung das Digitale-Versorgung-Gesetz verabschiedet. Es verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz. Einige Krankenkassen haben bereits erste Förderangebote entwickelt. Auch die gemeinnützige Stiftung Gesundheitswissen hat kürzlich mit der digitalen E-Learning-Plattform „Gesundweiser“ ein kostenloses, öffentliches Lernprogramm ins Leben gerufen. Es richtet sich vorrangig an Schüler*innen, kann aber auch von anderen genutzt werden. Eingebettet in eine alltagsnahe und persönlich relevante Rahmenstory wird den Nutzer*innen in abwechslungsreichen und interaktiven Übungen vermittelt, wie sie verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet erkennen können. Um die Lernmotivation aufrechtzuerhalten, wurden zudem diverse Gamification-Elemente in die E-Learning-Plattform integriert. Die zur Verfügung gestellten Inhalte wurden anhand anerkannter Standards, wie der Leitlinie zur Erstellung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen, entwickelt und sie werden kontinuierlich auf ihrer Aktualität hin überprüft. Zudem konnte in einer wissenschaftlichen Begleitstudie die Wirksamkeit der E-Learning-Plattform nachgewiesen werden. Erste Schritte für eine systematische und flächendeckende Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz sind also schon getan. Man darf mit Spannung erwarten, welche weiteren Förderkonzepte in Zukunft entstehen und umgesetzt werden.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.