Foto: Karsten Würth

„Das Thema überfordert uns alle“

Die Hamburger Kommunikationswissenschaftlerin Irene Neverla spricht heute auf dem K3-Klimakongress in Karlsruhe über ihre Forschung. Im Interview erklärt sie, was der Journalismus versäumt hat und welche Rolle die Mediennutzung für klimafreundliche Einstellungen spielt.

Frau Neverla, in der Ankündigung zu ihrem heutigen Vortrag heißt es, der Klimawandel habe als Kommunikationsthema ein großes Potenzial, berge aber auch Untiefen. Was ist damit gemeint?

Das Potenzial liegt unter anderem darin, dass es ein sehr anschlussfähiges Thema ist. Oder wie man im Journalismus sagt, es lässt sich in viele Richtungen herunterbrechen. Weil es sehr komplex ist und viele unterschiedliche Aspekte hat. Genau das führt aber auf der anderen Seite auch zu den genannten Untiefen: Ich glaube, das Thema überfordert uns alle.

Inwiefern?

Über das Grundproblem gibt es innerhalb der Klimaforschung einen starken Konsens. Bei den Details sind aber noch viele Fragen offen, etwa wie genau nun die Gletscherschmelze mit dem Anstieg des Meeresspiegels zusammenhängt. Außerdem ist die Dimension des Ganzen außergewöhnlich, sie übersteigt die sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Einzelnen. Deshalb sind wir als Individuen, aber auch als Gesellschaft, schlichtweg überfordert. Man weiß ja gar nicht: Wo soll man anfangen? Und wenn ich etwas tue, hat das überhaupt eine Wirkung?

Porträtfoto Irene Neverla
Irene Neverla ist emeritierte Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Forschungen über Journalismus und Demokratie, visuelle Kommunikation, Social Media sowie Wissenschafts- und Klimakommunikation. Foto: Steffen Burkhardt

Ist Komplexität nicht normal bei wissenschaftlichen Themen? Warum hat der Journalismus gerade bei der Vermittlung des Klimawandels Probleme?

Natürlich ist jedes wissenschaftliche Thema in gewisser Weise komplex, aber es gibt doch Abstufungen. Beim Klimawandel verstärkt sich das Problem in der Berichterstattung, weil diese lange Zeit in getrennten Ressorts stattfand. Im Wissenschaftsjournalismus hat man Erkenntnisse der Klimaforschung aufgegriffen, während die UN-Klimakonferenzen eher ein Fall für die Politik waren. Man sieht in Inhaltsanalysen sehr schön, dass das Thema in der Medienberichterstattung über Jahrzehnte meist vor sich hin dümpelt und nur kurz hochkocht, wenn es einen Klimagipfel gibt oder ein neuer IPCC-Report erscheint. Bis vor kurzem haben es die Redaktionen aber versäumt, über verschiedene Ressorts hinweg zu kooperieren und eine längerfristige Berichterstattung daraus zu machen. Allerdings stellen wir trotz dieser Mängel sichtbare Effekte in der Bevölkerung fest.

Welche Effekte sind das?

Es gibt regelmäßige Befragungen des Umweltbundesamtes dazu, was die Menschen in Deutschland als wichtige Herausforderungen ansehen. Lange dominierten hier wirtschaftliche Fragen oder die Gefahr durch den Terrorismus. 2018 hat das Thema Umwelt- und Klimaschutz einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht und liegt nun an dritter Stelle nach Bildung und sozialer Gerechtigkeit – damit wird es sogar als bedeutender eingeschätzt als Kriminalität, Terrorismus oder Migration. Das kann nur zu einem kleinen Teil an den Fridays for Future gelegen haben, denn die haben ja erst Ende 2018 so richtig Fahrt aufgenommen.

Was hat sich sonst in diesem Jahr geändert?

Ich würde vermuten, dass die punktuelle, aber über die Jahre hinweg doch kontinuierliche journalistische Berichterstattung der vergangenen Jahrzehnte – auch wenn sie aus heutiger Sicht unzureichend erscheint – immerhin geholfen hat, ein grundsätzliches Problembewusstsein in der Bevölkerung zu verankern. 2018 war außerdem ein sehr heißer und trockener Sommer. Die Menschen haben das am eigenen Körper gespürt und zumindest darüber nachgedacht, ob es bereits eine Auswirkung der globalen Klimaveränderung ist. Ab Mitte des Jahres gab es dann auch die ersten Medienberichte über Greta Thunbergs Schulstreik.

„Personalisierung ist im Journalismus wichtig, man möchte einen Menschen haben, von dem man Fotos zeigen und dessen Geschichte man erzählen kann.“ Irene Neverla
Warum sind die Fridays-for-Future-Proteste für Journalistinnen und Journalisten so attraktiv?

Der Journalismus reagiert auf einzelne, sichtbare Ereignisse, wie Protest-Demos. Hinzu kommt, dass es sich um eine weltweite Bewegung handelt, und dass sie mit Greta Thunberg auch eine zumindest informelle Führungsfigur hat. Personalisierung ist im Journalismus wichtig, man möchte einen Menschen haben, von dem man Fotos zeigen und dessen Geschichte man erzählen kann. In diesem Fall ist dieser Mensch auch noch außergewöhnlich: Jung und weiblich – ganz anders als die meisten Politstars –, dazu klug, aber doch eigensinnig. Das alles bietet perfekten Stoff für eine journalistische Bearbeitung.

Welche Rolle spielen Social Media für die Wahrnehmung des Klimawandels?

Ich glaube, dass die aktuelle Protestbewegung nicht durch soziale Medien alleine entstehen konnte, sondern dass es ein Wechselspiel zwischen sozialen Netzwerken und Journalismus war. Während viele ältere Menschen die neuen Medien noch immer mit Oberflächlichkeit verbinden, nutzt die Jugend das Internet dazu, um sich umfassend zu informieren. Vor allem die wissenschaftsinteressierten Jugendlichen, die sich etwa Wissen zum Klimawandel im Netz aneignen. Diese „Wissenschaftsaffinen“ sind einer von neun Social-Media-Nutzertypen, die wir in Interviewstudien identifiziert haben. Natürlich gibt es auch einen Typus, der dem sogenannten Establishment kritisch gegenübersteht und alles ablehnt, was von staatlichen Institutionen oder etablierten Medien kommt. Unsere Daten zeigen allerdings auch, dass soziale Medien nicht zu den wichtigsten Einflussfaktoren gehören, wenn es um Einstellungen zum Klimawandel geht.

Welche Faktoren sind denn bedeutsamer?

Die Mediennutzung ist nur ein Element, das unsere Sichtweisen und Einstellungen prägt. Unsere Sozialisation ist ein komplexer Prozess und viele andere Instanzen spielen eine mindestens genauso große Rolle: die Schule, die Familie, der Freundeskreis, aber auch eigene persönliche Erfahrungen, zum Beispiel durch Reisen. Der tägliche Medienkonsum sorgt für ein Grundwissen, aber allein bringt er normalerweise keine großen Veränderungen mit sich, wenn es um die Handlungsbereitschaft hinsichtlich des Klimawandels geht. Außer bei Leuten, die schon für das Thema sensibilisiert sind. Bei ihnen können solche Informationen eine größere Wirkung entfalten.

„Man kann das dem Journalismus nicht zum Vorwurf machen, aber im Vergleich zu Dokumentar- und mehr noch Spielfilmen transportiert er weniger emotionalen Anschub.“ Irene Neverla
Wie könnte der Journalismus seine Wirkung vergrößern?

Bei manchen der von uns befragten Personen ließ sich eine Art Schlüsselerlebnis finden, eine Initialzündung für das Klimabewusstsein. Sehr oft war das ein Dokumentarfilm, zum Beispiel „Eine unbequeme Wahrheit“ von Davis Guggenheim und Al Gore. So ein Film ist natürlich emotional viel packender als die tagesaktuelle journalistische Berichterstattung, die eher nüchtern und sachlich daherkommt. Das entspricht ja auch der Kernaufgabe des Journalismus. Man kann das dem Journalismus nicht zum Vorwurf machen, aber im Vergleich zu Dokumentar- und mehr noch Spielfilmen transportiert er weniger emotionalen Anschub.

Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig bei der Berichterstattung über den Klimawandel?

Man weiß aus Studien, dass das Herunterbrechen des Problems auf die lokale oder regionale Ebene sinnvoll ist: Was verändert der Klimawandel direkt vor unserer Haustür? Oder auch: Was können wir hier vor Ort unmittelbar tun? Das ist bislang zu wenig passiert. Hier in Hamburg gibt es den „Hamburger Klimabericht“, in dem es um die Folgen der globalen Erwärmung für die Stadt Hamburg und für den Küstenschutz in der Region geht. Auch der „Klimareport Mecklenburg-Vorpommern“ ist dafür ein Beispiel. Um solche Themen müsste sich die Klimawissenschaft noch stärker kümmern, da gibt es auch noch viel Forschungsbedarf. Aber schon jetzt könnten Journalistinnen und Journalisten ja einfach mal Forschende fragen, was man auf lokaler Ebene bereits bemerkt und welche lokalen Maßnahmen wirksam wären.

Sie sprechen über individuelle Handlungen, aber wären nicht vielmehr gesetzliche Regulierungen nötig? Und eine Kommunikation, die sich stärker an die Politik richtet?

Es ist kein Entweder-oder. Wir sehen schon lange, dass sich die Bevölkerung auf der einen Seite und die Politik auf der anderen Seite den schwarzen Peter zuschieben: Politikerinnen und Politiker sagen, die Menschen müssten ihren Lebensstil ändern, denn sie wollten niemandem etwas verbieten. Und die Bürgerinnen und Bürger sagen: Solange es keine politische Regelung gibt, mache ich erst mal weiter wie bisher.Ein ähnliches Spiel der Verantwortungszuweisung sehen wir bei den UN-Klimakonferenzen, wenn die Industrieländer und die Schwellen- und Entwicklungsländer die jeweils andere Seite zum Handeln auffordern. Mittlerweile scheint sich jedoch langsam das Bewusstsein durchzusetzen, dass alle etwas tun müssen. Die Forderung, Flugreisen oder den Fleischverzehr einzuschränken, ist nicht mehr so exotisch wie noch vor wenigen Jahren. Es findet gewissermaßen eine Enttabuisierung statt. Nur die Politik hat nach all den Jahren immer noch kein klares Konzept.