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Das Ende der Evolution?

Wie steht es um unsere Welt, wenn unsere Kinder erwachsen sind? Das ist die Grundfrage in Matthias Glaubrechts Buch „Ende der Evolution“. Im Gespräch erzählt der Evolutionsbiologie und Wissenschaftshistoriker, was ihn zum Schreiben veranlasste und welche Bedeutung er der Kommunikation mit einem Nicht-Fachpublikum beimisst.

Herr Glaubrecht, inwiefern hat Wissenschaftskommunikation für Sie eine Bedeutung in Ihrem Alltag als Wissenschaftler?

Wir haben damit als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur in der Vermittlung unserer jeweils eigenen, doch sehr begrenzten Forschungsschwerpunkte zu tun, sondern an den Naturkundemuseen auch mit weiterreichenden Themenkomplexen, die wir beispielsweise durch Ausstellungen und Veranstaltungen vermitteln. Ich bin seit mehr als zwei Jahrzehnten durch meine Tätigkeit – erst am Naturkundemuseum in Berlin und jetzt hier am Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg – aktiv in dieser Form der Wissenschaftskommunikation tätig. Das bedeutet vor allem, dass man Ausstellungen anschaulich gestaltet und Zugänge für Besucherinnen und Besucher zur Wissenschaft schafft. Das ist uns in Berlin sehr wirksam gelungen. Diese Arbeit wird auch in Zukunft im Vordergrund meiner Tätigkeit stehen. Wir hoffen sehr, dass wir jetzt in Hamburg – durch eine Fusion mit dem Bonner Naturkundemuseum – zum LIB werden, einem Leibniz-Institut für die Analyse des Biodiversitätswandels. Auch dort wird mein Job vor allem der Wissenstransfer sein.

Weshalb ist es aus Ihrer Sicht wichtig, das Thema Biodiversität zu kommunizieren?

Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe und Wissen­schaftshistoriker. Er hat seit 2014 eine Professur für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg, wo er als Gründungs­direktor das Centrum für Naturkunde (CeNak) mit einer der größten zoologischen Sammlungen Deutschlands leitet. Er ist Autor zahlreicher fachwissenschaftlicher Publikationen, Herausgeber wissenschaftlicher Journale und war von 2008 bis 2015 Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Daneben ist er Autor mehrerer preisgekrönter Bücher, darunter Biographien über Charles Darwin und Alfred Russel Wallace, sowie zahlreicher Artikel für Zeitungen und Zeitschriften, und war als wissenschaftlicher Berater an mehreren Fernsehproduktionen (etwa für TerraX) beteiligt. Foto: Sebastian Engels Fotografie

Es ist wichtig, dass wir als Naturkundemuseum in Hamburg unsere Forschung auch in diesem Bereich sichtbar machen, gerade weil das Thema noch längst nicht ausreichend Einzug in die gesellschaftliche Debatte findet. Wir diskutieren derzeit viel über den Klimawandel, aber die Themen Artenschwund und Artensterben sind noch zu wenig auf der Agenda. Viele nehmen den Artenschwund bisher höchstens anekdotisch wahr, etwa beim Insektensterben und freien Windschutzscheiben. Dabei ist es ein sehr brisantes Thema, und leider mehren sich in diesem Bereich die schlechten Nachrichten. Viele denken, dass, wenn wir das Nicht-mehr-als-zwei-Grad-Temperatur-Ziel erreichen, unsere Zukunftsprobleme gelöst sind. Dabei wird vielfach übersehen, dass wir auf Grund von Überbevölkerung, Ressourcenverknappung und -verschwendung den Lebensraum für sehr viele Tierarten einschränken und ihr Überleben quasi unmöglich machen.

Was bedeutet das konkret?

Egal, wohin wir als Biologen schauen, stellen wir fest, dass uns buchstäblich der Gegenstand unserer Forschung unter den Händen zerrinnt. Bis zu einer Million Tierarten drohen demnächst auszusterben. Und das betrifft nicht nur den Tiger, dessen Population von 100.000 Tieren, die wir um das Jahr 1900 hatten, auf gerade noch 4.000 Tiger im Freiland zusammengeschrumpft ist. Somit spielt er ökologisch in der Wildnis keine Rolle mehr; funktionell ist er sozusagen bereits tot. Natürlich werden wir den Tiger und andere charismatische Tiere als Art nicht verlieren; wir werden alles dafür tun, dass er wenigstens im Zoo erhalten bleibt. Aber wenn ich meinen Kindern heute das Dschungelbuch vorlese, dann denke ich bei jeder dort beschriebenen Tierart, dass sie diese in freier Wildbahn wohl nicht mehr zu sehen bekommen werden. Genau dieser Zustand war auch der Anlass für das Buch vom „Ende der Evolution“, das ich jetzt geschrieben habe. Die Grundfrage ist dabei: Wie sieht eigentlich die Welt meines sechsjährigen Sohnes aus, wenn er so alt ist wie ich?

Wieso haben Sie ausgerechnet ein Buch als Medium gewählt?

„Für komplexe naturkundliche Zusammenhänge ist ein Buch immer noch das beste Medium.“ Matthias Glaubrecht
Für komplexe naturkundliche Zusammenhänge ist ein Buch immer noch das beste Medium, gerade auch weil es um die faktenbasierte Nachprüfbarkeit von Thesen und Themen geht. Mein Buch ist das Resultat dessen, womit ich mich in den vergangenen zwei Jahrzehnten beruflich beschäftigt habe. Ich bin 2014 nach fast 20 Jahren Kuratoren- und Wissenschaftlertätigkeit am Berliner Naturkundemuseum hier in Hamburg auf eine Professur für die Biodiversität der Tiere berufen worden. Das ist direkt damit verknüpft, hier in Hamburg das im Krieg zerstörte Naturkundemuseum wiederaufzubauen. Da stellt sich natürlich die Frage, was man dort zeigt und was ein wichtiges gesellschaftliches Thema ist, das noch nicht überall gezeigt wird. Wir haben uns dafür entschieden, die Bedrohung der Vielfalt unserer Natur und die Rolle des Menschen dabei in den Vordergrund unserer neuen Ausstellung zu stellen. Und um genau dieses Zusammenspiel zwischen der Evolution des Menschen und der drohenden Vernichtung vieler Arten geht es auch in meinem Buch vom „Ende der Evolution“. Es ist sozusagen die Materialstudie zur zukünftigen Ausstellung hier in Hamburg.

Können Sie das etwas veranschaulichen?

Wir greifen nicht nur beim Klima, sondern inzwischen in beinahe sämtliche geologische und biologische, vor allem aber ökologische Prozesse auf der Erde ein – und zwar in einer Art und Weise, die sich die meisten Leute gar nicht vorstellen können. Wir sind beispielsweise zum dominierenden Super-Raubtier auf der Erde geworden und fressen uns sozusagen durch die gesamte Nahrungspyramide hindurch. Wir haben dabei etwa beinahe alle Großkatzen und andere große Raubtiere an den Rand der Ausrottung gebracht und zudem fast 80 Prozent der Ozeane leergefischt. Aber weil wir auf dem Wochenmarkt immer noch Fisch kaufen können, bekommt dies bisher kaum jemand mit beziehungsweise: Es betrifft unseren Alltag nicht – noch nicht. Das gleiche Prinzip gilt für fast alle anderen Regionen und Lebensräume. Ein zentrales Thema des Buches ist deswegen die Akkumulation dieser Fülle von Fakten, die wir zum Schwinden und Sterben der Arten inzwischen zusammentragen können. Das zweite große Thema des Buches ist die Entstehung des Menschen – also das angebliche Erfolgsmodell menschlicher Evolution. Unsere eigene Entwicklungsgeschichte als wandernder Pionier ist eng damit verknüpft, dass wir überall auf der Erde zum Plünderer und Räuber geworden sind. Unsere ererbte „Frontier“-Mentalität ist einer der Gründe, weshalb es uns so schwerfällt, nachhaltig zu wirtschaften und zu leben. Beides zusammen ergibt dann die große Frage: Wie können wir in Zukunft überleben und auch unsere Umwelt schützen beziehungsweise die Artenvielfalt erhalten? Das sind wichtige Fragen, vor allem auch, weil die Anzahl der Menschen auf der Erde ja weiter wächst.

Inwieweit präsentiert das Buch schon Lösungen für diese großen Fragen?

„Ich glaube, dass die Vermittlung das Erste ist, was wir machen müssen.“ Matthias Glaubrecht
Aus meiner Sicht geht es um zwei verschiedene Ziele und Fragen. Die erste ist: Wie vermittelt man das Problem des drohenden Artensterbens und schafft dafür Aufmerksamkeit? Die zweite: Was können wir da eigentlich tun? Ich glaube, dass die Vermittlung das Erste ist, was wir machen müssen. Ein Buch zu schreiben ist da natürlich ein recht klassischer Weg, aber einer, der weiterhin gut ankommt und der es erlaubt, das derzeitige Wissen und die erdrückende Faktenlage erst einmal als Grundlage anschaulich zu vermitteln. Das Buch ist dabei ein Versuch, durchaus auch auf erzählerische Weise den aktuellen Stand der Forschung zu dem Thema aufzuzeigen und interessierte Menschen ohne Fachkenntnisse darüber zu informieren und zu interessieren. Das Buch hat viele Fußnoten und Verweise auf Studien; aber es ist –hoffentlich – so geschrieben, dass alle es verstehen können.

Wie sehen Sie die Rolle von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Kommunikation?

Aus meiner Sicht ist es die Aufgabe als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler, nicht bloß Fakten zu präsentieren. Es geht vielmehr darum, den großen Bogen zu schlagen und die Erkenntnisse in den Kontext zu stellen. Das wird immer wichtiger in einer Zeit, in der wir immer kürzere Kommunikationsformate nutzen und quasi nur noch in 280 Zeichen miteinander sprechen. Deshalb war es mir in dem Buch auch wichtig, dass es nicht ausschließlich um das Artensterben geht, sondern auch darum, was der Mensch, unsere eigene Evolution und unsere Denkmuster und Verhaltensweisen damit zu tun haben. Mir war auch wichtig, in zwei verschiedenen Zukunftsszenarien aufzuzeigen, was alles noch passieren kann. Wichtig ist, dass wir das menschengemachte Artensterben weltweit schnell realisieren und das Thema schnell auf die Agenda kommt, denn wir haben schlicht und einfach keine Zeit mehr zu warten.

„Wichtig ist, dass wir das menschengemachte Artensterben weltweit schnell realisieren und das Thema schnell auf die Agenda kommt, denn wir haben schlicht und einfach keine Zeit mehr zu warten.“ Matthias Glaubrecht

Wieso sollten Forscherinnen und Forscher denn aktiv kommunizieren, reicht es nicht, wenn dies von professionellen Kommunikatorinnen und Kommunikatoren gemacht wird?

Wenn wir direkt kommunizieren und zwar über unsere Themengebiete und unsere eigene Forschung, dann ist es viel authentischer und viel glaubhafter. Deswegen glaube ich, dass die Aufgabe der Wissenschaft es zunehmend auch ist, diese Vermittlungsrolle mit zu übernehmen. Das gilt sowohl für Museen – wo es immer schon Teil unserer Aufgabe war – als auch für Universitäten; und es sollte am besten immer auch im Zusammenspiel mit Kommunikationsprofis passieren.

Wie kommt es denn bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Wissenschaft an, dass sie in Ihrer Arbeit einen so starken Fokus auf die Kommunikation mit dem Nicht-Fachpublikum setzen?

„Zur Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zählt auch die Vermittlung von Wissenschaft. Dieser Grundsatz kommt immer mehr an, auch in den Leitungsebenen.“ Matthias Glaubrecht
In Deutschland galt sehr lange das Prinzip: Wer etwas leicht Verständliches schreibt, der kann ja kein guter Wissenschaftler, keine gute Wissenschaftlerin sein. Nach einer Weile ist man über diesen Zweifel erhaben, wenn man wissenschaftlich bestimmte Meriten erworben hat. Ich kann mich aber noch an ein Gespräch mit dem sehr guten und zudem berühmten amerikanischen Paläontologen Stephen Jay Gould erinnern, der mir mal sagte, dass er es mutig findet, dass ich sehr früh auch allgemeinverständlich über Forschung zu schreiben begonnen habe. Er selbst hat damit erst angefangen, als er in Harvard als Forscher etabliert war. Allerdings hat sich in diesem Bereich viel zum Positiven verändert. Ich sehe die Ressentiments von früher heute so nicht mehr. Für mich ist ganz klar: Zur Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zählt auch die Vermittlung von Wissenschaft. Dieser Grundsatz kommt immer mehr an, auch in den Leitungsebenen.