Wie steht es um unsere Welt, wenn unsere Kinder erwachsen sind? Das ist die Grundfrage in Matthias Glaubrechts Buch „Ende der Evolution“. Im Gespräch erzählt der Evolutionsbiologie und Wissenschaftshistoriker, was ihn zum Schreiben veranlasste und welche Bedeutung er der Kommunikation mit einem Nicht-Fachpublikum beimisst.
Das Ende der Evolution?
Herr Glaubrecht, inwiefern hat Wissenschaftskommunikation für Sie eine Bedeutung in Ihrem Alltag als Wissenschaftler?
Wir haben damit als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur in der Vermittlung unserer jeweils eigenen, doch sehr begrenzten Forschungsschwerpunkte zu tun, sondern an den Naturkundemuseen auch mit weiterreichenden Themenkomplexen, die wir beispielsweise durch Ausstellungen und Veranstaltungen vermitteln. Ich bin seit mehr als zwei Jahrzehnten durch meine Tätigkeit – erst am Naturkundemuseum in Berlin und jetzt hier am Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg – aktiv in dieser Form der Wissenschaftskommunikation tätig. Das bedeutet vor allem, dass man Ausstellungen anschaulich gestaltet und Zugänge für Besucherinnen und Besucher zur Wissenschaft schafft. Das ist uns in Berlin sehr wirksam gelungen. Diese Arbeit wird auch in Zukunft im Vordergrund meiner Tätigkeit stehen. Wir hoffen sehr, dass wir jetzt in Hamburg – durch eine Fusion mit dem Bonner Naturkundemuseum – zum LIB werden, einem Leibniz-Institut für die Analyse des Biodiversitätswandels. Auch dort wird mein Job vor allem der Wissenstransfer sein.
Weshalb ist es aus Ihrer Sicht wichtig, das Thema Biodiversität zu kommunizieren?
Es ist wichtig, dass wir als Naturkundemuseum in Hamburg unsere Forschung auch in diesem Bereich sichtbar machen, gerade weil das Thema noch längst nicht ausreichend Einzug in die gesellschaftliche Debatte findet. Wir diskutieren derzeit viel über den Klimawandel, aber die Themen Artenschwund und Artensterben sind noch zu wenig auf der Agenda. Viele nehmen den Artenschwund bisher höchstens anekdotisch wahr, etwa beim Insektensterben und freien Windschutzscheiben. Dabei ist es ein sehr brisantes Thema, und leider mehren sich in diesem Bereich die schlechten Nachrichten. Viele denken, dass, wenn wir das Nicht-mehr-als-zwei-Grad-Temperatur-Ziel erreichen, unsere Zukunftsprobleme gelöst sind. Dabei wird vielfach übersehen, dass wir auf Grund von Überbevölkerung, Ressourcenverknappung und -verschwendung den Lebensraum für sehr viele Tierarten einschränken und ihr Überleben quasi unmöglich machen.
Was bedeutet das konkret?
Egal, wohin wir als Biologen schauen, stellen wir fest, dass uns buchstäblich der Gegenstand unserer Forschung unter den Händen zerrinnt. Bis zu einer Million Tierarten drohen demnächst auszusterben. Und das betrifft nicht nur den Tiger, dessen Population von 100.000 Tieren, die wir um das Jahr 1900 hatten, auf gerade noch 4.000 Tiger im Freiland zusammengeschrumpft ist. Somit spielt er ökologisch in der Wildnis keine Rolle mehr; funktionell ist er sozusagen bereits tot. Natürlich werden wir den Tiger und andere charismatische Tiere als Art nicht verlieren; wir werden alles dafür tun, dass er wenigstens im Zoo erhalten bleibt. Aber wenn ich meinen Kindern heute das Dschungelbuch vorlese, dann denke ich bei jeder dort beschriebenen Tierart, dass sie diese in freier Wildbahn wohl nicht mehr zu sehen bekommen werden. Genau dieser Zustand war auch der Anlass für das Buch vom „Ende der Evolution“, das ich jetzt geschrieben habe. Die Grundfrage ist dabei: Wie sieht eigentlich die Welt meines sechsjährigen Sohnes aus, wenn er so alt ist wie ich?
Wieso haben Sie ausgerechnet ein Buch als Medium gewählt?
Können Sie das etwas veranschaulichen?
Wir greifen nicht nur beim Klima, sondern inzwischen in beinahe sämtliche geologische und biologische, vor allem aber ökologische Prozesse auf der Erde ein – und zwar in einer Art und Weise, die sich die meisten Leute gar nicht vorstellen können. Wir sind beispielsweise zum dominierenden Super-Raubtier auf der Erde geworden und fressen uns sozusagen durch die gesamte Nahrungspyramide hindurch. Wir haben dabei etwa beinahe alle Großkatzen und andere große Raubtiere an den Rand der Ausrottung gebracht und zudem fast 80 Prozent der Ozeane leergefischt. Aber weil wir auf dem Wochenmarkt immer noch Fisch kaufen können, bekommt dies bisher kaum jemand mit beziehungsweise: Es betrifft unseren Alltag nicht – noch nicht. Das gleiche Prinzip gilt für fast alle anderen Regionen und Lebensräume. Ein zentrales Thema des Buches ist deswegen die Akkumulation dieser Fülle von Fakten, die wir zum Schwinden und Sterben der Arten inzwischen zusammentragen können. Das zweite große Thema des Buches ist die Entstehung des Menschen – also das angebliche Erfolgsmodell menschlicher Evolution. Unsere eigene Entwicklungsgeschichte als wandernder Pionier ist eng damit verknüpft, dass wir überall auf der Erde zum Plünderer und Räuber geworden sind. Unsere ererbte „Frontier“-Mentalität ist einer der Gründe, weshalb es uns so schwerfällt, nachhaltig zu wirtschaften und zu leben. Beides zusammen ergibt dann die große Frage: Wie können wir in Zukunft überleben und auch unsere Umwelt schützen beziehungsweise die Artenvielfalt erhalten? Das sind wichtige Fragen, vor allem auch, weil die Anzahl der Menschen auf der Erde ja weiter wächst.
Inwieweit präsentiert das Buch schon Lösungen für diese großen Fragen?
Wie sehen Sie die Rolle von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Kommunikation?
Aus meiner Sicht ist es die Aufgabe als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler, nicht bloß Fakten zu präsentieren. Es geht vielmehr darum, den großen Bogen zu schlagen und die Erkenntnisse in den Kontext zu stellen. Das wird immer wichtiger in einer Zeit, in der wir immer kürzere Kommunikationsformate nutzen und quasi nur noch in 280 Zeichen miteinander sprechen. Deshalb war es mir in dem Buch auch wichtig, dass es nicht ausschließlich um das Artensterben geht, sondern auch darum, was der Mensch, unsere eigene Evolution und unsere Denkmuster und Verhaltensweisen damit zu tun haben. Mir war auch wichtig, in zwei verschiedenen Zukunftsszenarien aufzuzeigen, was alles noch passieren kann. Wichtig ist, dass wir das menschengemachte Artensterben weltweit schnell realisieren und das Thema schnell auf die Agenda kommt, denn wir haben schlicht und einfach keine Zeit mehr zu warten.
Wieso sollten Forscherinnen und Forscher denn aktiv kommunizieren, reicht es nicht, wenn dies von professionellen Kommunikatorinnen und Kommunikatoren gemacht wird?
Wenn wir direkt kommunizieren und zwar über unsere Themengebiete und unsere eigene Forschung, dann ist es viel authentischer und viel glaubhafter. Deswegen glaube ich, dass die Aufgabe der Wissenschaft es zunehmend auch ist, diese Vermittlungsrolle mit zu übernehmen. Das gilt sowohl für Museen – wo es immer schon Teil unserer Aufgabe war – als auch für Universitäten; und es sollte am besten immer auch im Zusammenspiel mit Kommunikationsprofis passieren.
Wie kommt es denn bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Wissenschaft an, dass sie in Ihrer Arbeit einen so starken Fokus auf die Kommunikation mit dem Nicht-Fachpublikum setzen?