Was hat Aristoteles mit Maithink X zu tun? Mehr, als man denkt, meint Rhetoriktrainerin Debora Diehl. In ihrem Gastbeitrag zeigt sie, wie antike Prinzipien die moderne Wissenschaftskommunikation stärken können.
Rhetorik: Was Maithink X richtig macht
Ob auf der Bühne eines Science Slams, hinter dem Mikrofon bei einer Podcastaufzeichnung oder im Scheinwerferlicht eines TED-Talks – wie gelingt es, Inhalte so zu vermitteln, dass sie hängen bleiben? Wie schafft man es, Expertise zu zeigen, ohne abzuschrecken? Oder Emotionen zu wecken, ohne ins Dramatische abzudriften? Eine überraschende Antwort auf diese Fragen hat die antike Rhetorik.
Ein über 2000 Jahre alter Werkzeugkasten
Schon Aristoteles wusste: Wer überzeugen will, braucht mehr als nur Fakten. In seiner „Rhetorik“1 beschreibt er die drei Grundpfeiler gelungener Rede:
- Logos steht für die inhaltliche Durchdringung.
- Pathos zielt auf die Emotionen des Publikums.
- Ethos beschreibt die Glaubwürdigkeit der sprechenden Person.
Diese drei Prinzipien sind nicht nur theoretisch sinnvoll, sondern praktische Strategien, die sich erstaunlich gut auf moderne Formate der Wissenschaftskommunikation übertragen lassen. Ein gutes Beispiel ist die ZDFneo-Show Maithink X. Wie Mai Thi Nguyen-Kim und ihr Team Logos, Pathos und Ethos meistern, werden wir uns gleich genauer ansehen.
„Durch die Rede […] überzeugt man, wenn man Wahres oder Wahrscheinliches aus jeweils glaubwürdigen Argumenten darstellt.“ (Aristot. rhet. 1,2,6)2
Logos: Die klare Gedankenführung
Beginnen wir mit dem Fundament: Logos. Klar, Wissenschaft ist faktenbasiert. Aber das bedeutet nicht, dass man sie automatisch verständlich kommunizieren kann. Wer schon einmal versucht hat, jemandem in fünf Minuten zu erklären, was ein Quantengravitationsmodell ist, weiß, dass gutes Erklären Struktur braucht. Und einen roten Faden, der nicht schon nach dem zweiten Satz reißt.
Zu Beginn einer Rede sollte stets klar sein, warum sie gehalten wird – was also der konkrete Anlass ist. Ebenso wichtig ist das Ziel. Geht es darum zu informieren, eine Meinung zu äußern, zu überzeugen oder eine bestimmte Stimmung zu erzeugen? Erst wenn Anlass und Ziel bestimmt sind, beginnt die eigentliche Arbeit: Relevantes Material auswählen, strukturieren und so aufbereiten, dass es zur jeweiligen Zielgruppe passt. Dabei gilt ein zentrales Prinzip. Nicht alles, was man weiß, sollte auch gesagt werden. Vielmehr geht es darum, ein komplexes Thema so zu vermitteln, dass es verständlich und nachvollziehbar wird. Und entscheidend ist dabei: „Die Erarbeitung der inneren Logik eines Redethemas ist Voraussetzung dafür, dass der Redner den Inhalt später mit eigenen Worten in seiner Rede sprechsprachlich umsetzen kann.“3
Wer also beispielsweise in Science Slams überzeugen will, muss einen komplexen Sachverhalt so aufbereiten, dass er nachvollziehbar wird, ohne banal zu wirken. Bei Maithink X wird das sehr eindrucksvoll in der Folge „Die Psychologie der Täuschung“ (14.04.2022) gezeigt, konkret ab Minute 3:10. Die Sportreporterin Claudia Neumann und der Sportjournalist Béla Réthy verdeutlichen mithilfe einer klugen Dramaturgie, einer sehr verständlichen Sprache und starken Bildern den Barnum-Effekt. Dieser erklärt, warum wir dazu neigen, Aussagen über unsere Person, die wie in Horoskopen sehr vage und allgemeingültig sind, oft für wahr zu halten.
Logos sorgt also für Orientierung. Ohne ihn verlieren sich die Zuhörenden. Mit ihm bleiben sie dabei – und lernen sogar gern etwas Neues.
„Mittels der Zuhörer überzeugt man, wenn sie durch die Rede zu Emotionen verlockt werden.“ (Aristot. rhet. 1,2,5)4
Pathos: Die Brücke zum Publikum
Wissenschaftskommunikation ist kein Monolog. Wer spricht, spricht immer zu jemandem und idealerweise mit jemandem. Pathos ist in der antiken Rhetorik die bewusste Hinwendung zum Publikum. Was sind dessen Erwartungen, Vorwissen und emotionale Lage?
Das bedeutet zunächst einen Perspektivwechsel durchzuführen. Wer hört mir zu und warum? Menschen hören nicht zu, um sich belehren zu lassen. Sie wollen abgeholt, mitgenommen, emotional und intellektuell berührt werden. Deshalb reicht es nicht aus, Inhalte gut zu strukturieren. Man muss sie auch so gestalten, dass sie Resonanzräume eröffnen.
Gerade in Podcasts funktioniert das besonders gut. Die Nähe zur Stimme, die intime Hörsituation, die Möglichkeit, mit Atmosphäre zu arbeiten – all das macht es leicht, einen Bezug zum Publikum herzustellen. Auch bei Maithink X wird das immer wieder deutlich. Zum Beispiel wenn Mai mit Personen aus dem Publikum interagiert, wie sie es in der ersten Folge am 24.10.2021 immer wieder mit Maurice macht, der in der ersten Reihe sitzt. Sie geht zudem in allen Folgen ungekünstelt und spontan auf Reaktionen aus dem Publikum ein. Gute Kommunikation bedeutet auch, Fragen zu antizipieren, Irritationen aufzugreifen und Zwischentöne zuzulassen. Es geht nicht darum, alles zu wissen, sondern darum, den anderen zu zeigen, dass man mitdenkt.
Eine Rede wird zu einem virtuellen Gespräch, wenn die sprechende Person die Perspektive des Publikums einnimmt. Am besten gelingt das, wenn wirkliches Interesse für dessen Sichtweisen und Lebenswelten vorhanden ist.5
„Durch den Charakter geschieht dies, wenn die Rede so dargeboten wird, dass sie den Redner glaubwürdig erscheinen lässt. Den Anständigen glauben wir nämlich eher und schneller […].“ (Aristot. rhet. 1,2,4)6
Ethos: Wie Authentizität Vertrauen schafft
Menschen hören nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern auch darauf, wer es sagt. Und wie. Genau hier kommt Ethos, also die Glaubwürdigkeit der sprechenden Person ins Spiel.
In der Wissenschaft ist Ethos oft schon qua Titel gegeben: Dr. XY, Professorin für Z. Aber echtes Vertrauen entsteht vor allem durch Haltung, Präsenz und Authentizität. Es geht darum, eine Position zu zeigen, ohne dogmatisch zu wirken. Und darum, nahbar zu bleiben, auch wenn man viel weiß.
Ein schönes Beispiel hierzu liefert wieder Maithink X. In der ersten Folge resümiert Mai ab Minute 23:00: „Ich will gar nicht, dass ihr mir blind vertrauen müsst, sondern dass ihr das, was ich über Wissenschaft sage, selbst einordnen könnt.“ Damit unterstreicht sie einen wichtigen Aspekt des Ethos. Sie räumt ein, dass auch sie als Expertin nicht alles weiß. Und dass Wissen nur dann Wert hat, wenn man Methoden und Evidenz nachvollziehen kann.
Um auf der Bühne glaubwürdig aufzutreten, muss man nicht perfekt sein. Im Gegenteil, ein bisschen Selbstironie, ein offenes Lächeln oder ein ehrlicher Zweifel können Wunder wirken. Sie machen Wissenschaftler*innen menschlich. Und das ist oft der stärkste Hebel, um das Publikum mitzunehmen.
Können wir Glaubwürdigkeit lernen? Zum Glück nicht. Glaubwürdigkeit kann technisch nicht vermittelt werden. Sie zeigt sich in der Haltung und entfaltet ihre Wirkung im Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Der Inhalt steht im Einklang mit der Person, die spricht. Die Sache rückt in den Mittelpunkt, nicht das Ego.
Ergänzend beschreiben Sprechwissenschaftler*innen Glaubwürdigkeit auf drei Ebenen. Da ist zum einen das Sichtbare, also Körperhaltung, Blickkontakt, Gestik und Mimik. Die zweite Ebene ist der Sprachstil, also Satzbau und Wortwahl. Die dritte Ebene betrifft den Sprechstil, zu dem Sprechtempo, Lautstärke, Melodieführung, Stimmklang und Artikulation gehören.7 Wenn sich daraus ein stimmiges Gesamtbild ergibt, halten wir Menschen viel eher für glaubwürdig als wenn die Mimik beispielsweise nicht zum Gesagten passt.
Drei Prinzipien, ein Zusammenspiel
In der Praxis wirken Logos, Pathos und Ethos nie isoliert. Sie greifen ineinander, wie Zahnräder. Ein Science Slam funktioniert nicht, wenn er nur unterhaltsam ist, aber keine Substanz bietet (kein Logos). Ein gut strukturierter Vortrag bleibt blass, wenn er die Zuhörenden nicht anspricht (kein Pathos). Und ein Podcast verliert an Wirkung, wenn er emotional ist, aber die Erzähler*innen nicht glaubwürdig erscheinen (kein Ethos).
Gerade deshalb lohnt sich der Blick auf die antike Rhetorik. Sie zwingt uns, alle drei Ebenen mitzudenken. Und das ist vielleicht die größte Stärke des Modells: Es ist ein integratives Prinzip. Eines, das Forschenden hilft, ihre Inhalte nicht nur zu vermitteln, sondern erlebbar zu machen.
Die Bühne hat sich verändert. Die Formate auch. Aber das Ziel ist geblieben, nämlich zu überzeugen, zu begeistern und zu bewegen. Ob in Athen vor über 2000 Jahren oder heute beim TED-Talk oder im Podcast-Studio. Gute Kommunikation ist mehr als Informationsvermittlung.
Was wir also von Aristoteles lernen können? Dass Wissenschaftskommunikation dann am stärksten ist, wenn sie Herz, Kopf und Haltung zusammenbringt.
- Vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Ditzingen: Reclam 2019. ↩︎
- Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Ditzingen: Reclam 2019, S. 13. ↩︎
- Grießbach, Thomas / Lepschy, Annette (2023): Rhetorik der Rede. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen: narr, S. 110. ↩︎
- Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Ditzingen: Reclam 2019, S. 13. ↩︎
- Grießbach, Thomas / Lepschy, Annette (2023): Rhetorik der Rede. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen: narr, S. 111.
↩︎ - Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Ditzingen: Reclam 2019, S. 12. ↩︎
- Meyer, Dirk (2013): Rede. In: Bose, Ines / Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur / Stock, Eberhard: Einführung in die Sprechwissenschaft. Phonetik, Rhetorik, Sprechkunst. Tübingen: narr, S. 110 f. ↩︎