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Zum Gegenangriff gegen Desinformation

„Fakt oder Fake: Wie gehen wir mit der Wissenschaftsskepsis um?“ so lautete die Preisfrage des Essay-Wettbewerbs 2022 der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Aus über 140 Einreichungen prämierte die Akademie erstmals gleichrangig drei Beiträge. Wir stellen sie auf unserer Seite vor. Heute: Der Essay von Joachim Allgaier in gekürzter Fassung.

Wie gelingt die Förderung der Skepsis gegenüber absichtlich herbeigeführter gesellschaftlicher Wissenschaftsskepsis?

Nicht erst seit der Coronapandemie, aber insbesondere zu diesem Zeitpunkt, wurde deutlich, dass wissenschaftliches Wissen und die Expertise von Wissenschaftler*innen in der Öffentlichkeit von einem Teil der Gesellschaft vergleichsweise systematisch angezweifelt und zum Teil organisiert attackiert wird. Dies hat vor allem mit öffentlich verbreiteten Fehlinformationen zu tun. Hier macht es Sinn, zwischen unterschiedlichen Arten von Fehlinformationen zu unterscheiden. Zum einen gibt es Falschinformationen, die sich unbeabsichtigt in die Berichterstattung einschleichen können, etwa durch unzureichende Recherche oder Übertragungsfehler. Im Englischen wird dies als misinformation bezeichnet. Liegt jedoch die eindeutige Intention vor, faktisch inkorrekte Informationen in Umlauf zu bringen, zum Beispiel um bestimmte Personen oder Institutionen zu schädigen, sprechen wir von Desinformation (beziehungsweise im Englischen von disinformation). Diese sind besonders relevant für das Verständnis einer absichtlich gewollten gesellschaftlichen Wissenschaftsskepsis.

Dieses Phänomen ist nicht neu, professionelle Zweifler*innen mit und ohne wissenschaftliche Affiliationen wurden zum Beispiel in Kampagnen von Tabak- und Ölfirmen eingesetzt, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Tabakrauch Krebs erzeugt, öffentlich anzuzweifeln oder zumindest zu verzögern, ebenso wie die heute wissenschaftliche Tatsache, dass der Klimawandel Ergebnis menschlichen Handelns ist (Oreskes/Conway 2010). Außerdem ging und geht es auch um die persönliche Diffamierung individueller Wissenschaftler*innen. Inzwischen wurden einige juristische und auch politische Anstrengungen unternommen, um herauszufinden, was aus wissenschaftlicher Sicht der Fall ist – die Arbeit des Weltklimarats zum wissenschaftlichen Stand des Klimawandels stellt hierbei ein extremes Beispiel dar. Noch ist keine einfache und eindeutige Antwort darauf gefunden, wie idealerweise auf derartige Kampagnen reagiert werden muss, aber an dieser Stelle sollen dem komplexen Mosaik dieser Debatte ein paar Wissenssteinchen hinzugefügt werden, die hilfreich für das Verständnis dieser Problemlage sind.

„Seit einigen Jahren wird eine schleichende Erosion in der Akzeptanz wissenschaftlicher Expertise diagnostiziert.“ Joachim Allgaier
Seit einigen Jahren wird eine schleichende Erosion in der Akzeptanz wissenschaftlicher Expertise diagnostiziert. In der Erinnerung haften geblieben ist etwa der Ausspruch des damaligen konservativen britischen Lordkanzlers Michael Andrew Gove von 2017, dass „die Leute seines Landes die Schnauze voll von Experten hätten“ (Portes 2017). Gründe für den Vertrauensverlust in Expert:innen wären nach Tom Nichols wenigstens zum Teil auch in Fehlentwicklungen im Wissenschaftssystem selbst angelegt. Hierzu gehöre unter anderem ein wachsender Wettbewerbsdruck, zu großes Selbstvertrauen, Narzissmus und die Weckung zu hoher Erwartungen (Nichols 2017). Diese Entwicklung wurde zusätzlich durch die Herausbildung unzähliger neuer Verbreitungswege für antiintellektuelles Denken und wissenschaftsfeindliche Desinformation begünstigt, nicht zuletzt durch das Internet.

Bedauerlicherweise fanden die Feinde der Demokratie im neuen, vorwiegend digitalen Informationsökosystem nahezu ideale Bedingungen vor, um die tragenden Institutionen freiheitlicher Gesellschaften anzugreifen, von denen die Wissenschaft nur eine darstellt. Populist*innen unterschiedlicher Färbungen attackierten hierbei neben demokratisch legitimierten Regierungen insbesondere journalistische Medien und wissenschaftliche Einrichtungen. Ihr Ziel ist es, den Ruf dieser Institutionen nachhaltig zu schädigen, da Journalismus und Wissenschaft beide für die Überprüfung der Wahrhaftigkeit von Behauptungen, Nachrichten und Berichten vonnöten sind. Verlieren sie in der Öffentlichkeit an Ansehen, ist es wesentlich einfacher, allerlei Falschinformationen unbeschadet unters Volk zu bringen und so die eigenen Verstrickungen zu verschleiern und unbegründete Anklagen zu verbreiten (z.B. McIntyre 2018). Dies geschieht zu einer Zeit, in der die Herausforderungen für die Menschheit durch Konflikte, Klimawandel und Artensterben nahezu überwältigend und irrationale Ansichten für Teile der Bevölkerung zunehmend akzeptabler werden. Auch schon vor der Coronakrise gab es bereits eine Impfskepsis in Teilen der Bevölkerung, wurde der menschengemachte Klimawandel geleugnet und unzählige Verschwörungserzählungen zu wissenschafts- und forschungsnahen Themen verbreitet. Die globale Pandemielage verschaffte deren Anhänger*innen nun aber die Möglichkeit größerer Sichtbarkeit und ausgiebiger Vernetzung. Die Feinde der Demokratie konnten sich in diesem Klima mühelos wissenschaftsskeptische Ansichten zunutze machen und diese in ihrem eigenen Sinne gezielt fördern und verbreiten.

„Auch die Politik ist ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen Desinformation.“ Joachim Allgaier
Um dem Problem der absichtlich herbeigeführten Wissenschaftsskepsis zu trotzen, ist es unerlässlich, auf mehreren Ebenen zum Gegenangriff gegen Desinformationsinformationskampagnen auszuholen. Der Wissenschaft kommt hierbei eine zentrale Rolle zu; diese Aufgabe kann sie jedoch nicht alleine bewältigen. Hierzu müssen Allianzen gebildet werden, zum Beispiel insbesondere mit Journalist*innen und journalistischen Medien oder zentralen Anlaufstellen für Medien und Öffentlichkeit. (Das Science Media Center in Großbritannien und sein deutscher Ableger Science Media Center Germany könnten hierfür ein mögliches Vorbild liefern. Diese sind sehr von der Kooperation der Wissenschaftler*innen abhängig.) Aber auch mit Schulen, Aus- und Fortbildungseinrichtungen, die zum einen die Medien- und Informationskompetenz fördern, zum anderen aber auch über die grundsätzlichen Arbeitsweisen und Qualitätssicherungsverfahren von Wissenschaft und Journalismus aufklären müssen, um das Vertrauen in sie zu stärken. Auch die Politik ist ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen Desinformation. Die Europäische Kommission (2022) zum Beispiel bringt derzeit mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) zwei wichtige Regulierungsverfahren in Position, deren Aufgabe es unter anderem ist, digitale Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, um die Verbreitung von Desinformationen einzudämmen. Auch mit den Betreiber*innen von Social-Media-Plattformen selbst sollte die Wissenschaft in Kontakt treten, um sie länderspezifisch beraten zu können.

Um der großen Flut an wissenschaftsbezogener Desinformation auf den sozialen Plattformen zu begegnen, müssen dort hochwertige wissenschaftsbasierte Informationen bereitgestellt werden. Die Wissenschaft selbst kann das alleine nicht leisten, hier braucht es Kooperationen mit erfahrenen Praktiker*innen der Wissenschaftskommunikation und eine Diversifizierung der Angebote vonseiten der Wissenschaftskommunikation, die zielgruppenspezifisch und nutzenorientiert vorgehen. Darüber hinaus sollte darüber nachgedacht werden, populäre Produzent*innen von Inhalten auf sozialen Medien, die deren Funktionsweisen und Kommunikationsgepflogenheiten sehr gut kennen, mit ins Boot zu holen (zum Beispiel Donhauser/Beck 2021). Für die Wissenschaft ist es von großem Vorteil, wenn sie auch Influencer*innen und Prominente als Fürsprecher*innen auf ihrer Seite hat, da diese zum Teil enorme Reichweiten erzielen und Zielgruppen ansprechen, die die Wissenschaft selbst oft nicht erreicht (zum Beispiel Allgaier 2020). Die Wissenschaftskommunikation hat hier grundsätzlich das Problem der Selbstselektion ihrer Zielgruppen. Typischerweise erreicht sie vorrangig diejenigen, die bereits Interesse an Wissenschaft und Forschung an den Tag legen und eher wenig anfällig sind für wissenschaftsbezogene Desinformation. Im gegenwärtigen Klima ist es daher besonders wichtig, bisher vernachlässigte Gruppen anzusprechen und zu inkludieren. Hierzu gibt es bereits einige sehr hilfreiche Vorarbeiten aus der Forschung zum Thema Wissenschaftskommunikation (zum Beispiel Humm/Schrögel 2020).

„Konkurrenzdenken unter Individuen und wissenschaftlichen Einrichtungen behindert die öffentliche Kommunikation und schädigt das Bild der Wissenschaft nach außen.“ Joachim Allgaier
Um einer generellen Skepsis in sie vorzubeugen, kann die Wissenschaft aber auch selbst einiges tun: Sie könnte für eine größere Transparenz der wissenschaftlichen Arbeit sorgen und die innerwissenschaftliche Kontrolle von Qualitätsstandards verbessern. Wissenschaftler*innen und wissenschaftliche Einrichtungen sollten sich der Gesellschaft gegenüber mehr öffnen, den öffentlichen Dialog suchen und den Bürger*innen auf Augenhöhe begegnen. Ein Anreizsystem für öffentliche Wissenschaftskommunikation wäre hierbei förderlich für die Einbindung individueller Wissenschaftler*innen. Konkurrenzdenken unter Individuen und wissenschaftlichen Einrichtungen behindert die öffentliche Kommunikation und schädigt das Bild der Wissenschaft nach außen. Wissenschaftler*innen, die in der Öffentlichkeit präsent sind, müssen sich im Fall von Bedrohungen und Anfeindungen darauf verlassen können, dass sie die Rückendeckung von ihren Institutionen haben und im Extremfall auch von diesen geschützt werden.

Das Phänomen der Wissenschaftsskepsis muss auch mehr zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung werden und ein regelmäßiges Monitoring sollte Aufschluss darüber geben, bei welchen gesellschaftlichen Gruppen die Ablehnung von Wissenschaft besonders groß ist. Hier sollte dann gezielt nachgeforscht werden, warum das so ist und was man dagegen konkret tun kann. Bei der weltweiten Ausbreitung von Desinformation handelt es sich, wie auch beim menschengemachten Klimawandel, Artensterben, bei Pandemien und der rasanten Weiterentwicklung von Technologien wie etwa der künstlichen Intelligenz, um gesellschaftliche Herausforderungen. Ohne wissenschaftliche Einblicke wird es nicht möglich sein, angemessen auf diese Entwicklungen zu reagieren.

„Skepsis an sich ist nicht verkehrt.“ Joachim Allgaier
Skepsis an sich ist nicht verkehrt. Es ist durchaus sinnvoll, den Erkenntnissen der Wissenschaft und dem wissenschaftlichen Betrieb gegenüber eine gewisse Wissenschaftsskepsis an den Tag zu legen. Die durch außerwissenschaftliche Akteur*innen gezielt herbeigeführte Wissenschaftsskepsis durch Unwahrheiten, Verleumdungen und Fehlinformationen zählt aber nicht dazu. Im zweiten Fall ist es die Aufgabe von Wissenschaft und Zivilgesellschaft, im Verbund zum Gegenangriff vorzugehen und gemeinsam die Skepsis gegenüber der desinformativen Wissenschaftsskepsis zu fördern.

Es handelt sich bei diesem Gastbeitrag um eine gekürzte Fassung des Beitrages, den Joachim Allgaier für die Preisfrage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eingereicht hat. Den kompletten Beitrag finden Sie hier.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.


Die zwei weiteren Siegerbeiträge der ÖAW Preisfrage finden Sie hier:

Alexander Bogner, Wie wir mit Wissenschaftsskepsis umgehen sollten

Klaus Gorurgé, Die Geburt der Wissenschaft aus dem Geiste der Skepsis