Foto: Matthias Horn

„Wir wollen fantasieren und visionäre Projekte vorstellen“

Beim Thementag „Theater trifft Wissenschaft“ am Berliner Ensemble diskutieren Forschende mit dem Publikum über Misstrauen und Verantwortung. Dramaturgin Sibylle Baschung gibt einen Ausblick auf den Tag, erläutert die Perspektiven von Forschung und Kunst und was Bertolt Brecht und Fridays for Future gemeinsam haben.

Frau Baschung, beim Thementag „Theater trifft Wissenschaft“ holen sie zum dritten Mal das Thema Forschung auf die Bühne des Berliner Ensembles. Was möchten Sie damit bei Ihrem Publikum bewirken?

Wir möchten immer wieder Raum und Gelegenheit schaffen, Inhalte, die uns alle in der Gegenwart bewegen, anzusprechen, erfahrbar zu machen und zu vertiefen – in diesem Fall das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Das machen wir zum einen spielerisch und sinnlich über die Kunst mit einer Inszenierung des Stücks „Galileo Galilei. Das Theater und die Pest“ nach Bertolt Brechts „Leben des Galilei“. Auf der anderen Seite wollen wir das Thema auch rational reflektieren. Das tun wir etwa bei den Podiumsdiskussionen mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Forschungsgebieten. Im letzten Jahr hatten wir zwei kleinere Veranstaltungen „Theater trifft Wissenschaft“. Jetzt widmen wir dem Thema zum ersten Mal einen ganzen Tag.

Das Motto des Tages ist „Wissenschaft zwischen Misstrauen und Verantwortung“. Warum haben sie diesen Gegensatz gewählt?

Sibylle Baschung ist Leitende Dramaturgin des Berliner Ensembles. Nach ihrem Studium der Germanistik und Geschichtswissenschaften war sie in der Dramaturgie an Theatern zwischen Zürich und Berlin. Foto: privat
Sibylle Baschung ist Leitende Dramaturgin des Berliner Ensembles. Nach ihrem Studium der Germanistik und Geschichtswissenschaften war sie in der Dramaturgie an Theatern zwischen Zürich und Berlin. Foto: privat

Weil diese Themen schon bei Brecht und heute immer noch eine große Rolle spielen. Brecht beschreibt, wie Galilei seine Erkenntnis, dass die Erde um die Sonne kreist, auf gesellschaftlichen und kirchlichen Druck hin öffentlich widerruft. Das Urteil von Brecht dazu lautet: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ Dieser Satz könnte heute zum Beispiel auch auf den Transparenten der Fridays-for-Future-Bewegung stehen. Und damit sind wir mitten in die Gegenwart und unserem Thementag, an dem wir zwei zentrale Fragen fokussieren möchten.

Welche sind das?

Woher kommt auf einmal das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft? Wieso wird beispielsweise der Klimawandel von unterschiedlicher Seite her geleugnet trotz der vielseitigen Evidenz? Darüber sprechen die Meeresbiologin Antje Boetius, die letztes Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde, und der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger, ehemaliger Direktor des Max Planck-Instituts. Ein zweites Thema ist die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, die Brecht in einem zweiten Zusammenhang ebenfalls sehr beschäftigt hat. Nach einem Durchbruch in der Kernphysik wurde ab 1939 die erste Atombombe entwickelt. Dazu sagte er: Es ist schimpflich geworden, etwas zu entdecken. Die politische und gesellschaftliche Frage, die seither laufend diskutiert wird, ist: Darf oder muss die Forschung bereits in die Verantwortung genommen werden im Hinblick darauf, was mit ihren Entdeckungen angestellt wird? Oder muss sie davon unberührt und frei bleiben? Wer bestimmt nach welchen Kriterien, welche Forschung gefördert wird? Liegt die Verantwortung ganz woanders und wenn ja, wo? Bei Politik, Lobbyverbänden, der Wirtschaft? Das wird gerade etwa bei der Forschung zur Künstlichen Intelligenz diskutiert. Dazu wird es ein Podium geben mit dem Bioinformatiker Uwe Ohler und dem Internetaktivist Frank Rieger.

Partner des Thementages ist die Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. Wie arbeiten Sie konkret zusammen?

Schon seit einem Jahr arbeite ich eng mit Andreas Kosmider, dem Bereichsleiter für strategische Initiativen bei der Helmholtz-Gemeinschaft. Gemeinsam sehen wir uns zu Beginn einer Spielzeit unsere Stücke an. Wir diskutieren dann und schauen, zu welchen Themen wir beide etwas zu sagen haben: Wo die Helmholtz-Gemeinschaft mit ihren Kompetenzen, ihren Schwerpunkten und ihrem Wissen anknüpfen kann und wo auch wir Möglichkeiten sehen, uns dem Thema von einer künstlerischen Seite zu nähern. In einem Konzept formulieren wir dann Fragestellungen, die wir in der Veranstaltung diskutieren möchten.

Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit besonders?

Dass die Helmholtz-Gemeinschaft einen unglaublich großen Pool an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und damit einen Schatz an Expertenwissen hat. Davon profitieren wir bei den Veranstaltungen und bei den Vorbereitungen mancher Produktionen, bekommen spannende Impulse und können gemeinsam mit den Forschenden und dem Publikum unsere Fragen reflektieren. Künstlerinnen und Künstler ergänzen das Gespräch, indem wir versuchen, die Themen auch sinnlich erlebbar zu machen mit Literatur und Theaterspielen. Expertenwissen wird zum Beispiel auch in Form eines Science-Slams spielerisch präsentiert. Wir wollen dabei auch fantasieren dürfen und visionäre Projekte vorstellen können, ohne uns gleich von der Realität oder der Frage der Machbarkeit bremsen zu lassen – schließlich sind wir ja ein Theater…