Warum Forschung kaum den Weg in die Gründung findet

Gründungen aus der Wissenschaft dauern in Deutschland im Schnitt über ein Jahr, oft sogar deutlich länger. Warum dauert es so lange? Im Interview erklärt Barbara Diehl von der SPRIND Agentur für Sprunginnovationen, welche Hürden Universitäten und Gründer*innen bremsen und welche Ansätze den Transfer beschleunigen könnten.

Frau Diehl, wie lange dauert es an deutschen Universitäten von der Idee bis zur Ausgründung? 

Viel zu lange. Wenn es um Forschung geht, kann es im Schnitt 18,4 Monate vom Erstgespräch bis zur Vertragsunterzeichnung dauern. Das hat eine Befragung unter Gründer*innenteams gezeigt, die wir Ende 2024 durchgeführt haben.

Barbara Diehl ist seit über 15 Jahren aktiv an der Schnittstelle von Wissenschaft, Forschung, Gesellschaft und Unternehmer*innentum, zuletzt als Bereichsleiterin für Transfer und Innovation bei der Helmholtz Gemeinschaft. Bei SPRIND kümmert sie sich vornehmlich um die Partnerschaften und um innovationsökosystemrelvante Initativen, wie beispielsweise den IP-Transfer. Bild: SJoyPhotography

Es kann auch deutlich länger werden – bis zu 36 Monate. Das passiert vor allem, wenn es sehr komplexe Gemengelagen gibt, also wenn mehrere Institutionen beteiligt sind. Besonders in Bereichen wie Biotechnologie oder Pharma sind meist mehrere Partner im Spiel: eine Universität, eine Uniklinik und vielleicht noch eine außeruniversitäre Einrichtung. Mit all denen muss verhandelt werden, und das braucht Zeit.

Was möchten Sie mit dem Projekt IP Transfer 3.0 vom Stifterverband* und der SPRIND Agentur verändern?

Wir vertreten die Auffassung, dass Gründungen deutlich schneller und unkomplizierter ermöglicht werden müssen, unabhängig davon, ob sie Einnahmen für die Einrichtung generieren oder nicht. 

Jedes Start-up, das daraus entsteht, ist potenziell wertvoll, schafft Arbeitsplätze und bringt Steuereinnahmen. Bereits am Anfang zu versuchen, möglichst viel Geld aus den Gründungen zu ziehen, steht dem Transfer im Wege.

Solche Gründungen sind jedoch noch selten. Selbst die großen, forschungsstarken Universitäten in Deutschland haben meist nicht mehr als zwei Ausgründungen pro Jahr, die auf geistigem Eigentum basieren. Würde es häufiger passieren, könnten Universitäten mehr Professionalität aufbauen. So muss jedes Mal das Rad neu erfunden werden.

Was sind denn Stolpersteine, die dazu führen, dass diese Prozesse so lange dauern? 

Wir haben uns angeschaut, was passiert, wenn Forschungsergebnisse zu Erfindungen oder anderen schützbaren Ideen führen. Also wenn Gründerteams regeln müssen, wie sie diese Ergebnisse mit ihrer Hochschule oder Forschungseinrichtung gemeinsam nutzen dürfen.

Wir haben dafür mit einer Pilotgruppe aus Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammengearbeitet und festgestellt, dass die Einrichtungen sich wünschen, dass die Gründer*innen besser über den Prozess informiert sind. Es sollte von Anfang an eine gewisse Augenhöhe bestehen, damit sie den Ablauf besser nachvollziehen können. 

Alle Beteiligten sollten sich einig sein, wie wertvoll das Schutzrecht ist, welches der geplanten Ausgründung zugrunde liegt. Sie sollten auch wissen, welche Rolle es für den Erfolg des geplanten Unternehmens spielt.

Das wünschen sich die Universitäten. Was brauchen die Gründer*innenteams?

Es geht es darum, eine Verhandlungssituation zu entkrampfen, die oft noch sehr konfrontativ abläuft. Es würde schon helfen, wenn Universitäten offen darlegen, wie sie mit Ausgründungen umgehen. Sie sollten auf ihrer Website klar erklären, welche Regeln für die Nutzung von Forschungsergebnissen gelten. Und auch, welche Bandbreiten an Lizenzgebühren oder Beteiligungen in der Regel angelegt werden. 

Eine Maßnahme, die wir anbieten, sind standardisierte Musterverträge, damit nicht jede Institution ihr eigenes Vertragswerk nutzen muss. Um dieses schwarze Loch, in das man hineinfällt, auszuleuchten und das Misstrauen zu verringern, das solche Verhandlungen unnötig belasten kann. 

In solchen Verhandlungen schwingt schnell der Verdacht mit: Die wollen mich hier über den Tisch ziehen. Je mehr man das abbauen kann, desto besser. Wir wollen, dass akademische Forschung draußen in der Gesellschaft Wert stiftet, und die Universitäten haben ein Interesse daran, als Innovationsmotor wahrgenommen zu werden. Diese Interessen liegen auf einer Linie. Deshalb sollte man gemeinsam überlegen, wie der beste Deal für beide Seiten aussehen kann. 

Wie geht es dann weiter, wenn es zu der ersten Verhandlung kommt?

In den meisten Fällen zahlen Gründer*innen zunächst eine Art Nutzungsgebühr für das geistige Eigentum, die mit einer Miete für eine Wohnung vergleichbar ist. Das ist das gängige Modell an Universitäten. Nur wenige Einrichtungen wählen den Weg, sich im Gegenzug für die Nutzung einen kleinen Anteil am Unternehmen zu sichern. Auch eine Kombination ist möglich: Zunächst wird gemietet und später kann eine Kaufoption vereinbart werden.

Welches Modell empfehlen Sie? 

Die Frage ist: Wie kann eine Universität Anteilseigner an einer potenziellen Erfolgsgeschichte sein, ohne die ganzen Pflichten von ordentlichen Gesellschafter*innen zu übernehmen? Viele Einrichtungen scheuen das, weil diese Rolle sehr aufwendig ist. 

Wir empfehlen das Modell der TU Darmstadt mit sogenannten virtuellen Anteilen. Dabei ist man bei der Gründung offiziell Gesellschafter*in und erhält beim Verkauf oder Börsengang seinen Anteil wie alle anderen auch. Im Gegensatz zu normalen Gesellschafter*innen hat man während des Wachstums jedoch keine Mitspracherechte. Man profitiert also finanziell, ohne das Unternehmen aktiv mitzubestimmen. So können Einrichtungen Anteile halten und potenziell später monetär partizipieren, ohne den Aufwand von Gesellschafter*innenbeschlüssen, Papierkram oder Versammlungen.

Was sind die größten Hürden für die Gründer*innen?

Die größte Hürde ist, dass sie damit vorher kaum Berührungspunkte hatten. Sie treten aus ihrer akademischen Komfortzone heraus in eine völlig andere Welt, mit der sie normalerweise kaum Erfahrungen haben. 

Unser akademisches System trägt dazu bei, dass ein bestimmtes Narrativ von wissenschaftlicher Exzellenz entsteht. Exzellenz wird daran gemessen, was die Peer-Community denkt, wie Publikationen aufgenommen werden und wie Forschung zum Fachgebiet beiträgt. Ob damit später reale Wirkung entsteht, spielt dabei kaum eine Rolle. Das ist ein grundsätzlicher Punkt, der sich ändern muss.

Wie könnte das funktionieren?

Wir brauchen ein anderes Narrativ für exzellente Wissenschaft, eines, das Transfer und Translation einbezieht. Wissenschaftskommunikation ist dabei ein Kanal, über den Transfer stattfinden kann. Es geht nicht nur um Industriekooperationen oder Ausgründungen, sondern es gibt viele verschiedene Formen des Transfers, die alle gleichermaßen wertvoll sind.

Der Punkt ist, dass Transfer bislang weder Teil des Bewertungssystems noch des Anreizsystems in der Wissenschaft ist. Wenn Politik mehr Transfer fördern will, muss sie entsprechende Anreize setzen.

Das ist ein gutes Stichwort. Die Bundesregierung hat den Transfer von forschungsbasierten Ausgründungen im Koalitionsvertrag verankert. Was erhoffen Sie sich, wird sich dadurch ändern? 

Ich hoffe, dass es deutlich stringenter überprüft wird, was im Transfer tatsächlich geleistet wird. Wissenschaftsorganisationen sollten von der Politik klar vermittelt bekommen, dass sie mehr tun müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass sie dafür entsprechende Ressourcen benötigen.

Ich erwarte mir von der Politik eine strengere Einforderung von Transferleistungen, auch bei außeruniversitären Einrichtungen. Wir haben dem Bundesministerium dafür Textbausteine für Förderrichtlinien geliefert. Bisher waren diese Richtlinien sehr offen formuliert. Es sollte deutlich stärker darauf geachtet werden, dass ein klarer Anteil der Fördermittel – nicht nur ein Prozent, sondern mindestens fünf Prozent – in Transfer und Translation fließt.

Bei SPRIND fördern Sie sogenannte ‚Sprunginnovationen‘ – Innovationen, die potenziell eine besonders große wirtschaftliche Wirkung haben könnten. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, an dem gerade in Deutschland an einer solchen Innovation gearbeitet wird?

Ein spannendes Beispiel ist die Circular Biomanufacturing Challenge. Dabei geht es darum, aus verschiedenen Abfallströmen mit Hilfe von Mikroben neue Rohstoffe zu erzeugen. Das können Klärschlamm, Agrarabfälle oder alte Textilien sein. Diese werden in Bioreaktoren gegeben und in neue Materialien umgewandelt, zum Beispiel für den 3D-Druck oder andere Anwendungen.

Ein Blick ins Labor. AmphiStar nutzt Mikroorganismen um Abfall in nachhaltige Tenside zu verwandeln. Video: SPRIND

Die Projekte stoßen allerdings schnell an eine große Herausforderung: den Übergang vom Labormaßstab in einen Demonstrations- oder industriellen Maßstab. Wenn man von einem 50-Liter-Bioreaktor auf 1000 oder 10.000 Liter skalieren will, ist die Finanzierung dafür sehr begrenzt. Das Problem ist erkannt, aber eine wirkliche Lösung gibt es bisher noch nicht. Einige Projekte in unserem Portfolio haben im kleinen Maßstab schon demonstriert, dass die Idee funktioniert. Wenn sie jedoch gesellschaftlich relevante Wirkung entfalten sollen, braucht es noch Lösungen und Kapital für die Skalierung.

Viele deutsche Startups gehen in die U.S.A. oder lassen sich dort kaufen. Haben Sie eine Idee, wie man Deutschland als Standort attraktiver machen könnte? 

Startups gehen vor allem dann in die USA, wenn größere Kapitalbeträge benötigt werden, weil Europa bisher nicht über die gleiche finanzielle Schlagkraft verfügt. Für eine gewisse Anfangsphase ist das noch machbar, aber wenn es darum geht, richtig groß zu werden, stoßen Startups in Deutschland schnell an finanzielle Grenzen. 

Daran muss gearbeitet werden. In Ländern wie Frankreich gibt es gesetzliche Regelungen, die Versicherungen und Pensionsfonds erlauben, in Risikokapital zu investieren. In Deutschland ist das bisher nicht möglich. Solche Kapitalquellen könnten genutzt werden, um insgesamt mehr Geld in diesen Investitionsbereich zu bringen.

*Der Stifterverband ist einer der Förderer der Plattform Wissenschaftskommunikation.de.