Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im August 2017

Die Sommerpause macht sich rückwirkend auch in unserem Forschungsrückblick bemerkbar, so dass wir diesmal nur zwei aktuelle Studien näher vorstellen können. In der ersten geht es um die Kommunikation mit Wissenschaftsskeptikern. In der zweiten um den Umgang mit Ebola in der westafrikanischen Presse.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Wenn Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Jiu Jitsu: Ablehnung von Wissenschaft überwinden

Die Zahl derer, die wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht glauben wächst. Allein Fakten zu kommunizieren scheint dagegen nicht zu helfen. Die psychologischen Gründe hierfür und Vorschläge für eine gelungene Kommunikation, stellen Matthew J. Hornsey und Kelly S. Fielding von der University of Queensland (Australien) im American Psychologist dar.

Methodik: Diverse Studien haben sich schon damit beschäftigt, warum Menschen wissenschaftliche Erkenntnissen keine Glauben schenken. Hornsey und Fieldling werteten diese Studien aus und fassten die Ergebnisse systematisch zusammen. Es handelt sich demnach um eine Metastudie, bei der keine eigenen Daten erhoben wurden.

Ergebnisse: Warum lassen sich Menschen nicht (immer) durch wissenschaftliche Fakten überzeugen? Die Grundannahme der beiden Autoren: Weil wir Argumente bzw. Fakten, die unseren inneren Einstellungen widersprechen, eher anzweifeln und zwar unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Stimmen Argumente hingegen mit unsere eigenen Einstellungen überein, glauben wir ihnen eher. In der Psychologie wird dies als motivated reasoning bezeichnet, eine Verzerrung unseres logischen Denkens also.

Um also der Motivation anti-wissenschaftlicher Haltungen auf den Grund zu Grund zu gehen, müsse man diese tiefliegenden, inneren Einstellung (“attitude roots”, S. 460)  identifizieren. Sechs relevante Motivgruppen identifizierten die Forscher:

  1. Ideologien, Werte und Weltanschauungen
    Hierunter fallen aus der “cultural cognition theory” stammende Einstellungsmuster, wie z. B. eine individualistische vs. kommunitaristische oder eine hierarchische vs. egalitäre Weltanschauung. So hätten Studien etwa gezeigt, dass Personen, die der Ideologie Freier Märkte anhängen eher den menschengemachten Klimawandel ablehnen, da Gegenmaßnahmen staatliche Regulierung implizierten.
  2. Verschwörungstheoretische Ideen
    Personen in deren Weltanschauung korrupte Machteliten mit finsteren Absichten im Geheimen die Geschicke der Menschheit lenken, seien ebenfalls anfälliger für (irrationale) Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Beispielhaft hierfür seien etwa Impfgegner, die wissenschaftliche Befunde als Teil einer Verschwörung der Pharmalobby ablehnen.
  3. Eigennützige Interessen
    Wenn Schlussfolgerungen aus Forschungsergebnissen mit Kosten für einen selbst einhergehen, dann könne dies ebenfalls zur Leugnung dieser Ergebnisse oder zumindest der abgeleiteten Folgerungen führen.
  4. Ausdruck persönlicher Identität
    Haltungen und Einstellungen können die eigene Identität formen und durch Kommunikation nach außen verdeutlichen. Jemand der sich für besonders individuell hält, könnte also den wissenschaftlichen Konsens ablehnen, um genau das auszudrücken.
  5. Anforderungen der sozialen Identität
    Die soziale Identität besteht aus den Erwartungen, die Gruppen oder Gemeinschaften an die Einstellung und das Verhalten ihrer Mitglieder haben. Deswegen sei z. B. ein Republikaner eher dazu geneigt Fakten zum menschengemachten Klimawandel zu leugnen als ein Demokrat, allein schon um seine Gruppenidentität aufrecht zu erhalten.
  6. Ängste und Phobien
    Auch Ängste und Phobien könnten, so Hornsey und Fielding, die Ablehnung von Wissenschaft bestärken. Eine Phobie vor Spritzen könnte zur Ablehnung von Impfungen führen, um die eigene Angst rational zu begründen.

Schlussfolgerungen: Da die bloße Vermittlung wissenschaftlicher Fakten und Kenntnisse bei Personen mit den obigen Einstellung nicht per se zu einer anderen Haltung gegenüber Wissenschaft führe – eventuell sogar Widerstände noch stärke –, empfehlen die beiden Autoren eine andere Kommunikationsstrategie. Ähnlich wie beim Jiu Jitsu sollte die “Kraft” des Gegenübers genutzt werden und die Botschaften auf die zugrundeliegenden Einstellungen zugeschnitten werden. Die Ziele einer solchen Kommunikationsstrategie seien damit ähnlich denen des Social Marketing oder von Psychotherapien. Konkret heiße dies zum Beispiel, bei Anhängern des Freien Marktes marktkonforme Lösungen für den Klimawandel zu betonen.

Zwar sei ihr Modell bisher nicht empirisch getestet worden, allerdings legten Einzelergebnisse anderer Studien seine Wirksamkeit nahe: Betonte man zum Beispiel den wirtschaftlichen Nutzen “grüner” Technologien, so seien Klimaskeptiker eher bereit gewesen ihr Verhalten zu ändern.

Da die bloße Vermittlung von Fakten vor allem bei Menschen mit einer anti-wissenschaftlichen Haltung ineffektiv sei, brauche es eine Doppelstrategie: Für die Mehrheit reichten Botschaften, die Fakten und den wissenschaftlichen Konsens darstellen. Für die “nicht überzeugte Minderheit” (S. 470) brauche es hingegen maßgeschneiderte Botschaften.

Einschränkungen: Hornsey und Fieldings sind sich bewusst, dass ihr Vorschlag in der Umsetzung schwierig ist. Welche Einstellung etwa jemand hat, ist nicht auf den ersten Blick sichtbar und vielleicht der Person selbst noch nicht einmal bewusst.

Da es sich um eine Metastudie handelt, liegt die Auswahl und Interpretation der herangezogenen Studien bei den Verfassern. Ohne dies im Detail beurteilen zu können, zeigt sich ein starker Fokus auf den Klimawandel, was die Frage der Übertragbarkeit auf andere Wissenschaftsthemen aufwirft.

Grundsätzlicher sind mögliche Bedenken gegen eine “maßgeschneiderte Kommunikation”. Was ist etwa, wenn die Botschaften für eine Gruppe negative Effekte bei einer anderen Gruppe hervorrufen? Es stellt sich auch die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, etwa Verschwörungstheoretikern zu kommunizieren, dass die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse selbst Teil einer Verschwörung sei? Wäre es hier nicht sinnvoller nach den Ursachen solcher Einstellungen zu fragen – auch wenn dies eventuell über das Feld der Wissenschaftskommunikation hinausgehen würde?

Hornsey, M. J., & Fielding, K. S. (2017). Attitude roots and Jiu Jitsu persuasion: Understanding and overcoming the motivated rejection of science. American Psychologist, 72(5), 459–473.


Komplex: Wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Informationen bei Ebola

Zwischen 2013 und 2016 wütete in Westafrika eine Ebola-Epidemie, die über 10.000 Menschen das Leben kostete. In der lokalen Berichterstattungen spielten neben wissenschaftlichen Informationen über die Krankheit auch nicht-wissenschaftliche Informationen eine Rolle. Wie diese zusammen spielten, haben Bankole A. Falade (Universität Bielefeld) und Clare J. Coultas (London School of Economics and Political Science) untersucht.

Methodik: Die beiden Forscher analysierten 4201 Artikel aus zwölf westafrikanischen Zeitungen die das Schlüsselwort “Ebola” enthielten. Abgedeckt wurde ein Zeitraum von Januar 2013 bis Mai 2015. Auf Basis eines von den Wissenschaftlern erstellten Wörterbuchs zählten sie automatisiert wie häufig bestimmte Wortgruppe vorkamen, um so Rückschlüsse auf die Art der Darstellung der Seuche zu ziehen. Zusätzlich schätzten sie sowohl die Relevanz der Artikel anhand der Häufigkeit des Wortes “Ebola” ein als auch die Wichtigkeit von Wortgruppen anhand ihrer Häufigkeit und ihrer Spezifität. Um letzteres abzubilden erstellten sie ein statistisches Maß namens “frequency-inverse document frequency” (tf-idf). Je höher der Wert ausfiel, desto relevanter war eine Wortgruppe in der Berichterstattung.

Ergebnisse: Die Forscher fanden einen signifikanten statistischen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Ebolatoten und dem Umfang der Berichterstattung.

Inhaltlich hatten Wörter mit Bezug zu Religion die höchste Relevanz (tf-idf: 716), gefolgt von dem Themenbereich “Gerüchte und Verschwörungstheorien” (tf-idf: 456). Erst danach kamen wissenschaftliche Risikoinformationen (tf-idf: 400). Die Wörtergruppe “Traditionen” erreichte die geringste Relevanz (tf-idf: 256). Insgesamt, so die Forscher, überwogen Nicht-Risikoinformationen (tf-idf: 848) deutlich gegenüber Risikoinformationen (tf-idf: 400). Die Risikoinformationen selbst enthielten Angaben zu den Symptomen von Ebola, Übertragungswegen und vorbeugenden Maßnahmen.

Als Akteure tauchten in den Artikel vor allem Regierungsstellen auf (tf-idf: 957), gefolgt von Wissenschaftlern (td-idf: 798) und kulturellen Akteuren (tf-idf: 392). In letztere Kategorie fielen zum Beispiel Bischöfe, Imame oder traditionelle Heiler.

Regierungsakteure bezeichneten ungebildete Familien und Gemeinschaften als größtes Hindernis bei der Bekämpfung der Seuche und rekurrierten damit, in den Augen von Falade und Coultas, auf das Defizitmodell der Wissenschaftskommunikation.

Die kommunikativen Rollen von religiösen Institutionen und Akteuren ließ sich in drei Kategorien einteilen: 1. Ablehnung von Wissenschaft und Verweis auf die Heilung durch Glaube, 2. gleichzeitige Kommunikation von religiösen und wissenschaftsbasierten Empfehlungen, auch wenn diese sich widersprachen und 3. Verbreitung wissenschaftlicher Informationen und Empfehlungen zu Ebola.

Traditionen und spirituelle Praktiken trugen zur Verbreitung von Ebola bei und standen auch kommunikativ mit wissenschaftlichen Informationen in Konflikt. Dies ging soweit, dass etwa die Präsidentin Liberias und der Vizepräsident von Sierra Leone dazu aufriefen diese Praktiken zu stoppen, während gleichzeitig traditionelle Heiler in Radio- und Fernsehwerbung damit warben, Ebola heilen zu können.

Ein ähnlicher Konflikt habe sich auf den ersten Blick auch zwischen wissenschaftlichen Informationen und Verschwörungstheorien bzw. Gerüchten aufgetan. Zumindest die Ausschreitungen in einigen Ländern erklären die Forscher aber nicht damit, dass Risikoinformationen ignoriert wurden. Stattdessen seien wirtschaftliche Faktoren, Angst und Stigmatisierung die Auslöser gewesen, welche wiederum teilweise erst durch den Aufruf entstanden seien, an Ebola erkrankte Personen zu meiden. Teilweise sei auch die fehlerhafte Interpretation wissenschaftlicher Informationen ursächlich für Verschwörungstheorien gewesen, etwa hinsichtlich der Verfügbarkeit neuer Medikamente.

Schlussfolgerungen: Laut der beiden Forscher, spielten nicht-wissenschaftliche Informationen in den Zeitungen eine wichtige Rolle in der Ebola-Berichterstattung und korrelierte signifikant mit den wissenschaftsbasierten Risikoinformationen. Diese wiederum seien nicht leicht zu verstehen gewesen, insbesondere da die Symptome von Ebola denen anderer Krankheiten ähneln. Die Übernahme der Risikoinformationen in den Alltag habe zudem zur Stigmatisierung und Isolierung von kranken und auch geheilten Patienten geführt – sowohl seitens medizinischer Fachkräfte als auch durch Laien.

Die Koexistenz von religiösen, traditionellen und wissenschaftlichen Überzeugungen ist für die Autoren ein starker Hinweis auf die kognitive Gleichzeitigkeit verschiedener Wissensarten. Der – wenn auch falsche – Bezug auf Wissenschaft bei Gerüchten und Verschwörungstheorien, zeigt für sie zudem, dass der nicht-wissenschaftliche Diskurs nicht per se frei von wissenschaftlichen Argumenten sei und beide Welten nicht streng getrennt seien.

Für zukünftige Seuchenausbrüche geben Falade und Coultas drei Empfehlungen:

  1. Wissenschaftskommunikation solle Prozesse entwickeln, um sich mit dem Erfahrungswissen der Bevölkerung auseinander zu setzen. Dies sei insbesondere wichtig, wenn Angst eine Rolle spielt oder traditionelle Werte und Praktiken ein Risiko darstellen.
  2. Wenn es ein tiefsitzendes Misstrauen zwischen Gemeinschaften und Wissenschaftlern bzw. westlichen Hilfsorganisationen gibt, müsste die Vertrauensbildung in die Aktivitäten der Gemeinschaft integriert werden.
  3. Mit gefährdeten Gemeinschaften müsste von Seiten globaler Gesundheitsorganisationen frühzeitiger kommuniziert werden, um auf Notfälle vorbereitet zu sein.

Einschränkungen: Die Autoren weisen selbst darauf hin, dass unklar ist, inwiefern die Bevölkerung die in den Zeitungen verbreiteten Auffassungen teilte. Da sich die Studie auf Ebola und Westafrika fokussiert, ist die Übertragung auf andere Krankheiten und Länder nicht per se möglich. Das automatische erfassen und kategorisieren von Wortgruppen hat zudem den Nachteil, dass zwangsläufig Kontext verloren geht und es so eventuell zu fehlerhaften Zuordnungen oder Interpretationen kommen kann.