Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im April 2020

In diesem Forschungsrückblick beschäftigt uns gleich zweimal die Interpretation von Zahlen und Statistiken. Außerdem geht es darum, wie man das Wissenschaftsinteresse von Vorschulkindern fördert.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Kinder wollen lieber „forschen“ statt „Wissenschaftler sein“

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden häufig als ein spezieller Menschenschlag mit besonderen Eigenschaften wahrgenommen – das zeigt eine Reihe von Studien. Kinder, die entsprechende Stereotype verinnerlicht haben, zeigen ein geringeres Interesse an Wissenschaft. Könnte es da hilfreich sein, Vorschulkinder dazu anzuregen, „zu forschen“ statt „Forscherin oder Forscher zu sein“? Das wollte ein Team um die Psychologin Marjorie Rhodes von der New York University in einer aktuellen Studie herausfinden.

Methodik: Die Wissenschaftlerinnen arbeiteten mit Vorschulen für Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren in New York City zusammen. Die Lehrerinnen und Lehrer erhielten Material, um eine 20-minütige Unterrichtseinheit zum Thema Reibungswiderstand vorzubereiten. Zur Instruktion sollten sie sich außerdem ein Video ansehen. Die Hälfte der Teilnehmenden sah einen Film, in dem eine Lehrerin den Kindern gegenüber stets von „forschen“ in Verbform sprach („doing science“) und häufig auf den Prozesscharakter der Wissenschaft hinwies, indem sie Verben wie „vorhersagen“ und „beobachten“ benutzte. Die andere Hälfte der Lehrkräfte diente als Kontrollgruppe und sah ein gekürztes Video, in dem es keine konkreten Beispiele für Formulierungen gab. Die Unterrichtseinheit wurde mit einem Tongerät aufgezeichnet. Ein paar Tage später absolvierten dann die insgesamt 1.147 Vorschulkinder, die an der Unterrichtsstunde teilgenommen hatten, einige Tests, unter anderem zu ihrem Interesse an Wissenschaft.

„Die Art, wie Lehrerinnen und Lehrer über Wissenschaft sprechen, beeinflusst das Engagement und das Interesse von Vorschulkindern in Bezug auf Forschung.“
Ergebnisse: Lehrerinnen und Lehrer der Kontrollgruppe, die das Video ohne beispielhafte Ansprache der Kinder gesehen hatten, redeten viel häufiger „identitätsbasiert“ über Forschung: Sie sagten etwa „Heute sind wir mal alle Wissenschaftler“ oder „Wissenschaftler sein ist cool!“. Lehrkräfte, die das ausführlichere Video gesehen hatten, übernahmen dagegen häufig dessen „handlungsbasierte“ Sprache. Statt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als sozialer Kategorie zu sprechen, steht dabei die Tätigkeit des Forschens im Mittelpunkt, was sich in Sätzen wie „Heute forschen wir!“ oder „Zum Forschen brauchen wir unsere Sinne“ widerspiegelt. Tatsächlich erwiesen sich Kinder, deren Lehrkräfte den Prozesscharakter der Wissenschaft auf diese Weise betont hatten, in den anschließenden Tests hartnäckiger bei einem Forschungsquiz, und sie zeigten tendenziell ein größeres Interesse an Wissenschaft insgesamt.

Schlussfolgerungen: Die Art, wie Lehrerinnen und Lehrer über Wissenschaft sprechen, beeinflusst das Engagement und das Interesse von Vorschulkindern in Bezug auf Forschung. Das liege vermutlich daran, dass Kategorienbezeichnungen wie „Wissenschaftlerinnen“ und „Wissenschaftler“ eher das Besondere von Forschenden betonen und Stereotype aktivieren, von denen sich viele Kinder nicht angesprochen fühlten, so Rhodes und ihre Kolleginnen.

Einschränkungen: Die Ergebnisse sind spezifisch für die USA und die dort im Vorschulkontext verwendete Sprache. Im Deutschen scheint das Verb „forschen“ bereits sehr verbreitet zu sein, während stark identitätsbasierte Formulierungen wie „Let’s turn on our special scientist brains!“ hierzulande eher unüblich wirken. Es dürften in verschiedenen Ländern daher jeweils andere sprachliche Mittel nötig sein, um einer Stereotypisierung von Forschenden entgegenzuwirken.

Rhodes, M., Cardarelli, A. & Leslie, S.-J. (2020). Asking young children to “do science” instead of “be scientists” increases science engagement in a randomized field experiment. Proceedings of the National Academy of Sciences, 117, 9808–9814. https://doi.org/10.1073/pnas.1919646117

Lobbyismus und Statistik

Mit falsch interpretierten Statistiken lassen sich Menschen leicht hinters Licht führen. Welche Rolle dabei der fachliche Hintergrund der Personen spielt, die mit statistischen Ergebnissen hausieren gehen, haben die Psychologen Lukas Gierth und Rainer Bromme von der Universität Münster untersucht.

Screenshot aus der Untersuchung von Gierth & Bromme (2020)
Beispiel für die Versuchsanordnung: Die Versuchspersonen sahen den Tweet eines vermeintlichen Forschungsinstituts inklusive einer Vierfeldertafel und dazu den einordnenden Tweet eines Experten. Anschließend sollten sie die Statistik selbst interpretieren. Grafik: Gierth L, Bromme R. Beware of vested interests: Epistemic vigilance improves reasoning about scientific evidence (for some people). PLOS ONE 15(4): e0231387. doi:10.1371/journal.pone.0231387 / CC BY 4.0

Methodik: Die Versuchspersonen wurden in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Alle sahen zuerst den (fingierten) Tweet eines Forschungsinstituts, der die Ergebnisse einer Studie in Form einer Vierfeldertafel präsentierte (siehe Grafik für ein Beispiel). In dieser erfundenen Studie ging es darum, ob Kakaotrinken die Konzentrationsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern beeinflusst. Als nächstes erschien ein Tweet, der die Ergebnisse kommentierte. Der stammte – je nach Gruppe der Teilnehmenden – entweder von einem Wissenschaftler an einer Universität, dem Sprecher einer Krankenversicherung oder einem Lobbyisten für einen Trinkpäckchen-Hersteller. Mal war die Interpretation der Daten pro Kakaotrinken, mal dagegen – aber sie passte nie zu den präsentierten Daten. Dann sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihrerseits angeben, wie sie die Zahlen verstehen. Abschließend sollten sie noch unter anderem angeben, für wie vertrauenswürdig sie den Urheber des zweiten, einordnenden Tweets halten, und einen kurzen Test ihrer Rechenkenntnisse absolvieren.

Ergebnisse: Insgesamt gelang es 43 Prozent der Probandinnen und Probanden, die Vierfeldertafel selbst korrekt zu interpretieren. Dabei waren jene am erfolgreichsten, in denen der Lobbyist das Ergebnis (fälschlicherweise) als Beleg für die segensreichen Wirkungen des Kakaotrinkens gedeutet hatte. Weil diese Deutung im beruflichen Interesse der Person liege, seien die Versuchspersonen wahrscheinlich misstrauischer gewesen und hätten sich besonders eingehend mit der Statistik befasst, mutmaßen die Forscher. Wenig überraschend waren Teilnehmende, die im Mathe-Test besser abgeschnitten hatten, auch insgesamt besser bei der Interpretation der Statistik. Wenn der Kommentator als Lobbyist bezeichnet wurde und für die gedächtnissteigernde Wirkung von Kakao argumentierte, wurde ihm auch von den Versuchspersonen am ehesten eine Täuschungsabsicht unterstellt. In den anderen Versuchsbedingungen war das nicht der Fall, obwohl der einschätzende Experte stets falsch lag.

Schlussfolgerungen: Menschen interpretieren Statistiken zutreffender, wenn sie motiviert sind, genauer hinzuschauen – etwa, weil sie Grund zur Annahme haben, dass sie jemand aus eigenem Interesse heraus täuschen möchte. Die Forscher weisen darauf hin, dass Motivation allein aber nicht ausreicht. Es muss natürlich auch die Fähigkeit zum korrekten Schlussfolgern gegeben sein.

Einschränkungen: Fast die Hälfte der ursprünglich getesteten Versuchspersonen musste von der Auswertung ausgenommen werden, weil sich am Ende der Untersuchung gezeigt hatte, dass sie sich nicht korrekt an den Hintergrund des einordnenden Experten (Wissenschaftler, Krankenkassensprecher oder Kakao-Lobbyist) erinnern konnten. Im echten Leben, so Gierth und Bromme, sei oft noch weniger klar, wer gerade eine statistische Behauptung aufstelle und welchen Hintergrund diese Person habe. Daher ist noch unklar, welche Bedeutung der gefundene Effekt im Alltag hat.

Gierth, L. & Bromme, R. (2020). Beware of vested interests: Epistemic vigilance improves reasoning about scientific evidence (for some people). PLOS ONE, 15(4), e0231387. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0231387

Was heißt „manchmal“?

Wahrscheinlichkeiten werden in der Wissenschaftskommunikation nicht nur in Zahlen ausgedrückt, sondern auch mit Wörtern wie „sicher“, „eventuell“ oder „fast unmöglich“. Wie aber verstehen Menschen diese verbalen Umschreibungen? Dieser Frage ging ein Forschungsteam um die Statistikerin Sanne Willems von der Universität Leiden in einer Untersuchung nach.

Methodik: Die Forschenden stellten eine Liste von 29 niederländischen Ausdrücken zusammen, die Wahrscheinlichkeiten umschreiben. Dabei orientierten sie sich unter anderem an den Wörtern, die auf einer beliebten niederländischen Nachrichten-Website am häufigsten für diesen Zweck verwendet werden. Anschließend präsentierten sie 881 Teilnehmenden diese Begriffe jeweils im Kontext eines neutralen Satzes (zum Beispiel „Es ist unwahrscheinlich, dass das Hotel ausgebucht ist“) und baten sie, die Wahrscheinlichkeit mit Hilfe einer Prozentzahl anzugeben.

„Selbst Begriffe wie ‚immer‘ oder ‚unmöglich‘ wurden von den Versuchspersonen keineswegs einheitlich beurteilt.“
Ergebnisse: Generell gab es eine große Variabilität in der Interpretation der Wahrscheinlichkeitswörter. Selbst Begriffe wie „immer“ oder „unmöglich“ wurden keineswegs einheitlich beurteilt. So gab es einige Befragte, die dem Wort „immer“ nur eine Wahrscheinlichkeit von nur 90 Prozent zuordneten, „unmöglich“ übersetzten die Befragten im Durchschnitt mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin noch 6 Prozent. Enorm groß war die Bandbreite schließlich bei Ausdrücken wie „möglich“ oder „vielleicht“. Hier tendierten zwar viele Teilnehmenden zu einem Verständnis von 50 Prozent, aber Einschätzungen zwischen 20 und 40 Prozent waren ebenfalls weit verbreitet.

Schlussfolgerungen: Es besteht in der Forschung Uneinigkeit darüber, ob Menschen die Kommunikation von Wahrscheinlichkeiten in verbaler oder numerischer Form bevorzugen – was präferiert wird, dürfte auch vom Kontext abhängig sein. Diese Studie belegt einmal mehr, dass Wahrscheinlichkeitswörter auf sehr unterschiedliche Arten interpretiert werden. Auffällig ist zudem, dass es keinen Begriff gab, den eine Mehrheit der Befragten mit einer Wahrscheinlichkeit von genau 50 Prozent übersetzte. Auch hierfür prädestinierte Wörter wie „vielleicht“ wurden im Mittel als deutlich weniger wahrscheinlich interpretiert.

Einschränkungen: Die Stichprobe war nicht repräsentativ für die niederländische Bevölkerung, sondern umfasste vergleichsweise viele Personen mit Universitätsabschluss. Bei einer diverseren Gruppe von Teilnehmenden könnten die Einschätzungen der Wahrscheinlichkeiten sogar noch stärker auseinandergehen, vermuten die Forschenden. Und auch wenn sich gewisse Überschneidungen zu Studien über englischsprachige Wahrscheinlichkeitswörter zeigten, lassen sich die Ergebnisse natürlich nicht ohne Weiteres auf andere Sprachen übertragen.

Willems, S., Albers, C. & Smeets, I. (2020). Variability in the interpretation of probability phrases used in Dutch news articles – a risk for miscommunication. Journal of Science Communication, 19(2), A03. https://doi.org/10.22323/2.19020203

Mehr Aktuelles aus der Forschung:

Wissenschaft ist lustiger, wenn der Rest des Publikums auch lacht: So lautet knapp zusammengefasst das Ergebnis einer Studie, die die Wahrnehmung von Science-Comedy anhand eines Videos des Kabarettisten Vince Ebert untersucht hat. Hörbares Gelächter der Zuschauerinnen und Zuschauer sorgte dafür, dass den Versuchspersonen nicht nur das Video besser gefiel, sondern sie sich auch in Zukunft stärker mit wissenschaftlichen Themen beschäftigen wollten.

Vielfältige Projekte in der Wissenschaftskommunikation hätten dazu geführt, dass die Öffentlichkeit mittlerweile besser über das Problem von Antibiotikaresistenzen informiert sei, schreiben britische Forschende in einem aktuellen Fachbeitrag. Sie monieren jedoch, dass diese Aktivitäten überwiegend schlecht dokumentiert und etwa Evaluationen nicht öffentlich auffindbar oder zugänglich seien, was das Lernen von erfolgreichen Projekten erschwere.

Dieses „Glühwürmchen-Kleid“ („Luminous Firefly Dress“) leuchtet im Takt der Musik, die in einem Raum gespielt wird – eines von immer mehr Beispielen für die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Technologie und Modedesign. Foto: Howard Eglowstein

Mindestens 60 Haus- und Wohnungsbrände in den vergangenen 15 Jahren gehen auf das Konto von Menschen, die sich mit Feuer gegen Insekten wie Bienen und Kakerlaken oder gegen Spinnen zur Wehr setzen wollten. Das rechnet der Entomologe Ryan Gott in einem neuen Paper vor. Das Gegenmittel, um Krabbeltier-Phobiker vor sich selbst zu schützen, sei eine bessere spinnen- und insektenkundliche Wissenschaftskommunikation – wozu auch die Bekämpfung von Mythen und Falschmeldungen in den sozialen Medien gehöre.

Wie kommt man dazu, in der Forschung zu arbeiten? Eine Umfrage unter 116 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den USA offenbart, was die prägenden Einflüsse während der Kindheit und Jugend waren – zumindest im subjektiven Lebensrückblick der Befragten. Demnach spielte es eine Rolle, ob in der Familie technisches und wissenschaftliches Interesse gefördert wurde, ob Fremdwörter benutzt wurden und auch, ob erwachsene Verwandte oder Freundinnen und Freunde den Kindern persönliche Einblicke in die Forschung ermöglicht hatten.

Menschen ignorieren bekanntermaßen gerne Informationen, die ihnen nicht in den Kram passen. Einer neuen Veröffentlichung zufolge gilt das selbst dann, wenn ihnen das neue Wissen einen persönlichen Vorteil bringen könnte, zum Beispiel in Bezug auf ihre Gesundheit oder ihre Finanzen. Sie ziehen es in solchen Fällen dennoch vor, in einem Zustand aktiver Ignoranz zu verbleiben.

Immer mehr Modeschaffende entdecken laut eines Berichts der Fachzeitschrift PNAS die Wissenschaft als Inspiration: Sie verarbeiten Technologien oder Motive aus der Forschung in ihren Kreationen. Den Forschenden wiederum biete sich mit Modedesign und Bekleidung eine neue Möglichkeit, ihre Themen in die Öffentlichkeit zu tragen – um nicht zu sagen: von der Öffentlichkeit tragen zu lassen.

Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.