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„Die Geschwindigkeit des Wandels hat uns überrascht“

Mit welchem Wissen und welchen virtuellen Lösungen haben Hochschulen in der Covid-19-Pandemie bislang die Öffentlichkeit und die Wirtschaft unterstützt? Das haben Matthias Meyer und Julia Krume vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft untersucht. Ein Interview über den Wissenstransfer während der Corona-Zeit.

Frau Krume, Herr Meyer, Sie haben gemeinsam mit einer Kollegin und einem Kollegen kürzlich die Studie „Wissenstransfer im Aufschwung“ veröffentlicht. Darin geht es um den Wissenstransfer durch Hochschulen während der Corona-Krise. Warum haben Sie sich diesem Thema gewidmet?

Krume: In den ersten Monaten der Krise war vor allem die rasante Digitalisierung der Hochschullehre das große Thema. Hochschulen haben aber auch in anderen Bereichen wesentliche Beiträge im Umgang mit den Auswirkungen der Pandemie geleistet. Uns hat einfach interessiert, wie vielfältig diese Beiträge sind, welche Ideen und Formate Hochschulen entwickeln, aber auch, mit welchen Schwierigkeiten sie sich dabei konfrontiert sehen.

Julia Krume ist Programmmanagerin beim Stifterverband. Dort arbeitet sie an der Schnittstelle von Hochschulen, Unternehmen und Gesellschaft zu Themen wie Innovation und der Kooperation von Hochschulen mit externen Partnern. Vorher war sie Referentin bei der Volkswagen-Stiftung. Foto: Stifterverband / David Ausserhofer

Was haben Sie untersucht?

Meyer: Zum einen war uns aufgefallen, dass während der Pandemie tagtäglich viele Pressemitteilungen verschickt wurden, in denen die Hochschulen Informationen oder Lösungsvorschläge zur Krise geliefert haben. Wir haben uns das daher intensiver angesehen und alle Pressemitteilungen im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 11. Mai ausgewertet, die über den Informationsdienst Wissenschaft (idw) verbreitet wurden und die einen Bezug zur Corona-Pandemie oder zu Covid-19 hatten. Außerdem haben wir Interviews mit den Transferstellen von drei Hochschulen geführt und die Kolleginnen und Kollegen nach ihren Erfahrungen gefragt.

Was konnten die Universitäten in dieser komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Situation an Wissen anbieten?

 Meyer: Eine ganze Menge! Beispielhaft – aber nicht erschöpfend – kann man das an der Übersicht der TU München zu ihren Transferleistungen zu Covid-19 sehen. Da gibt es natürlich auch medizinische Nachrichten, aber auch Denkanstöße für gesellschaftliche Entwicklungen nach der Pandemie, Tipps zur richtigen Ernährung bei Krankheit oder geschwächtem Immunsystem, Überlegungen zu Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und Studien zu häuslicher Gewalt während der Ausgangsbeschränkungen. Und natürlich wirtschaftswissenschaftliches Wissen: Wie wirkt sich die Corona-Krise auf kleine Unternehmen aus, was wären die besten staatlichen Hilfsmaßnahmen und so weiter.

Matthias Meyer ist Programmmanager beim Stifterverband. Im Bereich „Programm und Förderung“ arbeitet er zu neuen Förderformaten und zu Kooperationen zwischen Hochschulen, Unternehmen und Gesellschaft. Aktuell begleitet er die Jubiläumsinitiative des Stifterverbandes „Wirkung hoch 100“.

Das heißt, es gab durchaus viel praktische Wissensvermittlung, nicht nur Nachrichten etwa zur Digitalisierung der Lehre?

Meyer: Die große Mehrzahl der ausgewerteten Pressemitteilungen waren dem Forschungs- und Wissenstransfer zugeordnet. Nachrichten aus Studium und Lehre spielten dagegen keine so große Rolle, obwohl das natürlich ein großer Kraftakt für die Hochschulen war. Die meisten Nachrichten kamen aus der medizinischen Forschung, gefolgt von den Wirtschaftswissenschaften und den Gesellschaftswissenschaften. Medizin und Ökonomie waren naheliegend, aber auch die Kultur- und Geisteswissenschaften haben die Gelegenheit genutzt, ihr Wissen zu teilen und hilfreiche Anregungen zu geben. Je stärker die Infektionszahlen zu Beginn der Pandemie in Deutschland anstiegen, desto mehr Nachrichten mit Corona-Bezug haben die Pressestellen veröffentlicht. Anfang April gab es übrigens in unserer Auswertung die meisten Pressemeldungen mit Corona-Bezug – fast zeitgleich mit dem größten Anstieg der Infektionszahlen in Deutschland. Mit dem Rückgang des Infektionsgeschehens verringerte sich auch die Zahl der Pressemeldungen zum Thema Corona wieder etwas.

Wie haben die Transferstellen der Hochschulen die Situation erlebt?

Krume: Die Kolleginnen und Kollegen dort sind weniger mit dem Thema Pressearbeit befasst, bei ihnen geht es eher um den Kontakt zwischen der Hochschule und Partnern aus Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Politik und Verwaltungen. Am Anfang, so wurde es uns berichtet, sind gerade traditionell arbeitende Unternehmen erst einmal in eine Art Schockstarre verfallen – es galt sich um drängende Themen wie Kurzarbeit und Soforthilfen zu kümmern. Danach entstand aber eine große Nachfrage nach Transferangeboten der Hochschulen, beispielsweise zu digitalen Lösungen und Geschäftsmodellen. Hier haben einige Hochschulen die Rolle einer Vermittlungsplattform übernommen, um Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Unternehmen zusammenzubringen, zum Beispiel in digitalen Workshops. Andere Hochschulen haben kostenfreie Weiterbildungsformate für Unternehmen entwickelt, in denen es um die Bewältigung der derzeitigen Situation geht. Die Bedeutung von Transfer hat also in der Corona-Krise eher zu- als abgenommen.

Krume: Transfer lebt vom persönlichen Kontakt. Gerade am Anfang einer Kooperation ist das wichtig, wenn Hochschulen und Unternehmen gemeinsam über Ziele und Möglichkeiten der Zusammenarbeit sprechen. Ein Treffen im nicht-virtuellen Raum schafft da einfach mehr Vertrauen und Zusammengehörigkeit als eine Videokonferenz. Das Zwischenmenschliche zu erhalten, während man ausschließlich online agiert, war sicher eine der größten Herausforderungen.

Hat es Sie überrascht, wie gut sich die Hochschulen dennoch den neuen Gegebenheiten angepasst haben?

Meyer: Uns hat überrascht, wie schnell Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Angestellte der Verwaltung sich auf die neue Situation eingestellt haben. Gerade im Transferbereich ist ein verbreitetes Vorurteil, dass Hochschulen eher träge auf externe Anfragen und veränderte Rahmenbedingungen reagieren. Die Geschwindigkeit, mit der sie auf die Corona-Pandemie reagiert haben, aber auch das Selbstverständnis, für diese große Herausforderung Lösungen zu entwickeln und diese breit zu kommunizieren – das hat uns beeindruckt.

Krume: Mich hat tatsächlich vor allem die Geschwindigkeit des Wandels überrascht. Natürlich lief der nicht an allen Hochschulen völlig reibungslos ab. Vor allem Verwaltungsprozesse sind in meiner Wahrnehmung immer noch schwierig: Wann braucht man wie vorher eine Original-Unterschrift, und wann reicht eine E-Mail? Das „Nicht-Semester“, das viele Studierende und Lehrende befürchtet haben, ist aber an keiner Hochschule eingetreten. Es wurden sehr schnell Wege gefunden – wenn auch manchmal holprig –, um Vorlesungen, Prüfungen und so weiter mit physischer Distanz oder online abzuhalten. Nicht alle Lehrenden sind den digitalen Tools gegenüber in gleichem Maße aufgeschlossen. Aber viele haben es begeistert angenommen und Neues auch für die Zeit nach Corona mitgenommen, weil es ihnen neue Möglichkeiten eröffnet hat.

„Das Gute an vielen digitalen Formaten ist, dass sie viel einfacher skalierbar sind und den Teilnehmenden meist eine größere Flexibilität ermöglichen.“ Matthias Meyer
Was von der aktuellen Situation wird generell in Zukunft zur Normalität gehören?

Krume: Das ist schwierig vorherzusehen. Ich habe den Eindruck, dass doch schon eine gewisse Nostalgie aufgekommen ist und viele sich nach Präsenzveranstaltungen und der „alten“ Normalität zurücksehnen. Aber andere Sachen bleiben bestimmt: Man belässt vielleicht Teile von Lehrveranstaltungen online und kombiniert sie mit persönlichen Treffen. Man setzt nun viel einfacher als früher eine Videokonferenz mit Personen auf, die man nicht kennt – und es ist normal geworden, mit Leuten berufliche Dinge zu besprechen, während man im Hintergrund ihr Wohnzimmer sieht. Das schafft eine neue Beziehungsebene.

Meyer: Das Gute an vielen digitalen Formaten ist auch, dass sie viel einfacher skalierbar sind und den Teilnehmenden meist eine größere Flexibilität ermöglichen. Daher wollen viele Hochschulen ein Stück weit an digitalen Transfermöglichkeiten festhalten. Aber was sich davon in der Praxis wirklich erhalten wird, muss die Zeit zeigen.