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„Der Gedanke des Public Understanding ist völlig auf der Strecke geblieben“

Scheinwettbewerb zwischen Universitäten, mehr Ressourcen für Publicity und „Wissenschaftskommunikation“ als Sammelbegriff: Matthias Kohring, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim, betrachtet die direkten und indirekten Konsequenzen aus PUSH äußert kritisch.

Herr Kohring, brauchen wir Wissenschaftskommunikation?

Kohring: Natürlich! Aus meiner Sicht ist völlig unstrittig, dass Öffentlichkeitsarbeit für Wissenschaft legitim und notwendig ist. Wissenschaft darf darauf hinweisen, dass sie etwas Gutes gemacht hat. Sie muss sich verteidigen und ihre Interessen öffentlich vertreten dürfen. Ich kenne sehr viele Kolleginnen und Kollegen aus den Kommunikationsabteilungen, die daran mit viel Herzblut arbeiten und ihre Arbeit als eine öffentliche Pflicht betrachten. Davor habe ich großen Respekt.

Trotzdem kritisieren Sie, dass PUSH eine Umverteilung von Ressourcen in die Pressestellen bewirkt hat, und stellen eine problematische Orientierung der Universitäten an medialer Sichtbarkeit fest.

Matthias Kohring ist Professor an der Universität Mannheim mit den Schwerpunkten Journalismusforschung, Wissenschaftsjournalismus, Mediale Öffentlichkeit und Vertrauen in Medien. Foto: Elisa Berdica

Ja, das werfe ich PUSH vor. PUSH ist ein Programm zur Akzeptanzbeschaffung der öffentlichen Forschung bei Entscheidungsträgern in der Politik und zunehmend auch bei privaten Drittmittelgebern. Dafür fließt Geld in die Pressestellen und in Kommunikationsagenturen, das ansonsten für Lehre und Forschung zur Verfügung stünde. Der Gedanke des Public Understanding ist bei dieser Entwicklung völlig auf der Strecke geblieben.

„PUSH ist ein Programm zur Akzeptanzbeschaffung der öffentlichen Forschung bei Entscheidungsträgern in der Politik und zunehmend auch bei privaten Drittmittelgebern.“ Matthias Kohring

Wie konnte das passieren?

Die Gründe liegen aus meiner Sicht in der Wissenschaftspolitik. Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten selbst entmachtet. Die Wissenschaftspolitik hat sich aus der Verantwortung gezogen, indem sie Wissenschaft, insbesondere Universitäten, zu Unternehmen erklärt hat.
New Public Management ist das Schlagwort, unter dem diese Entwicklung gelaufen ist. Danach sollen Universitäten wie Unternehmen geführt, sprich gemanagt werden. Und sie sollen sich wie Unternehmen auf einem Markt behaupten, auf dem sie in einem Wettbewerb um ihre Ressourcen kämpfen.
Öffentliche Wissenschaft ist aber kein Unternehmen, das sich auf einem Markt erfolgreich behaupten kann. Für öffentliche Wissenschaft gibt es überhaupt keinen Markt, auf dem Produkte verkauft und im Gegenzug Geldmittel bereitgestellt werden. Die Politik hat die Wissenschaft künstlich in eine interne Konkurrenzsituation gezwungen, in der jede Universität auf sich allein gestellt ist und in der jeder gegen jeden um seinen Anteil am Geld kämpfen muss. Das ist ein Scheinwettbewerb, wie der Ökonom Mathias Binswanger festgestellt hat.

„Die Politik hat die Wissenschaft künstlich in eine interne Konkurrenzsituation gezwungen.“ Matthias Kohring

Was hat das mit PUSH zu tun?

Unternehmen betreiben Marketing, um ihre Produkte zu verkaufen und sich am Markt zu behaupten. Von den Universitäten wird verlangt, dass sie sich in der Öffentlichkeit legitimieren, um ihre Geldmittel zu erhalten. Wie gesagt: Öffentliche Legitimierung ist richtig und wichtig – gerade für öffentlich finanzierte Forschung. Nicht jedoch mit dem Ziel, über die öffentliche Legitimierung den Mittelzufluss sicherzustellen.
Aber genau das ist passiert: Die Universitäten treten wie Unternehmen mit Mitteln des Marketings im Wettbewerb gegeneinander an – die Exzellenzinitiative ist ein gutes Beispiel dafür. Kommunikation ist zum Königsweg erklärt worden: Die Hochschulleitungen sind von der Notwendigkeit medialer Präsenz fast in gleichem Maße überzeugt wie die Kommunikationsverantwortlichen. Für letztere muss das natürlich im Fokus liegen; ihre Hauptaufgabe ist es ja, mediale Präsenz zu schaffen. Aber die Hochschulleitungen?

Was macht das mit den Universitäten?

Zum einen findet die erwähnte Ressourcenverschiebung statt. In den 70er- und 80er-Jahren gab es einen Pressesprecher in der ganzen Universität. Heute kommt in den Universitäten ein Kommunikationsverantwortlicher auf etwa 20 Professoren. 1. Nur in der zentralen Kommunikation – die ganzen dezentralen Kommunikatoren in den Instituten oder Verbünden sind da noch gar nicht eingerechnet.
Diese Entwicklung passt nicht zu meiner täglichen Beobachtung, dass sich die Situation in der Lehre ständig verschlechtert: Immer mehr Vorlesungen statt aufwendiger Seminare; automatisierte und standardisierte Prüfungen, um Zeit zu sparen. Ich sehe da auf jeden Fall eine Relevanzverschiebung, die langfristig zu einer Delegitimierung der Wissenschaft führt: Wenn Studierende Wissenschaft in den Universitäten als schlecht ausgestattete Massenveranstaltung mit Multiple Choice-Tests und Nachplappern von auswendig Gelerntem kennenlernen, richtet das einen Schaden an, den Sie mit noch so vielen PUSH-Aktivitäten nie wieder reparieren können. 

„Die starke Orientierung auf Publicity hinterlässt Spuren im Denken von Wissenschaftlern. Das sehe ich sehr kritisch.“ Matthias Kohring

Und welchen Einfluss hat das auf die Forschung?

Die Freiheit der Forschung wird eingeschränkt. Wenn mediale Öffentlichkeit die relevante Währung ist, beeinflusst die Erwartung von Publicity die wissenschaftliche Fragestellung ebenso wie die Forschungsmethoden, die Schlussfolgerungen oder die Verwendung bestimmter Formulierungen in den Veröffentlichungen. Die starke Orientierung auf Publicity hinterlässt Spuren im Denken von Wissenschaftlern. Das sehe ich sehr kritisch.

Was ist mit der Rechenschaftspflicht der Wissenschaft?

Ich bestreite doch gar nicht eine prinzipielle Rechenschaftspflicht der öffentlich finanzierten Wissenschaft. Aber an dieser Stelle muss man auch mal mit ein paar Mythen aufräumen: Zum Beispiel mit dem Mythos von der einen Wissenschaft. Die eine Wissenschaft gibt es nicht, Stichwort: Kampf der Universitäten gegeneinander. Und was ist eigentlich mit der Industrieforschung? Die taucht in dieser Diskussion überhaupt nicht auf, sondern bleibt hinter verschlossenen Türen.
Der zweite Mythos ist der von der breiten Öffentlichkeit, bei der Wissenschaft laut PUSH-Memorandum Akzeptanz gewinnen muss. Diese breite Öffentlichkeit gibt es auch nicht. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind der Wissenschaft freundlich-desinteressiert gesonnen, das zeigen Umfragen immer wieder. PUSH zielt vielmehr auf Geldgeber, die überzeugt werden müssen – mit Hilfe von medialer Präsenz, die Glaubwürdigkeit, Reputation und Relevanz signalisieren soll. Public Understanding spielt da keine Rolle.

„PUSH zielt vielmehr auf Geldgeber, die überzeugt werden müssen. (.…) Public Understanding spielt da keine Rolle.“ Matthias Kohring

Wie kann sich die Wissenschaft aus diesem Korsett befreien, von dem Sie sprechen?

Der Schlüssel dazu liegt bei der Wissenschaftspolitik und bei den Hochschulleitungen. Wenn die Menschen dort erkennen, wohin der künstlich den Universitäten aufgezwungene Wettbewerb und die damit verbundene mediale Dauerpräsenz führen, können sich Dinge ändern. Das heißt konkret: Die Universitäten brauchen wieder eine auskömmliche Grundfinanzierung. Das kann nur die Politik sicherstellen, und darauf müssen die Hochschulleitungen drängen.
Ein anderer Akteur müsste der Wissenschaftsjournalismus sein. Ich wünsche mir, dass er diese Einschnürung der Wissenschaft thematisiert. Aber das passiert nicht, und auch da trägt PUSH eine Mitschuld, wie ich finde: PUSH suggeriert, dass alle, die zu Wissenschaft kommunizieren, in einem Boot sitzen und dasselbe Ziel haben. So werden Interessensgegensätze verschleiert und der Status quo bleibt erhalten.

 

Hannes Schlender berichtet in unserem Auftrag zu diesem Thema.