Foto: Frank Zimmermann

„Es braucht EU-weite Wissenschaftskommunikation“

Bisher wird über Wissenschaft hauptsächlich auf regionaler oder nationaler Ebene kommuniziert, sagt Herbert Münder, Präsident des europäischen Verbands der Science Center und Wissenschaftsmuseen (Ecsite). Warum sich das ändern sollte und welche Förderung es dafür braucht, erklärt er im Interview.

Herr Münder, welche Rolle spielt Wissenschaftskommunikation in der Wissenschaftsförderung in Europa?

Wenn wir von den Nationalstaaten in Europa reden, dann gibt es in einer ganzen Reihe der Staaten eigene Förderrichtlinien oder die Wissenschaftskommunikation ist Bestandteil der wissenschaftlichen Förderrichtlinien. So fördert die DFG in Deutschland die Kommunikation in ihren Programmen inzwischen sehr stark und in der Schweiz gibt es eine eigene Förderrichtlinie des Schweizer Nationalfonds. In Großbritannien wird Public Engagement und Wissenschaftskommunikation seit jeher unterstützt. 

Dr. Herbert Münder ist Geschäftsführer des Universum® Bremen und Präsident von Ecsite, dem europäischen Verband der Science Center und Wissenschaftsmuseen. Zuvor leitete der promovierte Physiker fast zehn Jahre die Geschäfte von „Wissenschaft im Dialog“ und war für die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren tätig. Foto: Universum Bremen
Herbert Münder ist Geschäftsführer des Universum® Bremen und Präsident von Ecsite, dem europäischen Verband der Science Center und Wissenschaftsmuseen. Zuvor leitete der promovierte Physiker fast zehn Jahre die Geschäfte von „Wissenschaft im Dialog“ und war für die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren tätig. Foto: Universum Bremen

Betrachtet man die EU-weite Förderung der Wissenschaftskommunikation, dann gibt es bereits seit Ende der 1990er-Jahre Bestrebungen, diesen Bereich zu unterstützen und aufzuwerten. Zumindest gab es seit der Förderrichtlinie „Science and Society“ des 6. Forschungsrahmenprogramms auf europäischer Ebene immer wieder entsprechende Maßnahmen. Ich glaube, dass diese Art der Förderung gerade in Zeiten von Fake News eine große Bedeutung hat. 

Hat die Wissenschaftskommunikation an Bedeutung gewonnen?

Wenn ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen aus Europa und den weltweiten Netzwerken austausche – sowohl in meiner Rolle als Geschäftsführer des Universum® Bremen als auch im Rahmen meiner Ecsite-Tätigkeit – dann sehen wir überall ähnliche Tendenzen und Notwendigkeiten für die Kommunikation von Wissenschaft. Dabei geht es aber nicht nur darum, tolle Ergebnisse zu kommunizieren, sondern vielmehr darum, Menschen zu befähigen und darin zu schulen, kritische Fragen zu stellen, Dinge zu hinterfragen und sich in den Forschungsprozess einzubringen.

Ich beobachte eine Zunahme der Bedeutung und glaube, dass dieser Trend in Europa weiter anhalten wird. Das liegt vor allem auch am aktuellen politischen Klima und einer Zunahme an politischen Akteuren, die wissenschaftliche Fakten negieren oder ihnen skeptisch gegenüberstehen. Je mehr Politikerinnen und Politiker es gibt, die sagen, dass sie nicht an wissenschaftliche Fakten, wie etwa den Klimawandel, glauben, desto wichtiger ist es, die Informationen bereitzustellen, das kritische Hinterfragen zu schulen und Partizipation zu ermöglichen.

Warum ist es denn wichtig, dies europaweit zu tun. Reicht es nicht, wenn jedes Land die Wissenschaftskommunikation für sich stärkt?

Wenn man es genau nimmt, dann ist es so, dass Wissenschaftskommunikation vor allem regional wirkt. Die wichtigsten Einzugsgebiete des Universum® Bremen sind beispielsweise die nördlichen Bundesländer und Teile Nordrhein-Westfalens. Es gibt nur wenige Formate im europäischen Raum, die wirklich nationale Strahlkraft haben. Die Fete de la Science in Frankreich oder auch die Wissenschaftswoche in den Niederlanden sind Beispiele für solche Ausnahmeerscheinungen. 

Es gibt aber immer mehr Forschungsprojekte, die europäisch gedacht und in europäischen Kooperationen durchgeführt werden. Deshalb braucht es auch eine europaweite Wissenschaftskommunikation. Primäres Ziel der Europäischen Kommission sollte dabei die Förderung von Innovationen in der Kommunikation und nicht nur die Unterstützung etablierter Projekte sein. Durch die Vielfalt der Staaten und Kulturen kann man Science-Engagement optimal weiterentwickeln und auch einen größeren Impact erzielen. Deshalb braucht es solche EU-weiten Programme zur Wissenschaftskommunikation. 

Bei Horizont 2020 gab es einen eigenen Förderschwerpunkt „Wissenschaft mit der und für die Gesellschaft“. Im ersten Entwurf des Folgeprogramms fehlt dieser Schwerpunkt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Wir – und damit meine ich Ecsite – begrüßen natürlich, dass die Kommission generell die Absicht hat, Bürgerinnen und Bürger in die Framework-Programme miteinzubeziehen. Das ist ein guter Schritt und ich finde es ebenfalls positiv, dass die Wissenschaftskommunikation aus den geförderten Projekten heraus gefordert und gefördert wird. Meistens hakt es aber bei einer sinnvollen Umsetzung, weil die Projekte nur versuchen, die Vorgaben zu erfüllen und beispielsweise eine Website erstellen, nur damit sie in irgendeiner Form kommuniziert haben. Dieses Vorgehen ist natürlich nicht sinnvoll, schließlich sollte es um echte und zielgerichtete Dialogmaßnahmen gehen. 

Noch bedenklicher ist es, dass in dem aktuellen Papier von einer „Einbahnstraßenkommunikation“ die Rede ist. Damit folgt man dem Defizitmodell, was eigentlich schon seit der Jahrtausendwende tot ist und wo seit 10 Jahren klar ist, dass es nicht funktioniert. Das ist die aktuelle Entwicklung und wenn der Vorschlag so durchgeht, ist diese Entwicklung extrem negativ. Wir bei Ecsite fordern deshalb eine eigene Förderrichtlinie und halten es für einen Fehler, auf eine solche zu verzichten. Eine solche Entwicklung wäre vor allem für solche Staaten fatal, in denen es keine stabile nationale Förderung gibt. 

Was genau meinen Sie mit dieser Stabilität?

In Deutschland hat die Wissenschaftskommunikation inzwischen einen recht hohen Stellenwert und ist fest verankert. Selbst Regierungswechsel auf Bundesebene haben die Wissenschaftsjahre nicht gefährdet. Die Tatsache, dass sie gar nicht infrage gestellt wurden und auch heute nicht werden, ist sehr positiv zu werten und zeugt von einer gewissen Stabilität. Auch weitere Einrichtungen, wie Wissenschaft im Dialog, werden hoffentlich in nächster Zeit nicht ernsthaft infrage gestellt, sondern eher noch gestärkt. Allerdings sehe ich insbesondere in Staaten, wo es besonders viele Skeptikerinnen und Skeptiker gegenüber Wissenschaft und Forschung gibt, große Probleme. 

Die Gefahr, die ich für Deutschland sehe, wenn die EU-Förderungsrichtlinie tatsächlich nicht kommt, ist, dass wir künftig nicht mehr so große Möglichkeiten haben werden, Innovationen und Entwicklungen voranzutreiben oder zu gestalten. Eben das ist der Vorteil der europäischen Richtlinie gewesen und deshalb braucht es sie unbedingt. 

Gibt es denn eine Chance, dass eine solche Richtlinie doch noch kommt?

Kommission, Parlament und Rat sind formal zwar zu einem gemeinsamen Verständnis gekommen, haben den Entwurf aber bisher noch nicht abschließend verabschiedet. Solange haben wir also noch Hoffnung, etwas bewegen zu können. Wir haben deshalb einen offenen Brief an den noch amtierenden EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation Carlos Moedas formuliert, den 135 Organisationen in Europa unterschrieben haben, in dem wir fordern, dass das Forschungsrahmenprogramm noch geändert wird. Davon erhoffen wir uns eine erneute Diskussion. Eigentlich kann man ein so einheitliches und von so vielen Akteuren getragenes Statement nicht ignorieren. Gerade, wenn das Thema so sehr im Fokus steht und kritische Bürgerinnen und Bürger gefordert werden, um das europäische demokratische System zu stärken. 

Ist das die große Aufgabe, die Sie jetzt für die zweite Amtszeit als Ecsite-Präsident haben, oder gibt es noch andere Herausforderungen?

Das ist natürlich eine der Hauptaufgaben. Es geht aber auch darum, den internen Wandlungsprozess, den wir durchlebt haben, zu komplettieren und die Entwicklung von einer Organisation, in der nur Science-Center und Museen Mitglied waren, hin zu einer höheren Diversität abzuschließen. Dazu müssen wir unsere Strategie weiterentwickeln und vor allem auch klar herausarbeiten, was passiert, wenn es keine eigene Förderrichtlinie für die Wissenschaftskommunikation gibt.

In der Kommunikation sind das wichtige und zukunftsweisende Aufgaben, die aber viel Spaß machen und eine große Bedeutung haben. Wir müssen unser Feld stärken und lernen, wie wir damit umgehen, wenn Science-Engagement infrage gestellt wird. Diese Situation ist neu für uns. Ich glaube, wir müssen insgesamt als Science-Engagement-Community lernen, dass wir gemeinsam in Brüssel agieren müssen. Dazu gehört für mich auch, dass sich die unterschiedlichen Dach-Organisationen, die sich in unserem Bereich in den letzten Jahren entwickelt haben, stärker zusammenarbeiten. Gemeinsam sind wir nämlich stärker als die einzelnen Organisationen. 

Welche Erfolge gab es bisher in der europäischen Wissenschaftskommunikation?

Um nur ein positives Beispiel zu nennen, sei auf das PLACES Projekt verwiesen, an dem EUSEA und Ecsite beteiligt waren. Dabei haben wir über 60 Städte zusammengebracht und es sind Kooperationen entstanden, die nachhaltig Bestand haben. Wenn man über Erfolge spricht, muss man immer auch kritisch über deren Nachhaltigkeit sprechen und da hakte es vielfach. Nachhaltigkeit ist aber kein Bestandteil der Förderung, bei der es aus meiner Sicht noch zu stark um die Produktion neuer Formate geht. Deshalb würde ich mir wünschen, dass Nachhaltigkeit in der Wissenschaftskommunikation stärker gefördert wird.

Was wünschen Sie sich darüber hinaus?

Mein Wunsch ist es, dass die Finanzierung einer eigenständigen Förderrichtlinie für Science-Engagement aufrechterhalten bleibt, womit innovative und nachhaltige Projekte mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden. Denn nach „Science and Society“, „Science in Society“ sowie „Science with and for Society“, ist es meiner Meinung nach nun an der Zeit für ein „Citizens in Science“-Programm, das das wissenschaftliche Engagement der Bevölkerung als wichtigen Bestandteil der Forschungslandschaft anerkennt und in den Mittelpunkt stellt.