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Mit wenigen Schritten zu mehr Sichtbarkeit

Wissenschaftlerinnen sind in der Öffentlichkeit noch immer unterrepräsentiert. Im Interview erläutert die Gleichstellungsexpertin Elke Wolf, welche strukturellen Hürden bestehen, wie Institutionen Forscherinnen gezielt unterstützen können – und was jede Wissenschaftlerin jetzt für mehr Sichtbarkeit tun kann.


Frau Wolf, sie argumentieren: Wissenschaftlerinnen sollen mehr kommunizieren, sichtbarer werden. Warum?

Ich denke, es gibt mindestens zwei gute Gründe, sichtbar zu sein. Erstens, um das Berufsbild Professorin präsenter zu machen und zweitens, um die eigene Forschung zugänglich zu machen. Frauen bringen oft andere Fragen und Perspektiven ein – das sieht man nicht nur an den Geschlechterunterschieden zwischen den Disziplinen, sondern auch an der Spezialisierung innerhalb von Disziplinen, in der Medizin, den Wirtschaftswissenschaften oder den Naturwissenschaften. Und diese anderen Zugänge sind wichtig für einen gelungenen gesellschaftlichen Diskurs. Es geht also darum, welche Themen wir diskutieren und wie wir darüber sprechen. Deshalb ist es so zentral, dass Frauen mit ihren Fragen, Perspektiven und Antworten sichtbar werden.

Elke Wolf ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule München, Hochschulfrauenbeauftragte und Mitinitiatorin der bundesweiten Kampagne „Werde Professorin!“. Sie ist Expertin für Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung. Zudem ist sie Sprecherin der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten bayerischer Hochschulen sowie Mitglied im Vorstand des Kompetenzzentrums Technik – Diversity – Chancengleichheit e. V. Foto: Lisa Hantke

Ihre Empfehlung lautet, ganz gezielt in die eigene Sichtbarkeit zu investieren. Wie lässt sich das mit der ohnehin höheren zeitlichen Belastung vieler Frauen in Einklang bringen?

Ja, das kostet Ressourcen – keine Frage. Und deshalb sollten Organisationen diesen Aufwand auch wertschätzen. Sichtbarkeit darf nicht als Privatvergnügen angesehen werden. Die Institution profitiert ja davon, wenn ihre Forschenden sichtbar sind.

An den Hochschulen für Angewandte Wissenschaft (HAW) kann Anerkennung zum Beispiel durch Leistungsprämien oder Lehrentlastungen zum Ausdruck gebracht werden. Solche Instrumente sind wichtig, um dieses gesellschaftlich wichtiges Engagement zu würdigen.

Gleichzeitig ist der Aufruf zur Sichtbarkeit aber auch sehr heikel. Sichtbare Frauen sind häufiger Angriffen ausgesetzt als Männer, werden häufiger öffentlich diskreditiert. Deshalb sollte man das nicht als Pflicht oder Mantra vermitteln – so nach dem Motto: „Nur wer sichtbar ist, ist eine gute Wissenschaftlerin.“ Jede Frau muss ihren eigenen Weg finden, der sich für sie richtig anfühlt.

Welche konkreten Strategien würden Sie empfehlen, damit Forscherinnen sichtbarer werden?

Eine ganz einfache Maßnahme ist die eigene Website gut pflegen. Dass sie aktuell ist, einen klaren Überblick gibt über die eigenen Forschungsthemen oder die praktische Expertise.

„Sichtbare Frauen sind häufiger Angriffen ausgesetzt als Männer, werden häufiger öffentlich diskreditiert.“ Elke Wolf
Gerade an HAW sind die persönlichen Infos über die Professor*innen eher dürftig und wenig aussagekräftig. Das liegt vielleicht daran, dass der Forschungsanteil dort nicht so hoch ist und die praktische Expertise von den Kolleg*innen als weniger anerkennenswert wahrgenommen wird. Aber auch das sind Kompetenzen, die für Unternehmen, Studierende, Verbände oder Journalist*innen interessant sind.

Wichtig ist auch, sich erstmal zu fragen: Wo will ich überhaupt sichtbar sein – und bei wem? Will ich in der Wissenschaftscommunity wahrgenommen werden, in der Wirtschaft oder eher im gesellschaftlich-politischen Raum? Davon hängt ab, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Und das macht es auch zeitlich handhabbar. Wenn man versucht, überall präsent zu sein, wird es schnell überfordernd – und oft auch unauthentisch.

Auf der Webseite „Sichtbar.sein.selbst.gestalten“ können sich Forscherinnen eine individuelle Sichtbarkeitsstrategie zusammenstellen. Was stand für Sie im Mittelpunkt, als Sie das Tool für Forscherinnen konzipiert haben?

Wir möchten die Herausforderungen, die Frauen erleben, ernst nehmen. Wir wollten keine Website bauen, die sagt: „So geht Sichtbarkeit – los jetzt!“ Wir wollten die Sorgen und Bedenken ernst nehmen, aber trotzdem Handlungsspielräume aufzeigen – ohne Druck, aber mit Fachwissen.

Deshalb gibt es in unserem Tool zwei Blöcke: Einerseits Informationen, die klarmachen, dass diese Herausforderungen nicht einfach persönliche Schwächen sind. Also nicht „Ich bin halt zu schüchtern“ oder „Meine Forschung ist wohl nicht gut genug“. Sondern wir wollen aufzeigen, das sind strukturelle Probleme. Das hängt mit dem männlich geprägten Wissenschaftssystem und der Anerkennung von Frauen in der Gesellschaft zusammen.

Deshalb wollen wir zeigen: Diese Bedenken darf man haben, aber das heißt nicht, dass man gar nichts in Richtung Sichtbarkeit machen kann. Du musst nicht nächste Woche vor der Kamera stehen, aber vielleicht gestaltest du erstmal deine Website etwas professioneller.

Das Projekt

Die Website „Sichtbar.sein.selbst.gestalten“ entstand im Rahmen des BMFTR-geförderten Projekts „Prof:inSicht“. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt untersucht die Sichtbarkeit von HAW-Professor:innen aus soziologischer, ökonomischer und informatischer Perspektive. Dabei wurden Handlungsweisen, Ziele und Erfolge der HAW-Professor*innen mit Blick auf Sichtbarkeit analysiert und diese mit digitalen Logiken und Mechanismen zur Förderung oder Verhinderung digitaler Fairness in Verbindung gesetzt. Das Projekt ist Teil des Metavorhabens „Innovative Frauen im Fokus“, das ebenfalls vom BMFTR gefördert wird.

Sie haben auch eine repräsentative Studie zur Sichtbarkeit von Wissenschaftler*innen durchgeführt. Besonders in Presseartikeln und Radiosendungen liegen Männer vorne. Woran liegt das? Diskriminieren da bewusst Journalist*innen?

Da spielen viele Faktoren zusammen. Die Anfrage der Journalist*innen ist das erste Nadelöhr. Die interne Hochschulkommunikation ist das zweite. Und das dritte ist dann die Wissenschaftlerin selbst. Sie muss auch „ja“ sagen.

Dabei spielen viele Dinge eine Rolle. Perfektionismus, weniger Übung, Unsicherheit – oder auch einfach die Tatsache, dass viele Wissenschaftlerinnen nachmittags Care-Arbeit übernehmen und dann nicht innerhalb von zwei Stunden reagieren können. Das ist aber manchmal notwendig, denn es kommt vor, dass Journalist*innen parallel mehrere Hochschulen anschreiben. Und dann heißt es: Wer zuerst antwortet, wird genommen.

Ich bezweifle auch nicht, dass Frauen häufiger „nein“ sagen – das ist sicher ein Faktor, den man ernst nehmen muss und der es schwieriger macht, Frauen zu interviewen.

Fast die Hälfte ihrer Befragten gaben an, bei LinkedIn aktiv zu sein. Ist das aus Ihrer Sicht die wichtigste Plattform, um persönliche Sichtbarkeit zu generieren?

„LinkedIn ist heute ein guter Ort, um Sichtbarkeit herzustellen. Es ist eine Plattform, auf der viele Wissenschaftler*innen vertreten sind, aber auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen“ Elke Wolf
LinkedIn ist heute ein guter Ort, um Sichtbarkeit herzustellen. Es ist eine Plattform, auf der viele Wissenschaftler*innen vertreten sind, aber auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen. Man kann verschiedene Dinge ausprobieren, Beiträge schreiben, andere Studienergebnisse kommentieren, neue Ideen platzieren – auch wenn man noch kein fertiges Paper dazu hat. Einfach mal testen, wie die Resonanz ist, was für Diskussionen entstehen.

Ich finde, man sollte das entkrampft sehen und wirklich als eine Spielwiese nutzen. Es kann eigentlich nicht viel passieren. Und zur Not löscht man den Beitrag oder Kommentar eben wieder. Es gibt kaum bessere Möglichkeiten, um Reaktionen von einem sehr diversen Publikum zu bekommen, um einfach mal zu testen, wie etwas ankommt.

Sie geben in Ihrem Projekt Empfehlungen sowohl für Einzelpersonen als auch für Institutionen. Was können Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf struktureller Ebene tun, um Wissenschaftlerinnen sichtbarer zu machen?

Ich sehe da zwei Wege. Erstens kann man gezielte Kampagnen machen, um Professorinnen sichtbar zu machen – wobei dabei oft der Fokus auf der Person liegt, was nicht alle Frauen gleichermaßen möchten.

Der zweite Weg ist nachhaltiger. Institutionen sollten systematisch reflektieren, welche Forschungsergebnisse sie nach außen kommunizieren wollen. Es wird ja unglaublich viel geforscht, aber nur ein kleiner Teil schafft es durch Pressemitteilungen oder Artikel an die breite Öffentlichkeit.

Oft entscheidet der Zufall darüber, über wessen Forschung berichtet wird. Entscheidend sind bestehende Kontakte zur Hochschulkommunikation oder die Schnelligkeit der Antwort bei der letzten Presseanfrage. Das sind selten transparente Kriterien. Und oft sind es dann eben wieder Männer, die angesprochen werden.

Hier braucht es einen strukturierten Prozess. Warum nicht regelmäßig die Professorinnen fragen: „Was sind Ihre aktuellen Projekte, was wäre interessant zu kommunizieren?“ Und daraus einen Datenpool entwickeln. So wird die Sichtbarkeit nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt gestaltet.

Das Tool lässt sich nach Zielgruppe filtern. Je nachdem, ob man in Politik und Gesellschaft, Lehre und Organisation, Industrie und Praxis oder der Wissenschaft selbst sichtbarer werden möchte, stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Bild: Quelle: Wissenschaftskommunikation.de

Welche konkreten Ressourcen sollten Institutionen bereitstellen, um Forscherinnen über einzelne Social-Media-Aktionstage hinaus zu stärken?

Wissenschaftlerinnen sollten die Möglichkeit erhalten, auf Anfragen der Presse vorbereitet zu werden. Dadurch würde sich die Chance erhöhen, dass sie sagen: „Ja, das mache ich.“ Dazu gehört auch ein Medien- oder Interviewtraining. Und so ein Training macht man am besten nicht erst einen Tag vor einem geplanten Interview. Das sollte regelmäßig stattfinden, denn Presseanfragen sind oft sehr spontan. Man hat manchmal nur ein paar Stunden Zeit zu antworten, und am nächsten Tag steht man schon in einem Fernsehstudio. Dafür sollte man gewappnet sein.

„Wissenschaftlerinnen sollten die Möglichkeit erhalten, auf Anfragen der Presse vorbereitet zu werden.“ Elke Wolf
Kampagnen wie der International Day of Women and Girls in Science sind ebenfalls gute Gelegenheiten, um Professorinnen sichtbar zu machen. Idealerweise können solche Beiträge natürlich auch über das Jahr hinweg eingebettet werden. Um Wissenschaftlerinnen sichtbar zu machen, reicht nicht nur ein einzelner Tag im Jahr, das sollte integraler Bestandteil einer Kommunikationsstrategie sein.

Wer sind Ihre Vorbilder in Sachen Sichtbarkeit? Haben Sie Role Models?

Grundsätzlich beeindrucken mich Frauen, die in der Öffentlichkeit klar Stellung beziehen. Rita Süßmuth, Renate Künast, Jutta Allmendinger zum Beispiel – sie haben immer eine sehr klare Haltung vertreten. Wenn ich solche Frauen höre, denke ich oft: „Ah, endlich sagt’s mal jemand.“

Und selbst bekomme ich diese Rückmeldung auch manchmal von Kolleg*innen, die sagen: „Danke, dass du das mal gesagt hast.“ oder „interessanter Gedanke“. Das zeigt mir, dass es sich lohnt, Dinge offen anzusprechen und neue Gedanken zu teilen – sei es in Diskussionen zu Gender Studies oder zu anderen gesellschaftlich relevanten Themen.