Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juli 2020

Warum posten Nutzerinnen und Nutzer ruppige Online-Kommentare? Funktioniert Humor auf Science-Twitter? Und wie gut ist die Qualität der Informationen über Covid-19 auf Wikipedia? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Studien im aktuellen Forschungsrückblick.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Warum in Online-Diskussionen gepöbelt wird

Beleidigungen, Spott, Sarkasmus: Diskussionen im Netz verlaufen nicht immer sachlich, was auch für wissenschaftliche Themen wie den Klimawandel oder aktuell die Corona-Einschränkungen gilt. Jan Kluck und Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen interessierten sich in einem Konferenzbeitrag dafür, aus welchen Motiven sich Menschen generell in Online-Diskussionen ruppig verhalten, und wie verbreitet verschiedene Arten von Unhöflichkeit sind.

Methodik: Für ihre Online-Studie rekrutierten Kluck und Jucks 115 Probandinnen und Probanden, die sich nach eigenen Angaben regelmäßig aktiv an politischen Diskussionen im Netz beteiligen. Zunächst sollten sie einige allgemeine Fragen beantworten und beispielsweise angeben, warum sie an solchen Debatten teilnehmen. Anschließend erhielten sie zehn Beispiele für Kommentare, die angeblich „typische“ Arten von Diskussionsbeiträgen waren. Was ihnen nicht gesagt wurde: Jeder dieser Kommentare entsprach einer bestimmten Art von Unhöflichkeit, von den Forschenden „Inzivilität“ genannt – etwa ein persönlicher Angriff, Desinformation, Ablenkung vom Thema oder obszöne Sprache. Die Teilnehmenden sollten jeweils angeben, ob sie dieses Stilmittel schon einmal selbst in Kommentaren benutzt hatten, und falls ja, aus welchen Gründen.

„Selten gab jemand allerdings an, mit inzivilen Kommentaren andere herabwürdigen, bloßzustellen oder provozieren zu wollen.“
Ergebnisse: Insgesamt hatten sich die Versuchspersonen nach eigenen Angaben bislang nur selten unhöflich im Netz ausgelassen. Am verbreitetsten waren Ironie und Sarkasmus als Stilmittel, gefolgt von der Abwertung anderer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Desinformation und Drohungen kamen am seltensten zum Einsatz. Für den Einsatz von Inzivilität gab es unterschiedliche Gründe. Verbreitet war etwa der Wunsch, anderen Diskussionsteilnehmern ihr eigenes Verhalten zurückzuspiegeln, wenn die Versuchspersonen dies als unangemessen oder unhöflich empfanden. Auch die Richtigstellung von Informationen sowie Frustration und Verärgerung spielten eine Rolle. Selten gab jemand allerdings an, mit inzivilen Kommentaren andere herabwürdigen, bloßzustellen oder provozieren zu wollen. Es zeigte sich aber, dass Personen, die generell eher aus aggressiven Motiven heraus an Diskussionen teilnahmen (beispielsweise, weil sie gerne andere verärgern), auch häufiger alle Arten von Inzivilität verwendeten.

Schlussfolgerungen: Inzivilität im Online-Diskurs kann sich auf viele Arten äußern und aus unterschiedlichen Motiven heraus geschehen. Generell liegt aber nach Selbstauskunft der Teilnehmenden vielen barschen Kommentaren der Wunsch zugrunde, sich inhaltlich zu positionieren oder anderen Nutzerinnen und Nutzern deren unangemessenes Verhalten zurückzuspiegeln. Inzivile Kommentare wären demnach eher ein Mittel zum Zweck. Störenfriede, die sich vor allem aus aggressiven Motiven heraus überhaupt in Diskussionen begeben, posten allerdings am häufigsten alle Arten von inzivilen Kommentaren.

Einschränkungen: Die Gründe für inziviles Verhalten wurden nur per Selbstauskunft der Teilnehmenden erfasst. Vielleicht, so die Forschenden, erinnerten sich die Versuchspersonen in der Befragung bevorzugt an jene unhöflichen Kommentare, die ihnen selbst gerechtfertigt erschienen. Soziale Erwünschtheit könnte ebenfalls dazu führen, dass Personen nicht zugeben, andere mit ihren Kommentaren tatsächlich verletzen zu wollen. Manche Arten von Inziviliät, wie das gezielte Verbreiten von Falschinformationen oder verbale Drohungen, traten insgesamt nur selten auf, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert.

Kluck, J. P. & Krämer, N. C. (2020). It’s the aggression, stupid! An examination of commenters’ motives for using incivility in online political discussions. In A. Gruzd, P. Mai, R. Recuero, Á. Hernández-García, C. Sian Lee, J. Cook et al. (Eds.), SMSociety’20: International Conference on Social Media and Society. (S. 164–173). New York: Association for Computing Machinery.

Wie gut ist die Corona-Kommunikation auf Wikipedia?

Wikipedia ist nicht nur eine der am häufigsten genutzten Websites weltweit, sondern vor allem die wichtigste Quelle für frei zugängliches Wissen. Über die inhaltliche Qualität der Enzyklopädie gibt es zwar immer wieder Diskussionen, die meisten Untersuchungen bescheinigen ihr jedoch eine hohe Zuverlässigkeit. Der Kulturwissenschaftler Giovanni Colavizza von der Universität Amsterdam untersuchte nun, ob das auch für Wikipedia-Einträge zum neuen Coronavirus und zu Covid-19 gilt.

Methodik: Colavizza kombinierte zunächst zwei Datenbanken („CORD-19“ und „Dimensions COVID-19 Publications“), um einen Überblick über die Forschungsliteratur zu Corona zu erhalten. Dann prüfte er mittels verschiedener statistischer Verfahren, welche Themengebiete dieser Forschung bereits Eingang in (englischsprachige) Wikipedia-Artikel gefunden haben und welche Merkmale jene wissenschaftlichen Artikel aufweisen, die in Wikipedia zitiert werden.

Ergebnisse: Wikipedia-Artikel zum Thema Covid-19 stützen sich weitestgehend auf dieselben Qualitätskriterien, die auch vor der Pandemie bei biomedizinischen Themen zum Einsatz kamen. So werden vor allem regulär publizierte Artikel aus (auch hochspezialisierten) wissenschaftlichen Zeitschriften, die viel zitiert werden und gemäß Altmetriken einen großen Impact haben, gegenüber Preprints bevorzugt. Thematisch bilden die Einträge in der Enzyklopädie dabei die Forschung zu Corona im Großen und Ganzen gut ab. Es wird also kein Aspekt des Themas in Wikipedia zu stark oder zu wenig betrachtet – mit Ausnahme sozialwissenschaftlicher Forschung, die unterrepräsentiert ist. Insgesamt werden rund zwei Prozent der Fachliteratur zu Covid-19 in der Wikipedia zitiert, ein Wert, der auch bei anderen wissenschaftlichen Themen beobachtet werden konnte.

Schlussfolgerungen: Die Autorinnen und Autorinnen der Wikipedia haben dieser Studie zufolge das rasante Wachstum der Forschungsarbeiten zu Corona beziehungsweise Covid-19 erfolgreich in die Enzyklopädie integriert, ohne auf etablierte Mechanismen der Qualitätssicherung zu verzichten.  

„Es wird kein Aspekt des Themas in Wikipedia zu stark oder zu wenig betrachtet – mit Ausnahme sozialwissenschaftlicher Forschung, die unterrepräsentiert ist.“
Einschränkungen: Die Analyse beschränkt sich auf die Zitationen wissenschaftlicher Literatur in den Wikipedia-Artikeln – die Enzyklopädie-Einträge selbst wurden dagegen nicht untersucht oder auf ihre Qualität hin geprüft. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die zitierten Forschungsergebnisse verzerrt wiedergegeben werden oder dass ihnen in den einzelnen Wikipedia-Einträgen mehr oder weniger Relevanz zugesprochen wird, als ihnen nach wissenschaftlichem Impact zustehen würde, auch wenn das aufgrund früherer Untersuchungen zur Qualität von Wikipedia-Artikeln eher unwahrscheinlich ist.

Colavizza, G. (2020). COVID-19 research in Wikipedia. Quantitative Science Studies, 10.1162/qss_a_00080.

Humor in der Wissenschaftskommunikation funktioniert

Twitter ist ein beliebtes Medium zur Wissenschaftskommunikation – und gleichzeitig für alberne Witze und Wortspiele bekannt. Funktioniert Humor auf dem sozialen Netzwerk auch, um Nutzerinnen und Nutzer dazu zu bringen, sich mit wissenschaftlichen Inhalten auseinanderzusetzen? Das wollte ein Forschungsteam um die Kommunikationswissenschaftlerin Sara Yeo von der University of Utah in einer aktuellen Studie herausfinden.

Methodik: 1.530 Versuchspersonen sollten in einem Online-Experiment zunächst Fragen über sich beantworten. Anschließend sahen sie einen fingierten Tweet mit einem dazugehörigen Kommentar. Dabei gab es mehrere unterschiedliche Versionen der Kurznachricht, von denen jeweils nur eine den Teilnehmenden präsentiert wurde: mal lustige Varianten, mal sachliche; mal hatte der Tweet scheinbar bereits viele Likes erhalten, in anderen Fällen erst wenige. Die Probandinnen und Probanden sollten anschließend angeben, wie erheitert sie waren, und ob sie den Tweet teilen oder liken würden.

„Auch die Persönlichkeit spielte eine Rolle: Wer ein größeres ‚Humorbedürfnis‘ hatte, teilte und likte die witzigen Tweets mit größerer Wahrscheinlichkeit.“
Ergebnisse: Humorvolle Tweet-Varianten sorgten für mehr Heiterkeit unter den Teilnehmenden. Am effektivsten war dafür die Kombination zweier Humor-Arten: Anthropomorphismus (Atome wurden als „Personen“ dargestellt, die sich unterhalten) in Verbindung mit einem Wortspiel (Atom 1: „I think I’ve lost an electron“ – Atom 2: „Are you sure?“ – Atom 1: „Yeah, I’m positive“). Wer lustige Tweets gesehen hatte, äußerte auch eher die Absicht, den Beitrag zu teilen oder zu liken. Auch die Persönlichkeit spielte eine Rolle: Wer ein größeres „Humorbedürfnis“ hatte, teilte und likte die witzigen Tweets mit größerer Wahrscheinlichkeit. Darunter verstehen die Forschenden den individuellen Wunsch nach Leichtigkeit und Verspieltheit im Alltag.

Schlussfolgerungen: Humor auf Twitter scheint ein funktionierendes Vehikel zu sein, um das Engagement der Nutzerinnen und Nutzer mit wissenschaftlichen Inhalten zu fördern.

Einschränkungen: Getestet wurde nur der Effekt eines einzigen Gags (in verschiedenen Varianten) auf die Teilnehmenden. Die Autorinnen und Autoren geben daher selbst zu bedenken, dass es noch unklar ist, inwiefern sich die Ergebnisse auf andere Arten von Humor generalisieren lassen – etwa auf den Hashtag #overlyhonestmethods, unter dem Forschende ihre (oft realen) Missgeschicke und Fehlschläge beschreiben. Vor allem aber bleibt die Frage, was eigentlich ein „guter“ wissenschaftlicher Witz ist, der viele Personen zum Engagement mit wissenschaftlichen Inhalten führt, weiter unbeantwortet.

Yeo, S. K., Su, L. Y.-F., Cacciatore, M. A., McKasy, M. & Qian, S. (2020). Predicting intentions to engage with scientific messages on Twitter: The roles of mirth and need for humor. Science Communication, 10.1177/1075547020942512.

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Die Corona-Ausgangssperren haben sich in vielen Ländern der Erde auch auf Citizen-Science-Vorhaben ausgewirkt. Projekte, an denen man von zu Hause aus teilnehmen kann – etwa Vogelbeobachtungen im eigenen Garten –, fanden jedoch rasanten Zulauf, schreiben Forschende aus Südafrika in einem neuen Paper. Das Interesse an Citizen-Science scheint demnach im Lockdown sogar insgesamt gestiegen zu sein.

„Das Interesse an Citizen-Science scheint demnach im Lockdown sogar insgesamt gestiegen zu sein.“
Aus Rezos Youtube-Video „Die Zerstörung der CDU“ entstand eine deutschlandweite Diskussion, die sich nicht nur auf Online-Medien beschränkte, sondern auch auf traditionelle Medien und sogar Institutionen wie Schulen überschwappte. Wie das abgelaufen ist, zeichnet der Soziologe Joachim Allgaier in einer aktuellen Studie nach.

Eine oft übersehene Möglichkeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten und ihre Forschung zu präsentieren, hat der Kommunikationswissenschaftler Vaughan James nun in einer qualitativen Interview-Studie genauer unter die Lupe genommen: Wissenschaftsvermittlung auf populären Conventions, zum Beispiel der „Dragon Con“ in Atlanta.

Wie verändern Citizen-Science-Projekte das Wissenschaftsverständnis der Teilnehmenden? Laut einer aktuellen Studie sind sie anschließend beispielsweise besser darin, in Infografiken präsentierte Daten zu verstehen.

Ein Preprint auf PsyArXiv widmet sich einem neuen Genre von Wissenschaftspodcasts. Daringeht es weniger um Forschungsergebnisse als vielmehr um das wissenschaftliche Arbeiten an sich und die wissenschaftliche Kultur. In dem Dokument wird erläutert, wie Forschende und solche, die es werden wollen, von diesem Format profitieren.

Ob Menschen eine Falschinformation in den Medien als „Fake News“ interpretieren (also der Redaktion unterstellen, absichtlich die Unwahrheit zu verbreiten), hängt auch von der Persönlichkeit ab: Wer ein größeres Bedürfnis nach Klarheit und Struktur an den Tag legt, glaubt offenbar seltener an Irrtümer und ist schneller mit dem Fake-News-Vorwurf zur Stelle. Das zeigt eine neue Untersuchung.

Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.