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Diese Bücher liest die Redaktion

Mit den kälteren und dunklen Tagen ist endlich wieder mehr Zeit für gemütliches Schmökern. Wir haben die Wissenschaftskommunikation.de Redaktion gefragt: Welche Sachbücher findet ihr besonders gelungen?

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Elena liest „Organisch“. Mit ihrem neuen Buch liefert Giulia Enders das vielleicht schönste Argument, unseren Körper endlich als Verbündeten zu sehen. Wie bei ihrem Bestseller „Darm mit Charme“ verknüpft sie Seite für Seite medizinisches Wissen mit persönlichen Geschichten und Bildern. Die sind so konkret und nahbar, dass selbst komplexe Prozesse im Kopf bleiben.

Das große Ganze von der Lunge über die Haut bis zum Herz erschließt sich dabei erst gegen Ende und man erkennt, wie viel in uns im Verborgenen zusammenspielt. Besonders überzeugt Enders Art, mit Metaphern kleine Szenen zu bauen, in denen unser Inneres zu einem liebevoll-chaotischen Ensemble wird, dem man gerne zuhört.

Für die Feiertage ist dieses Buch ideal: Man kann tief abtauchen, ganz nebenbei unglaublich viel lernen und bleibt am Ende mit einer stillen Dankbarkeit für das Wunderwerk Körper zurück.

„Organisch“ von Giulia Enders ist 2025 bei Ullstein erschienen, 336 Seiten

Anna liest „Tuberkulose“. Im Gegensatz zum schlichten deutschen Titel deutet das englische „Everything is Tuberculosis“ an, was der Schriftsteller, YouTuber und Wissenschaftskommunikator John Green auf seiner obsessiven Reise in die Geschichte der Krankheit entdeckt hat. Erstaunlich viele Ereignisse der Weltgeschichte haben einen gemeinsamen Nenner: die Erkrankung an Tuberkulose. Green schreibt: „Zumindest für mich offenbaren die Geschichte und Gegenwart der Tuberkulose die Torheit und Genialität, Grausamkeit und Gnade der Menschen.“ Green findet Verbindungen zur Gründung des Staates New Mexico, zur Erfindung des Cowboyhuts und zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Dabei erklärt er, wie die Krankheit trotz ihrer mittlerweile guten Heilbarkeit in vielen Ländern weiterhin floriert. Dabei erinnert er uns immer wieder daran, dass es möglich und notwendig ist, auch für weit entferntes Leid Empathie zu empfinden.

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Von der Romantisierung der Schwindsucht als Zeichen von Intellekt bis zu ihrer Abwertung als Schmutz und Schande folgen wir Greens Recherche. Die kurzen Kapitel sind gut lesbare Essays, die im für Green typischen Pathos verfasst sind. Bei uns ist John Green vor allem für seinen Welterfolg „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, ein Jugendbuch über zwei an Krebs erkrankte Teenager, bekannt. In den USA sind er und sein Bruder Hank Green feste Größen in der Wissenschaftskommunikation. Unter anderem haben sie den YouTube-Kanal „SciShow“ gegründet. 

John Green ist ein großartiger Erzähler, dem es immer gelingt, Leser*innen in den Bann seiner Geschichten zu ziehen – selbst wenn das Thema so düster ist wie Tuberkulose. Ich empfehle die Lektüre unbedingt! 

„Tuberkulose“ von John Green ist 2025 bei Hanser erschienen, 224 Seiten

Inga liest „Sind Flüsse Lebewesen?“. Zugegeben, der Anfang war mühsam. Schwerfällig und schwülstig erschien mir dieses Buch, das sich dennoch zu einer meiner liebsten Lektüren des Jahres entwickelte. Deshalb mein Rat: Nicht schnell beiseite legen, nicht nachdenken. Einfach treiben lassen. 

Robert Macfarlane reist für dieses Buch entlang des Río Los Cedros in Ecuador, ins indische Chennai und im Kajak über den kanadischen Magpie River. 

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Gemeinsam mit Indigenen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen erkundet er diese Orte und erfährt von Konflikten, Bedrohungen und Hoffnungsschimmern. Macfarlane, bekannt im Genre des Nature Writing, verwebt in seinen mäandernden Erzählungen Metaphern und Details zu neugierigen und begeisterten Naturbeschreibungen. Ebenso pointiert, einfühlsam und witzig sind die Beschreibungen der Menschen, die er trifft. Dabei kehrt er immer wieder zu der Frage zurück, ob Flüsse Lebewesen sind. Seine Überlegungen kreisen um das Konzept der Rechte der Natur, die Ecuador 2008 in seiner Verfassung verankert hat – und die inzwischen auch in deutschen Debatten um Spree, Oder und Loisach angekommen sind. 

Unbedingt erwähnt seien auch Frank Sievers und Andreas Jandl, die es geschafft haben, Macfarlanes Fabulierlust ins Deutsche zu übertragen. Statt – wie es viele Bücher zum Klimawandel tun – auf einer intellektuellen Ebene anzusetzen, taucht er sprachlich und manchmal auch ganz physisch tief in Wälder und Flüsse ein. Dadurch wird die Natur sinnlich erlebbar. Und die Frage, ob Flüsse leben, erscheint am Ende bloß noch rhetorisch. 

„Sind Flüsse Lebewesen?“ von Robert Macfarlane ist 2025 bei Ullstein erschienen, 416 Seiten

Michael liest „Wenn Russland gewinnt“. Wir schreiben das Jahr 2028. Russische Truppen überqueren die Grenze zu Estland und erobern eine Kleinstadt. Im NATO-Hauptquartier in Brüssel herrscht Uneinigkeit: Wie soll die Allianz reagieren?

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Der Politikwissenschaftler Carlo Masala entwirft auf kompakten 116 Seiten ein Zukunftsszenario, das von der Prämisse einer nahenden ukrainischen Kapitulation ausgeht. Es kommt zu einem prekären Friedensschluss, der die Ukraine ins Chaos stürzt, während man im Westen auf eine Entspannung der Beziehungen mit Russland hofft. Masala stellt zu Beginn des Buches klar, dass er sich nicht als Prophet betätigen möchte. Er betrachtet das Gedankenexperiment als Erweiterung des Möglichkeitsraums, in der Hoffnung, dass das Beschriebene nicht eintritt. Das Szenario greift wissenschaftliche Erkenntnisse auf, ist aber nicht trocken, sondern liest sich wie ein klug durchdachter Thriller. Das Buch enthält Beschreibungen, fiktive Szenen und Dialoge.

Am Ende wird das Szenario gut verständlich eingeordnet und mit Reflexionen und Handlungsempfehlungen abgeschlossen. Masala betreibt keine Panikmache – ein Eindruck, der durch den Titel des Buches entstehen könnte. Vielmehr stellt er die Lehren aus seinem Szenario sachlich und fundiert dar. Das Buch ist ein wichtiger Debattenbeitrag in einer schwierigen und ereignisreichen Zeit.

„Wenn Russland gewinnt“ von Carlo Masala ist 2025 bei C.H.Beck erschienen, 119 Seiten 

Sabrina liest „Warum wir sterben“. Der Gedanke an den eigenen Tod ist unangenehm. Wer beschäftigt sich schon gerne freiwillig damit? Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir schließlich damit, den Tod zu verdrängen. Doch Venki Ramakrishnan nimmt uns genau dahin mit: In die Biologie des Sterbens. Dabei taucht der Nobelpreisträger zwar tief in die biologischen und chemischen Prozesse ein, die uns altern lassen – dies gelingt ihm aber auf eine persönliche und fesselnde Art. Leser*innen lernen nicht nur, wie Genetik, Proteine und andere Faktoren das Altern beeinflussen, sondern erfahren auch viel über Ramakrishnan selbst. 

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Es macht Spaß, ihm bei seiner erzählerischen Reise zu folgen, die immer wieder zum Schmunzeln einlädt. So gesteht er etwa, dass er selbst manchmal in Panik gerät, wenn er etwas vergisst. Könnte das am Altern liegen? In solchen Momenten beruhigt er sich damit, dass er als junger Mann ebenfalls sehr vergesslich war. Er verpasste dauernd Verabredungen und sogar seine eigene Abschlussfeier, weil er so vertieft in seine Arbeit war.

Doch warum werden wir im Alter vergesslicher? Ramakrishnan erklärt biologische Vorgänge auf verständliche Weise, ohne die Leichtigkeit der Erzählung einzubüßen. Er entlässt die Leser*innen mit kritischen Gedanken darüber, wohin das Wissen über den Tod führen könnte. Wie weit lässt sich die Grenze zum Tod verschieben – und würden wir überhaupt ewig leben wollen? Wer weiß, vielleicht wurde der erste 150-Jährige bereits geboren… 

„Warum wir sterben“ von Venki Ramakrishnan ist 2024 im Klett Cotta erschienen, 352 Seiten

Jana liest „Die Sprache der Wale“. Wenn ich ehrlich bin, ein Sachbuch und auch noch eines mit 400 Seiten ist nicht das erste, wonach ich an einem gemütlichen Nachmittag greifen würde. Aber Tom Mustills Buch über die Welt der Tierkommunikation hat mich überrascht. In den sozialen Medien findet man unzählige Videos von ungewöhnlichen Mensch-Tier-Begegnungen. Darunter auch ein Kajak mit zwei kleinen Gestalten an Board. Einer davon ist Tom Mustill, während ein riesiger Buckelwal über ihm auftaucht.

Bild: Rowohlt

Der Biologe beschreibt den Moment so: „Eben noch fahren wir auf dem spiegelglatten, ruhigen Meer nach Hause, und im nächsten Moment ist diese gewaltige lebende Masse […] in der Luft und beugt sich über uns […]. Und das nächste woran ich mich erinnere, ist, dass ich unter Wasser bin.“

Wie es zu dieser Situation kam und warum der Wal in letzter Sekunde auswich, führt Mustill zur großen Frage seines Buches: Wie kommunizieren Tiere eigentlich? Denn den Wal kann er ja nicht fragen, oder vielleicht doch? Um das zu beantworten, spricht Mustill mit Expert*innen, die mit Unterwassermikrofonen und künstlicher Intelligenz versuchen, die Sprache der Meeresbewohner zu verstehen.

Die „Sprache der Wale“ ist jedoch mehr als eine reine Wissenssammlung. Das Buch erzählt auch von Verantwortung. Von der Verantwortung, den kommenden Generationen eine Welt zu hinterlassen, in der auch sie noch springende Buckelwale beobachten können. Und es zeigt, wie viel wir lernen können, wenn wir bereit sind, wirklich zuzuhören.

„Die Sprache der Wale“ von Tom Mustill ist 2023 bei Rowohlt erschienen, 400 Seiten