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„Man sollte das Engagement nicht einfordern“

Wie wirkt es sich aus, wenn Wissenschaftler*innen mit der Erwartung konfrontiert werden, sich in öffentliche Debatten einzubringen? Im Interview berichten Vitus Püttmann und Stephan Thomsen von den Ergebnissen ihres Umfragexperimentes, an dem mehr als 4.000 Professor*innen teilgenommen haben. 

Herr Thomsen, Herr Püttmann, Ihrem Umfrageexperiment liegt die Annahme zugrunde, dass der Erwartungsdruck an Wissenschaftler*innen steigt, sich in öffentliche Diskussionen einzumischen. Woran machen Sie das fest?

Vitus Püttmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik der Leibniz Universität Hannover. Der Diplompädagoge promoviert zu den Bedingungen und dem Ausmaß von Austauschbeziehungen zwischen Hochschulen und Gesellschaft in Deutschland. Finn Winkler/Leibniz Universität Hannover
Vitus Püttmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik der Leibniz Universität Hannover. Der Diplompädagoge promoviert zu den Bedingungen und dem Ausmaß von Austauschbeziehungen zwischen Hochschulen und Gesellschaft in Deutschland. Foto: Finn Winkler/Leibniz Universität Hannover

Vitus Püttmann: Konkret auf die Wissenschaftskommunikation bezogen könnte man zwei Entwicklungen nennen, die uns ins Auge gefallen sind. Zum einen ist im Zuge der Covid-19-Pandemie, aber auch im Kontext der Diskussionen um den Klimawandel sichtbar geworden, wie stark sich einige Wissenschaftler*innen bereits in der Wissenschaftskommunikation engagieren. Es zeigt sich, welche Bedeutung diese für die öffentliche Meinungsbildung und die politische Entscheidungsfindung gewonnen hat. Die zweite Entwicklung sind steigende Erwartungen seitens der Öffentlichkeit und Politik. So steht die Wissenschaftskommunikation zum Beispiel beim BMBF auf der Prioritätenliste weit oben. Wir haben also zwei Seiten: Einerseits die Anforderungen, die an Wissenschaftler*innen herangetragen werden, und andererseits das Engagement, das schon vorhanden ist. Wir haben uns gefragt: Wie wirken sich Änderungen in den Rahmenbedingungen – unter anderem in Form der externen Anforderungen – darauf aus, was Wissenschaftler*innen tun? 

In welchem Rahmen ist die Idee für das Experiment entstanden? 

Stephan Thomsen: Das Projekt, innerhalb dessen die Befragung durchgeführt worden ist, entstand im Rahmen der Zielsetzung der Niedersächsischen Landesregierung, die Third-Mission-Aktivitäten stärker an den Hochschulen zu verankern. Vor zweieinhalb Jahren haben wir mit dem Minister und der Staatssekretärin darüber diskutiert, dass wir erst einmal wissen müssten, was es für Aktivitäten gibt – nicht nur in den technischen Bereichen, die sehr transferorientiert sind. Wir wollten auch wissen: Was machen Gesellschaftswissenschaftler*innen, was machen Musiker*innen, was machen Architekt*innen? 

Stephan Thomsen ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Angewandte Wirtschaftspolitik und geschäftsführender Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik sowie des Centers für Wirtschaftspolitische Studien (CWS) an der Leibniz Universität Hannover. Foto: Finn Winkler/Leibniz Universität Hannover
Stephan Thomsen ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Angewandte Wirtschaftspolitik und geschäftsführender Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik sowie des Centers für Wirtschaftspolitische Studien (CWS) an der Leibniz Universität Hannover. Foto: Finn Winkler/Leibniz Universität Hannover

Um das herauszufinden, haben wir Universitäten und Hochschulen in Deutschland zu Angeboten, Governancestrukturen und ihrer Strategie befragt. Dann haben wir eine Erhebung unter Professor*innen durchgeführt, in der sehr spezifisch die Third-Mission-Aktivitäten in Forschung und Lehre und anderen Transferbereichen abgeklopft werden. Innerhalb dieses Surveys haben wir das Umfrageexperiment gemacht.

Wen haben Sie befragt?

Püttmann: Unsere Anfrage richtete sich an alle Professor*innen an Hochschulen in staatlicher und kirchlicher Trägerschaft mit Ausnahme der Verwaltungshochschulen. Wir haben insgesamt rund 50.000 Personen angeschrieben. Von denen haben uns rund 4.700 geantwortet. Es sind über 240 Hochschulen vertreten, alle Fachbereiche, alle Hochschultypen. Was wir jedoch sehen, ist, dass – vermutlich aufgrund des höheren Interesses an dem Thema – diejenigen Professor*innen etwas stärker vertreten sind, die dem Austausch mit der Gesellschaft erst einmal offener gegenüberstehen. Es hat sich aber bei dem Experiment zur Wissenschaftskommunikation gezeigt, dass genau diejenigen Professor*innen, die bereits etwas offener sind, für uns die relevante Personengruppe sind. Denn sie reagieren letztendlich besonders stark auf die Rahmenbedingungen, die wir untersucht haben. 

Sie wollten wissen, wie sich unterschiedliche Arten von Anforderungen und Erwartungen auf die Motivation der Professor*innen auswirken. Wie haben Sie das untersucht?

Püttmann: Wir haben uns entschieden, ein sogenanntes Fragebogenexperiment zu nutzen, weil wir besonders daran interessiert waren, die kausalen Effekte der Rahmenbedingungen zu identifizieren. Dazu haben wir die Proband*innen zu Beginn zufällig in fünf Gruppen eingeteilt, um dann allen dieselbe Frage zu stellen: Sind Sie der Ansicht, dass sich die Wissenschaftler*innen aus Ihrer Fachdisziplin stärker in öffentliche Debatten einbringen sollen? Unsere Kontrollgruppe hat nur diese eine Frage bekommen. Die vier weiteren Gruppen haben jeweils zusätzliche Informationen beziehungsweise Rahmungen der Frage erhalten, sodass wir ermitteln können: Inwiefern verändert sich die Einstellung der Befragten aufgrund der unterschiedlichen Rahmungen?

Welche Haltung zeigten die Professor*innen grundsätzlich gegenüber einem stärkeren Engagement in öffentlichen Debatten? 

„Dreiviertel der Befragten sprechen sich dafür aus, dass aus ihrer Fachdisziplin in Zukunft mehr oder viel mehr Engagement gezeigt wird.“ Vitus Püttmann
Püttmann: Insgesamt finden wir sehr hohe Zustimmungswerte zu einer Ausweitung des Engagements. Dreiviertel der Befragten sprechen sich dafür aus, dass aus ihrer Fachdisziplin in Zukunft mehr oder viel mehr Engagement gezeigt wird. Dabei muss man natürlich die grundsätzlich positivere Einstellung der Proband*innen berücksichtigen. Das lässt sich sicher nicht auf die Gesamtheit der Professor*innen in Deutschland übertragen. 

Und welchen Einfluss hatten die Rahmenbedingungen? 

Püttmann: Eine Rahmenbedingung war die Erwartung seitens der Politik. Die erste Gruppe von Befragten bekam einen Hinweis darauf, dass der Wissens- und Technologietransfer im Allgemeinen als Aufgabe von Hochschulen in den meisten deutschen Ländern gesetzlich verankert worden ist. 

Eine weitere Rahmenbedingung war die Erwartung aus der Bevölkerung. Die zweite Gruppe wurde explizit auf diese Erwartung hingewiesen. Zudem wurde sie mit Zahlen aus einer Bevölkerungsumfrage konfrontiert, in der 67 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass Entscheidungen über Wissenschaft und Forschung in erster Linie vor dem Hintergrund des Beitrags zur Lösung gesellschaftlicher Probleme getroffen werden sollten. 

In diesen beiden Fällen sehen wir, dass diese Erwartungen dazu führen, dass die insgesamt sehr positiven Einstellungen der Professor*innen deutlich negativer ausfallen. Einen ähnlichen Effekt, nämlich eine Verschlechterung der Einstellungen, sehen wir, wenn wir die Professor*innen auf mögliche Risiken ihres Engagements hinweisen. Hierfür haben wir im Rahmen des Experiments die Beispiele von Professor Christian Drosten und Professor Hendrik Streeck angeführt, die im Kontext der Covid-19-Pandemie mit Todesdrohungen und Strafanzeigen konfrontiert wurden – also extremen Formen negativer Rückmeldungen. Wenn wir das in den Vordergrund rücken, dann fallen die Einstellungen der Professor*innen negativer aus. Als vierte und letzte Rahmenbedingung haben wir uns die Unterstützung aus der Gesellschaft heraus angeschaut. Hier sehen wir aber keinen Einfluss auf die Einstellungen der Befragten. 

Welche Rolle spielen Alter und Geschlecht der Befragten? 

„Es ist nicht so, dass beispielsweise die Jüngeren grundsätzlich stärker für eine Ausweitung des öffentlichen Engagements sind.“ Stephan Thomsen
Püttmann: In der Gruppe, bei der wir die Risiken einer Beteiligung in der öffentlichen Debatte hervorheben, sehen wir, dass sowohl weibliche Professorinnen, als auch jüngere Professor*innen besonders stark darauf reagieren. Die Effekte werden ganz besonders von der jüngsten Altersgruppe getrieben, also den Professor*innen, die jünger als 45 Jahre alt sind. Bei den zwei anderen Gruppen, die wir betrachten, 45 bis 54 Jahre und älter als 54 Jahre, sehen wir kaum ausgeprägte Effekte aufgrund der Risiken. Bei den drei anderen Bedingungen sehen wir keine altersbedingten Unterschiede. 

Thomsen: Was wir außerdem feststellen können, ist, dass die Unterschiede zwischen den Altersgruppen in der Befürwortung prinzipiell nicht groß sind. Es ist nicht so, dass beispielsweise die Jüngeren grundsätzlich stärker für eine Ausweitung des öffentlichen Engagements sind.

Welche Schlussfolgerungen kann man aus den Ergebnissen für die Förderung von Wissenschaftskommunikation ziehen? 

Püttmann: Wir sehen drei zentrale Implikationen. Zum einen haben wir gerade darüber gesprochen, dass die Risiken unterschiedliche Wirkungen auf verschiedene Gruppen von Professor*innen haben. Hier denken wir, sollte das Ziel sein, diese Risiken zu berücksichtigen und Mechanismen und Strategien zu entwickeln, um sie abzufedern. Das ist auch wichtig, damit die Professor*innenschaft adäquat in der Öffentlichkeit repräsentiert ist. Denn man sieht, dass jüngere und weibliche Professor*innen deutlich stärker auf die Risiken reagieren und vielleicht auch deutlich stärker abgeschreckt werden, sich in diesem Bereich zu engagieren. 

„Wenn die zeitliche Belastung durch unterstützende Maßnahmen verringert werden könnte, würde das vielleicht der bisher bestehenden intrinsischen Motivation zuträglich sein.“ Vitus Püttmann
Zwei andere Implikationen, die wir sehen, beziehen sich auf die Wirkung der Rahmenbedingungen „öffentliche Erwartung“ und „Erwartung seitens der Politik“. Hier zeigt sich, dass die negativen Effekte dieser externen Erwartungen vor allem bei Professor*innen hervorgerufen werden, die einem Austausch mit der Gesellschaft tendenziell offener gegenüberstehen. Insofern interpretieren wir diese Auswirkungen als eine Art oppositionelles Verhalten mit dem die Professor*innen negativ darauf reagieren, dass durch externe Erwartungen möglicherweise ihre Autonomie beschränkt wird. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass die bereits bestehende intrinsische Motivation durch Fördermaßnahmen oder durch Anreizmechanismen nicht beeinträchtigt werden sollte. 

Was könnten solche Anreize sein, die die intrinsische Motivation stärken, statt Erwartungsdruck zu erzeugen?

Püttmann: Das haben wir in unserer Studie nicht konkret untersucht. Wenn man aber auf die sonstige Forschungsliteratur zurückgreift, zeigt sich: Finanzielle Anreize werden häufiger zu denen gezählt, die nicht im Einklang mit einer intrinsischen Motivation stehen. Dazu zählen eher Anreize wie zusätzliche Freiräume, die ein solches Engagement ermöglichen. Professor*innen haben einen bunten Blumenstrauß an Aktivitäten, denen sie nachgehen müssen. Wenn die zeitliche Belastung durch unterstützende Maßnahmen verringert werden könnte, würde das vielleicht der bisher bestehenden intrinsischen Motivation zuträglich sein. 

„Ich glaube, es muss ein Schutzraum bemüht werden, damit Wissenschaftler*innen genügend Reflexionsmöglichkeiten haben, wenn sie nach außen kommunizieren.“ Stephan Thomsen
Thomsen: Ich denke auch, dass die Wertschätzung solcher Aktivitäten ein wichtiger Punkt ist –und die muss nicht durch einen materiellen Anreiz erfolgen. Wichtig ist, Unterstützungsangebote zu machen, denn die Denklogiken der Öffentlichkeit und des politischen Systems unterscheiden sich von der in der Wissenschaft. In öffentlichen Diskussionen kommt es schnell zu einer Polarisierung bestimmter Positionen. Ich glaube, es muss ein Schutzraum bemüht werden, damit Wissenschaftler*innen genügend Reflexionsmöglichkeiten haben, wenn sie nach außen kommunizieren. Es geht nicht nur darum, zu forcieren, dass sich Wissenschaftler*innen öffentlich einbringen. Bei jeder Forderung nach Wissenschaftskommunikation sollte sehr vorsichtig und sehr sensibel vorgegangen werden: Man sollte das Engagement nicht einfordern, weil es, erstens, mit einem bestimmten Aufwand verbunden ist, und zweitens, – und noch wichtiger – nicht jede*r dazu in der Lage oder willens ist.

Püttmann, V., Ruhose, J., Thomsen, S. (2021): Academics’ Attitudes toward Engaging in Public Discussions – Experimental Evidence on the Impact of Engagement Conditions,  IZA Discussion Paper No. 14668, Bonn; CESifo Working Paper No. 9258, Munich. https://www.cesifo.org/en/publikationen/2021/working-paper/academics-attitudes-toward-engaging-public-discussions