Welches Potenzial hat Konstruktiver Journalismus ? Wie verständlich sind Expert*innen-Debatten? Und hat strategisches, manipulatives Verhalten auf X die #nocovid-Debatte beeinflusst?
Trolle und Bots auf X: Neues aus der Forschung
In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. In diesem Monat geht es um Herausforderungen für den Journalismus, um Verständlichkeit von Expert*innen und „koordiniertes inauthentisches Nutzerverhalten“ auf Social Media.
- Hätte Konstruktiver Journalismus das Potenzial, Interesse an Nachrichten zu wecken und Menschen zu motivieren, dafür zu zahlen? Das haben Silke Fürst und Linards Udris von der Universität Zürich untersucht.
- Wie bewerten Zuschauer*innen die Verständlichkeit von Expert*innen-Debatten? Und welchen Einfluss hat das darauf, wie sie die Veranstaltungen insgesamt finden? Monika Taddicken and Claudia Thoms von der Technischen Universität Braunschweig haben dazu zwei Studien durchgeführt.
- Welche Rolle spielten Bots, Trolle und hyperaktive Nutzer*innen im Coronadiskurs auf X? Habiba Sarhan and Simon Hegelich von der Technischen Universität München haben das am Beispiel der #nocovid-Debatte untersucht.
- In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es unter anderem um Gesundheitskommunikation und Kommunikation mit dem Nicht-Menschlichen.
Konstruktiver Journalismus als Impulsgeber?
Wie können Menschen trotz Nachrichtenmüdigkeit und Vertrauensverlust gegenüber Medien erreicht werden? Wie lässt sich Interesse für Berichterstattung über drängende Themen wie den Klimawandel wecken? Und wie kann der Journalismus überleben, wenn Leser*innen nicht bereit sind, für Informationen zu zahlen? Ein Ansatz, der diskutiert wird, um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist der konstruktive Journalismus. Zentrale Prinzipien sind, positiv, lösungsorientiert und kontextualisierend zu berichten. Besonders in den USA und Großbritannien, aber auch in Deutschland seien in den vergangenen Jahren viele konstruktive journalistische Formate lanciert worden (beispielsweise „Perspective Daily“ und „Krautreporter“), in der Schweiz jedoch nur vereinzelt (beispielsweise „Challenge Accepted“ vom Online-Magazin „Die Republik“), schreiben Silke Fürst und Linards Udris. Die beiden Forscher*innen von der Universität Zürich haben deshalb untersucht, wie es in dem Land um die Nachfrage nach solchen Angeboten steht.
Methode: Befragt wurden Anfang 2023 im Rahmen des Reuters Institute Digital News Report 1478 Personen in der Deutschschweiz und 1050 in der Suisse romande (französischsprachige Schweiz). Die Stichprobe war für jede der beiden Sprachregionen in Bezug auf Alter, Geschlecht, Region und Bildung repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung mit Internet-Zugang. Die Suisse romande war in der Gesamtstichprobe jedoch überproportional vertreten. Ausgewertet wurden Antworten von knapp 2500 Personen. Die Teilnehmenden gaben an, wie sehr sie generell an Nachrichten interessiert sind, wie häufig sie üblicherweise Nachrichten konsumieren, wie oft sie diese bewusst vermeiden und wie sehr sie prinzipiell Medien vertrauen. Abgefragt wurde auch, wie hoch ihr Interesse an einem auf aktuelle Nachrichten fokussierten „Informationsjournalismus“ und an einem klassischen „Watchdog-Journalismus“ ist, der Fehlverhalten oder Machtmissbrauch aufdeckt.
Um zu messen, wie groß die potenzielle Nachfrage nach konstruktivem Journalismus ist, wurde gefragt, wie sehr die Studienteilnehmenden an den drei Hauptaspekten des Ansatzes interessiert sind.
- Lösungsorientierung: Es wird über aktuelle Themen berichtet und dies mit der Darstellung potenzieller Lösungen verknüpft.
- Positives: Konstruktiver Journalismus berichtet über positive Ereignisse und Handlungsmöglichkeiten, ohne dabei zu beschönigen oder unkritisch zu werden.
- Erklärungen und Kontextualisierung: Der Ansatz zeichnet sich durch eine einordnende Berichterstattung aus.
Alle Befragten, die angegeben haben, dass sie im vergangenen Jahr nicht für Online-Nachrichten bezahlt haben, wurden außerdem gefragt, welche von einigen vorgegebenen Optionen („interessantere“, „relevantere“, „exklusivere“ Inhalte), sie dazu bewegen könnten, für Journalismus zu zahlen.
Ergebnisse: Konstruktiver Journalismus stößt alters- und geschlechtsübergreifend auf sehr starkes Interesse. Besonders stark ist das Interesse an positiven Nachrichten und an lösungsorientierter Berichterstattung. Auch ein einordnender Journalismus ist von hohem Interesse, weniger hohe Werte erzielte der „aktuelle Informationsjournalismus“ und noch geringere der „Watchdog-Journalismus“. Diese Rangfolge gilt für beide Sprachregionen, in der Deutschschweiz ist jedoch der Anteil derer, die sich sehr stark für die Hauptaspekte des Konstruktiven Journalismus interessieren, höher als in der französischsprachigen Schweiz (55 bis 65 Prozent im Vergleich zu 40 bis 49 Prozent).
Rund 20 Prozent der Befragten, die nicht für Online-Nachrichten zahlen, geben an, dass sie dies für interessantere und relevantere Inhalte tun würden. Bei exklusiven Inhalten ist die Zahlungsbereitschaft etwas geringer. Insgesamt zeigen sich diejenigen, die ein hohes Interesse an konstruktivem Journalismus haben, eher bereit, für journalistische Inhalte zu zahlen.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass der Konstruktive Journalismus in beiden Sprachregionen am stärksten diejenigen anspricht, die gut gebildet sind, über ein hohes Einkommen verfügen, sich für Nachrichten interessieren und großes Vertrauen in Medien haben. Trotzdem sehen die Forschenden auch Hinweise darauf, dass Konstruktiver Journalismus für andere Personengruppen interessant sein könnte – zum Beispiel für diejenigen, die normalerweise zur Nachrichtenvermeidung tendieren. Dass der Ansatz unabhängig vom Alter auf hohes Interesse stößt, sei insofern relevant, da gerade junge Menschen zunehmend mit Nachrichten unterversorgt seien. Diese Ergebnisse sprächen dafür, dass Konstruktiver Journalismus dazu beitragen könne, die Rolle des Journalismus in der demokratischen Gesellschaft zu stärken, schreiben die Forschenden.
Auch weisen die Ergebnisse der Studie auf dessen Potenzial hin, die Finanzierung des Journalismus zu stärken. Unklar bleibt dabei jedoch, ob die Befragten tatsächlich für „interessantere“ und „relevantere“ Inhalte zahlen würden. Der Konstruktive Journalismus sei sicherlich kein „Allheilmittel“ für alle Probleme, schreiben die Forschenden. Er könnte jedoch ein Baustein zur Bewältigung der Medienkrise sein.
Einschränkungen: Das Interesse an den Hauptaspekten des Konstruktiven Journalismus wurde nur über drei Fragen gemessen. Die Forschenden schlagen vor, in zukünftigen Befragungen differenziertere Messungen vorzunehmen.
Fürst, S., Udris, L. (2025) Impulsgeber in der Medienkrise? Konstruktiver Journalismus als Mittel zur Stärkung demokratierelevanter Medienstrukturen. Medien & Kommunikationswissenschaft (M&K) 73. 214–234. 10.5771/1615-634X-2025-2-214
Expert*innen-Debatten: Verständlichkeit ist nicht alles
Wissenschaftliches Wissen kann nützlich sein, um sich Meinungen zu aktuellen Themen bilden und gut begründete Entscheidungen treffen zu können. Dafür aber muss dieses Wissen zugänglich gemacht werden. Expert*innen wird häufig geraten, „verständlich“ zu kommunizieren. Aber was bedeutet das konkret? Und wie kann „Verständlichkeit“ gemessen werden? Monika Taddicken and Claudia Thoms von der Technischen Universität Braunschweig haben in zwei Studien die Verständlichkeit von Expert*innen-Debatten zu wissenschaftlichen Themen untersucht.
Methode: In der ersten Studie wurde die Verständlichkeit von Diskussionen im Wissenschaftskommunikationsformat „Die Debatte“ untersucht, das regelmäßig in verschiedenen deutschen Städten zu Gast ist. Dabei diskutierten Expert*innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit zwei Moderator*innen. Die Forscherinnen befragten knapp 300 Personen aus dem Publikum zu ihrer Wahrnehmung von Veranstaltungen zu folgenden Themen: Autonomes Fahren (76 Befragte), Meinungsforschung (51 Befragte), digitalisierte Kindheit (114 Befragte), Wohnungsmarkt (31 Befragte) und Geoengineering (26 Befragte). Die Zuschauer*innen wurden gefragt, wie sie die Verständlichkeit der Diskussion als Ganzes, der Expert*innen und des Inhalts bewerteten und wie sie die Expert*innendiskussion insgesamt fanden.
Außerdem analysierten die Forscherinnen die Transkripte der Debatten mit computergestützten linguistischen Methoden. Dabei wurden Merkmale für Verständlichkeit, wie „Lesbarkeit“, untersucht. Diese Merkmale bezogen sich einerseits auf sprachliche Komplexität – beispielsweise, wie viele lange Worte, lange Sätze und wenig gebräuchliche Worte verwendet wurden. Weitere Merkmale bezogen sich auf inhaltliche Komplexität – beispielsweise, wie viele Worte verwendet wurden, die Ungewisskeit signalisieren. Je mehr „zaghafte“ Wörter, desto unsicherer erscheine ein Text insgesamt, erklären die Forscherinnen. Zur inhaltlichen Komplexität zähle auch „kognitive“ Komplexität, worunter die Forscherinnen die Fähigkeit und Bereitschaft fassen, unterschiedliche Positionen und eine differenzierte Sichtweise zu entwickeln. Die Ergebnisse der Publikumsbefragung und der linguistischen Analyse wurden miteinander verglichen.
Ergebnisse: Insgesamt wurden die Expert*innen-Diskussionen vom Publikum als sehr verständlich wahrgenommen – vor allem die Debatten als Ganzes und die einzelnen Expert*innen. Die Inhalte wurden als etwas weniger verständlich wahrgenommen, aber die Werte lagen trotzdem noch weit über dem Mittelwert. „Autonomes Fahren“ wurde als verständlichste Debatte wahrgenommen, während die Expert*innen zum Thema „Geoengineering“ am verständlichsten eingeschätzt wurden.
Die linguistische Analyse zeigt, dass die Debatte zum „autonomen Fahren“ „am lesbarsten“ war: Die Wortwahl war einfacher und die Sätze kürzer. Bei den anderen Debatten wurden insgesamt nur geringe Unterschiede festgestellt. Die inhaltlichen Merkmale deuten darauf hin, dass es keinen besonders hohen Grad an (Un-)Gewissheit bei den Aussagen gab. Die größte Gewissheit zeigt sich in der Debatte um Geoengineering und die größte Unsicherheit beim Thema Wohnungsmarkt. Interessanterweise wies die Debatte zum autonomen Fahren die höchste kognitive Komplexität auf, gehörte aber zu den verständlichsten. Die Debatte über die digitalisierte Kindheit wies die geringste kognitive Komplexität auf.
Die Forscherinnen verglichen die Einschätzungen des Publikums mit der linguistischen Analyse. Aufgrund der geringen Stichprobengröße könne dies jedoch nur Trends andeuten. Grundsätzlich bewertet das Publikum die Debatten, die es als besonders verständlich einschätzte, auch insgesamt besonders gut. Es war jedoch nicht so, dass verständlichere Debatten unbedingt diejenigen Debatten, deren Inhalte weniger komplex waren. Die Debatte um autonomes Fahren wies beispielsweise die höchste kognitive Komplexität aus, schnitt aber sowohl bei der linguistischen Analyse als auch beim Publikum als verständlichste ab. Geoengineering hingegen wurde vom Publikum als sehr verständlich bewertet, aber die linguistische Analyse wies auf geringe Lesbarkeit hin. Entgegen der Annahmen der Forscherinnen scheint die Bewertung der Verständlichkeit vonseiten des Publikums nicht eng mit der Komplexität, der Unsicherheit eines Themas und dessen unmittelbarer Bedeutung für die Lebenswelt der Befragten verbunden zu sein.
In der zweiten Studie lieferte das Echtzeit-Response-Messsystem eine Art „Fieberkurve“ für die Reaktionen des Publikums. Die Forscherinnen konzentrierten sich bei der Interpretation auf Momente, in denen die Debatte als besonders gut bewertet wurde (Peaks) und solche, in denen sie besonders schlecht abschnitt (Spikes). Nur bei einem*r Expert*in entsprachen die Ergebnisse den Erwartungen der Forscherinnen: In diesem Fall war die Debatte aus linguistischer Sicht bei den Peaks verständlicher als bei den Spikes. Bei den anderen beiden Expert*innen war die Situation umgekehrt. Die Peaks wiesen grundsätzlich eine höhere Unsicherheit und eine größere kognitive Komplexität auf als die Spikes.
Schlussfolgerungen: Hinweise darauf, was Menschen als verständlich bewerten und welche Rolle Verständlichkeit für die Wahrnehmung von Expert*innen spielt, könnte hilfreiche Impulse für die Praxis der Wissenschaftskommunikation liefern. Die Ergebnisse der ersten Studie weisen darauf hin, dass eine wahrgenommene bessere Verständlichkeit die Gesamtbewertung von Expert*innen-Debatten verbessern könnte. Das zeigt sich am Beispiel des Themas autonomes Fahren: Die Debatte war inhaltlich komplex, sprachlich jedoch verständlich. Die positive Bewertung des Publikums lasse auf die Wertschätzung einer Kommunikation schließen, die komplexes Wissen leicht zugänglich vermittelt. Die inhaltlich einfachere Debatte um Geoengineering hingegen wird vom Publikum ebenfalls als verständlich und insgesamt gelungen bewertet, obwohl sie sprachlich komplexer war. Eine Erklärung dafür könnte laut der Forscherinnen sein, dass sprachliche Komplexität in diesem Fall weniger ausschlaggebend gewesen sein könnte, da der Inhalt an sich nicht so kompliziert war. Vielleicht habe das Publikum unbewusst auch eher das „Expertentum“ als die Verständlichkeit bewertet.
Das spricht dafür, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen, wie etwa die generelle Wahrnehmung der Expert*innen und dessen „Wissenschaftlichkeit“ oder „Expertentum“. Eine kompliziertere Sprache könne etwa als statuskonform empfunden werden und Vertrauenswürdigkeit signalisieren, schreiben die Forscherinnen.
Aus den Ergebnissen ließe sich ableiten, dass Verständlichkeit nicht der einzige und nicht immer der beste Weg ist, um die Gunst des Publikums zu gewinnen. Stattdessen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine Mischung aus komplizierter Sprache und höherer inhaltlicher Komplexität geschätzt wird. Statt für eine zu starke Vereinfachung sprächen die Ergebnisse für einen nuancierteren Ansatz, schreiben sie. Das heißt: Komplexität und Ungewissheit als Bestandteile der Wissenschaftskommunikation anzuerkennen.
Einschränkungen: Bestimmte Faktoren, die die Bewertung der Diskussionsrunden beeinflussen könnten, wurden in den beiden Studien nicht berücksichtigt. Dazu zählen etwa die Sympathie der Expert*innen, Unterhaltsamkeit oder Sprechgeschwindigkeit. Auch die Anzahl der Befragten und der Themen, die debattiert wurden, waren begrenzt.
Taddicken, M., Thoms, C. (2025) How comprehensible are scientific experts? A multi-method comparison of linguistic analyses, surveys, and real-time audience responses. Front. Commun. 10:1580377. doi: 10.3389/fcomm.2025.1580377
Covid-19-Diskurs auf X: Welche Rolle spielten Trolle und Bots?
Ob politische Konflikte, Kriege oder Pandemie: Soziale Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung öffentlicher Diskurse. Ein wichtiges Thema in der Forschung ist das sogenannte „koordinierte inauthentische Nutzerverhalten“ („coordinated inauthentic user behavior, CIUB“). So wird die organisierte und strategische Verbreitung von Informationen durch Bots, Trolle oder hyperaktive Nutzer*innen genannt, die dazu dient, die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren – beispielsweise durch politische Propaganda. Dabei werden bestimmte Standpunkte bewusst verstärkt, um ihnen in Debatten mehr Gewicht zu geben. Dabei kann es sowohl um wahre als auch falsche Narrative gehen. Habiba Sarhan and Simon Hegelich von der Technischen Universität München haben dieses Phänomen am Beispiel des deutschen Coronadiskurses auf der Plattform X (damals noch Twitter) untersucht. Sie wollten herausfinden, ob es Hinweise auf koordiniertes inauthentischen Nutzer*innenverhalten gab und ob es sich tatsächlich auf die öffentliche Meinung ausgewirkt hat. Drittens suchten sie nach Belegen dafür, dass die Funktionsweise der Plattform den Diskurs beeinflusst hat.
Um zu beurteilen, ob die Koordination andere Nutzer*innen beeinflusst hat, führten sie eine Kausalitätsanalyse durch, die prüfte, ob vergangene koordinierte Aktivitäten künftiges nicht koordiniertes Engagement vorhersagen können. Um schließlich die Rolle der Plattformpolitik zu bewerten, analysierten die Forscher*innen, inwieweit der Algorithmus von X bestimmte Standpunkte in der #nocovid-Debatte unterschiedlich verstärkt oder unterdrückt haben könnte.
Methode: Die Forschenden verwendeten einen computergestützten Ansatz zur Erkennung von koordiniertem Verhalten auf X. Sie sammelten von März 2020 bis Januar 2023 insgesamt 102.147 Tweets, die Covid-19-bezogene Hashtags nutzten, einschließlich #nocovid, #longcovidkids, #Querdenkersindterroristen, #Lauterbachmussweg und #Ichhabemitgemacht. Der Fokus lag auf #nocovid, weil der Hashtag laut der Forschenden für eine massive gesellschaftliche Spaltung steht. Er wurde sowohl von Befürworter*innen als auch von Gegner*innen strikter Pandemie-Maßnahmen verwendet.
Die Forschenden nutzten ein statistisches Tool, um folgende Verhaltensweisen zu identifizieren: koordiniertes Link-Sharing, koordiniertes Retweeten, koordinierte Hashtag-Nutzung, koordiniertes Tweeten und koordiniertes Antwortverhalten. Koordiniertes Link-Sharing liegt beispielsweise dann vor, wenn Nutzer*innen innerhalb eines kurzen Zeitraums denselben Link posten und damit möglicherweise bestimmte Inhalte künstlich verstärkt werden sollen. Die Forschenden klassifizieren Aktivitäten als koordiniert, wenn mindestens drei Nutzer*innen innerhalb von zehn Minuten dasselbe Verhalten zeigten.
Außerdem untersuchten die Forschenden, ob Plattform-Algorithmen die Engagement-Muster in verschiedenen Meinungsgruppen beeinflussen. Dazu prüften sie, wie viele Retweets ein Tweet pro Follower*in erhielt. Wenn eine bestimmte Gruppe grundsätzlich weniger Retweets pro Follower erhielt als eine andere, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass der Algorithmus bestimmte Inhalte selektiv filtert.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass die Hashtag-Nutzung, das Antworten (desselben Nutzers) und das Retweeten die häufigsten Formen von koordinierten Aktivitäten waren. Weniger häufig traten das koordinierte Teilen von Links, das Tweeten und Antworten (desselben Textes) auf.
Die Forschenden fanden Hinweise auf koordiniertes inauthentisches Nutzerverhalten in den Diskussionen über #nocovid. Dabei zeigten sich koordinierte Aktivitäten sowohl auf Seiten der Befürworter*innen als auch auf Seiten der Gegner*innen. Häufig wurden #Nocovid und #ZeroCovid in Zusammenhang mit Hinweisen auf Proteste in China verwendet. Es wurden drei dominante Gruppen innerhalb des untersuchten Netzwerks identifiziert. In der ersten Gruppe spielten Nutzer*innen die größte Rolle, die sich gegen die #nocovid-Strategie positionierten, darunter die hyperaktive Nutzerin Birgit93Birgit, die täglich 400 Tweets retweetete. In der zweiten Gruppe fanden sich eher Akteur*innen, die die #nocovid-Strategie unterstützten. Die dritte Gruppe wurde vor allem von Tourismus-Marketing geprägt, zum Beispiel durch einen Bot, der Reisen und Gepäck auf Amazon vermarktet.
Die Analyse von Kausalbeziehungen zeigte keinen Einfluss von koordinierten Tweets auf nicht koordiniertes Verhalten. Die Forschenden schließen deshalb aus, dass koordiniertes inauthentisches Nutzerverhalten Nachrichten generell viraler macht.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich Informationen auf Twitter nicht frei verbreiten, sondern eher in bestehenden ideologischen Netzwerken zirkulieren. Die Studie liefert keine Hinweise darauf, dass koordinierte Tweets – beispielsweise durch Bots oder hyperaktive Nutzer*innen – sich auf das Verhalten von anderen Nutzer*innen und damit auf die öffentliche Meinung auswirkten. Um die tatsächlichen Auswirkungen von koordiniertem Verhalten zu verstehen, seien jedoch zusätzlich qualitative Analysen notwendig, schreiben die Forschenden.
Die Ergebnisse bedeuteten nicht, dass „koordiniertes inauthentisches Nutzerverhalten“ keine Auswirkungen habe. Es trage wahrscheinlich zur Polarisierung bei, indem es vorhandene Einstellungen in ideologischen Netzwerken – sogenannten „Echokammern“ – verstärke.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis sei, dass koordinierte Aktivitäten nicht unbedingt politisch motiviert sein müssen. So waren im dritten identifizierten Cluster Marketing-Bots die treibenden Kräfte.
Einen großen Einfluss kann laut der Studienergebnisse die spezifische Politik der Plattform haben, die bestimmte Inhalte sichtbarer werden lässt als andere. Algorithmische Mechanismen zu Informationsverbreitung und Regulierung der Sichtbarkeit von Inhalten hätten auch zum Ziel, die Verbreitung von Fehlinformationen und schädlicher Inhalte einzudämmen, schreiben die Forschenden. In einer möglichen Verzerrung von Inhalten sehen sie jedoch auch einen Anlass zur Sorge. Sie verweisen dabei etwa den „Social Proof“-Filter, der sicherstelle, dass Nutzer*innen vor allem Inhalte sehen, mit denen auch andere Personen in ihrem Netzwerk interagieren. Dadurch könnten dominante Narrative verstärkt werden, während Minderheitenpositionen möglicherweise weniger sichtbar würden.
Auch staatliche Regulierungen beeinflussen die Inhaltsmoderation auf Social Media, schreiben die Forschenden. Auch hier stelle sich die Frage, ob Plattform-Moderationsrichtlinien für verschiedene politische Perspektiven gleichermaßen gelten, oder abweichende Meinungen benachteiligt werden könnten.
Einschränkungen: Die Forschenden weisen darauf hin, dass der Datensatz aufgrund neuerer Einschränkungen seitens der Plattform X begrenzt ist. Sie betonen auch, dass sie zwar koordiniertes Verhalten feststellen, dieses aber nicht immer „unecht“ sein muss. Es könne sich beispielsweise auch um Aktivismus statt um gezielte Manipulation handeln.
Sarhan, H., Hegelich, S. (2025) There was coordinated inauthentic user behavior in the COVID-19 German X-discourse, but did it really matter? Front. Commun. 10:1510144. doi: 10.3389/fcomm.2025.1510144
Mehr Aktuelles aus der Forschung
In der Gesundheitskommunikation ist eine besonders sensible Wortwahl geboten. Brittany Acors von den National Institutes of Health warnt in einem Kommentar davor, die Metapher des „Monsters“ zu verwenden, wenn es um Viren geht. Es bestehe die Gefahr, dass die dadurch ausgelöste Angst den erhofften Nutzen überwiege. Anhand von historischen Beispielen und einer bioethischen Argumentation zeigt sie, dass die Angst vor einer Infektion sich leicht zu einer Angst vor Infizierten entwickeln kann.
Inwiefern gehen nationale Ernährungsrichtlinien auf kulturelle Besonderheiten ein? Imke Helmus und Tina Bartelmeß von der Universität Bayreuth haben am Beispiel von Deutschland und Brasilien untersucht, wie Kommunikationsmaterialien an politische Entscheidungsträger*innen und die breite Öffentlichkeit gestaltet werden. Die Forscherinnen kommen zu dem Schluss, dass die brasilianischen Ernährungsrichtlinien eine komplexere und kultursensiblere Argumentationsstruktur als die deutschen aufweisen. Sie enthielten unter anderem kulturell verwurzelte Beispiele. In Deutschland hingegen werde eher die wissenschaftliche Autorität betont.
Wie wurde die Öffentlichkeit in den 1960er-Jahren über die damals neu zugelassene Pille zur Empfängnisverhütung informiert? Ein Forschungsteam um Robin E. Jensen von der University of Utah hat die frühe Berichterstattung in der New York Times untersucht. Dabei zeigten sich unterschiedliche, teils widersprüchliche Erzählungen, die unter anderem die Unvorhersehbarkeit der Pille, deren Komplexität und ihre Bedeutung für den wissenschaftlichen Fortschritt betonen. Die Berichterstattung war eher nicht an Lai*innen gerichtet und bezog selten Perspektiven von Frauen ein.
In der Wissenschaftskommunikation geht es meistens um Menschen – aber was ist mit Pflanzen, Bakterien oder künstlichen Intelligenzen? Die aktuelle Sonderausgabe des Journals Frontiers in Communication widmet sich der Kommunikation mit dem Nicht-Menschlichen und neuen visuellen Ausdrucksweisen. In der Biokunst etwa wird mit biotechnologischer Methoden Kunst geschaffen und dabei auch mit lebenden Organismen gearbeitet. Auch künstliche Intelligenz ist ein nicht-menschlicher Akteur, der immer präsenter wird. Marija Griniuk von der Vilnius Academy of Arts beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Wandel von KI von einem passiven Werkzeug zu aktiven, kreativen Assistent*innen. Takumi Saeki, Nobuhiro Masuda und Kazuhiro Jo von der Kyushu University in Japan beschäftigen sich mit biokünstlerischen Arbeiten rund um leuchtende Bakterien und digitalen Siebdruck. Heidi Pietarinen und Amna Qureshi von der University of Lapland setzen sich in ihrem Beitrag mit traditioneller künstlerischer Verwendung von Rentierblut auseinander.
ChatGPT wird als Gesprächspartner*in immer beliebter. Aber wie sehr vertrauen wir dem Chatbot – beispielsweise bei der Suche nach Informationen zu Gesundheitsthemen? Selina A. Beckmann und Elena Link von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben zusammen mit Marko Bachl von der Freien Universität Berlin untersucht, wie Menschen in Deutschland KI-generierte Informationen zur Grippeimpfung im Vergleich zu Informationen von menschlichen Expert*innen bewerten. Die Qualität der menschlichen Argumentation wurde dabei generell höher bewertet. Besonders dann, wenn offengelegt wurde, ob es sich um Expert*innen oder KI-generierte Informationen handelte.