Foto: Nicolien Botha

Resilienz: Wie die Wissenschaft zum Flummi wird

Oft gehört, aber trotzdem unklar? Was steckt hinter dem Begriff „Resilienz“? Und was könnte er für die Wissenschaft bedeuten? Über „geheimnisvolle Kraft“, Solidarität und Selbstwirksamkeit haben wir mit der Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt besprochen – und werfen einen Blick auf unseren neuen Schwerpunkt.

Auch Fruchtfliegen können verzagen. Die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt beschreibt in ihrem Buch zum Thema Resilienz eine Studie des Neurobiologen Martin Heisenberg. In einem seiner Experimente bekamen Fliegen immer wieder heiße Füße, wenn sie am Boden eines Kastens landeten. Für einen Teil der Tiere gab es keinen Ausweg aus der Misere. Egal, was sie taten: Der Boden wurde immer wieder heiß. Mit der Zeit führte das dazu, dass sie sich gar nicht mehr bemühten zu entkommen, sondern sich dem Schicksal ergaben. Auch Menschen landen immer wieder in Situationen, die sich anfühlen wie die der Fruchtfliegen: ausweglos. Was tun, um nicht daran zu verzweifeln?

Christina Berndt hat Biochemie studiert und hat eine Doktorarbeit in der Immunologie am Deutschen Krebsforschungszentrum geschrieben. Sie ist Leitende Redakteurin im Ressort Wissen der Süddeutschen Zeitung. Foto: Gerald von Foris

„Resilienz nennen Psychologen diese geheimnisvolle Kraft, Widerstand zu leisten gegen die Zumutungen der Umwelt oder aus einer deprimierenden Situation wieder ins volle Leben zurückzukehren“, schreibt Christina Berndt. Sie erläutert an vielen Beispielen, dass Menschen nicht an Schicksalsschlägen zerbrechen müssen – seien es der Tod des eigenen Kindes durch einen medizinischen Fehler, Vergewaltigungen, Krieg oder terroristische Attentate. Resilienz wird die Fähigkeit genannt, Dinge auszuhalten, ihnen konstruktiv oder sogar optimistisch zu begegnen und vielleicht sogar gestärkt aus Krisen hervorzugehen.

Diesem Phänomen, dem derzeit im öffentlichen Diskurs viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, will wissenschaftskommunikation.de im aktuellen Schwerpunkt nachgehen. Was steckt hinter dem Begriff? Hat es überhaupt Sinn, ihn auf Institutionen und ganze Gesellschaftsbereiche wie die Wissenschaft und ihre Kommunikation zu übertragen? „Ja“, sagt Christina Berndt ohne zu zögern. „Wir kennen den Begriff eher von der persönlichen und psychologischen Ebene. Aber eigentlich ist er sehr breit.“ Ursprünglich komme er aus den Materialwissenschaft und stehe dafür, dass ein Material wieder in den Ursprungszustand zurückkehrt, nachdem es Druck ausgehalten hat. „Wie ein Flummi, der auf den Boden aufprallt oder wie ein Schwamm, der zusammengedrückt wird und nachher wieder genauso ist wie vorher.“ In der Psychologie ist der Begriff der Resilienz verbreitet, aber werde auch in vielen anderen Bereichen verwendet, sagt Christina Berndt. In der Ökologie spricht man etwa von resilienten Ökosystemen, die schädlichen Einflüssen von außen standhalten können – so lange, bis der Druck zu groß wird. „Das kann natürlich mit unserer Seele auch passieren, zum Beispiel mit schweren Traumata. Dann sind wir hinterher nicht mehr wie vorher.“

„Eine gesunde Portion Optimismus ist wichtig, aber dabei sollte man nicht die Augen vor der Realität verschließen.” Christina Berndt
Auch in der Wissenschaft gibt es Situationen, die schädlich für die Seele sein können – beispielsweise persönliche Angriffe auf Wissenschaftler*innen, die in der Öffentlichkeit stehen. Vor allem während der Coronapandemie hat Christina Berndt dies als Wissenschaftsjournalistin, die häufig in Talkshows zu Gast war, persönlich erlebt. „Ich wurde von manchen Leuten sehr stark angefeindet. Genau dann hilft natürlich persönliche Resilienz.“ Sie rät, sich nicht konstant Beschimpfungen auszusetzen, sondern diese auch mal bewusst zu ignorieren und abzuschalten. „Man sollte den ganzen Kram keinesfalls lesen, bevor man ins Bett geht oder das Abendbrot bevorsteht.“ Außerdem sei es wichtig, zwischen öffentlicher Rolle und sich selbst zu trennen. „Solche persönlichen Angriffe gelten nicht mir als Person. Sie gelten dem, was ich verkörpere und dem, was Menschen vielleicht nicht hören wollen.“ Trotzdem sei es wichtig, dagegenzuhalten, wenn man Unsinn hört, auch im privaten Umfeld, betont Berndt. Denn letztendlich hänge die Resilienz der Wissenschaft als Ganzes auch von ihren Mosaiksteinchen ab, den einzelnen Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen.

Viele Aspekte von Resilienz ließen sich vom Individuum auf Systeme wie die Wissenschaft übertragen, sagt die Wissenschaftsjournalistin. Besonders wichtig seien folgende:

  • Optimismus: Bei allem Schlechten gebe es auch immer etwas Gutes, auf das sich die Aufmerksamkeit richten kann. „Man muss aufpassen, dass man die Dinge nicht schlechter redet als sie sind. Laut Wissenschaftsbarometer und anderen Umfragen steht die Wissenschaft gut da“, sagt Berndt. Der Großteil der Bevölkerung vertrete die Überzeugung, dass Wissenschaft wichtig sei, um diese Welt zu durchschauen und zu verbessern. „Es ist aber so, dass diese Stimmen, die das bezweifeln, auch in Deutschland sehr laut geworden sind.
  • Selbstwirksamkeit: Dabei gehe es darum, sich bewusst zu sein, etwas ändern zu können. „Es ist etwas ganz Wichtiges, sich daran zu erinnern, wie stark Wissenschaft ist – und dass wir die Menschen mitnehmen können, wenn wir ihnen zeigen, wie gut Wissenschaft darin ist, Probleme zu lösen.“ Natürlich wehrten sich Skeptiker*innen dagegen, das anzuerkennen. Als Wissenschaftler*in sei es aber sinnvoll, sich regelmäßig deutlich zu machen, wie wichtig das ist, was man tut, gerade in heutigen Zeiten. Sinn in seinem Handeln zu erkennen und zu erleben, stärke die Resilienz. „Da kommen fünf böse Anfeindungen, aber man kriegt ja auch positives Feedback, das oft stiller ist.“
  • Flexibilität: Resilienz bedeutet auch, auf verändernde äußere Umstände reagieren und sich auf Neues einstellen zu können. Dazu gehört, aus Erfahrungen zu lernen und neugierig zu bleiben. „Man muss wissen, dass es Leute gibt, die scharfe Geschütze gegen die Wissenschaft auffahren und man muss lernen, mit ihnen umzugehen und die eigenen Strategien ändern.“
  • Realitäten erkennen: Eine gesunde Portion Optimismus ist wichtig, aber dabei sollte man nicht die Augen vor der Realität verschließen, rät Christina Berndt. Dabei gehe es nicht nur darum, die eigene Haut zu retten, sondern nach Möglichkeit nach einer Krise gut dazustehen. Wer die Zukunft im Blick hat, sei für Angriffe und Schicksalsschläge besser gewappnet. Für Individuen wie für die Wissenschaft bedeute das, zu erkennen, wo die Gefahren liegen und sich damit auseinanderzusetzen. „Wir müssen schauen: Was ist da los in den sozialen Medien? Wie können wir gegensteuern? Was können wir beitragen, damit wir die Menschen, die wir noch nicht verloren haben – und das sind ja die allerallermeisten – auch behalten?“

Aber lassen sich Krisen immer voraussehen? Beim Blick in die USA scheint es bisweilen, als kämen die Angriffe auf das Wissenschaftssystem überraschend. „Bei einem irren System wie der Trump-Regierung ist es natürlich wahnsinnig schwierig, diese ganzen Dinge vorherzusehen. So etwas wie das Verbot von Wörtern oder dass Transpersonen sich plötzlich outen müssen: Es gibt immer wieder Entwicklungen, bei denen man völlig geschockt zurückbleibt“, sagt Christina Berndt. Die Entwicklungen in den USA seien bedrohlich. Und obwohl viele Stimmen beschwichtigend sagen, dass so etwas in Deutschland undenkbar sei, rät sie zur Wachsamkeit: „Es kann passieren, dass wir eine rechtsextreme Regierung bekommen. Da sollte man jetzt schon überlegen, wie das System rechtlich stabilisiert werden kann, damit die Freiheit der Wissenschaft nicht eingeschränkt wird.“

Wissenschaftskommunikation als Schlüssel für Resilienz

Beim Aufbau von Resilienz spiele Kommunikation eine zentrale Rolle. „Es ist wichtig, aktiv in die Kommunikation reinzugehen, zu betonen, wie wertvoll Wissenschaft ist und stärker gegen Mythen vorzugehen“, sagt die Wissenschaftsjournalistin. Wissenschaftskommunikation trage damit maßgeblich zur Resilienz der Wissenschaft bei – genauso wie Gemeinschaft, Solidarität und Vernetzung. Auf psychologischer Ebene gelten enge und vertrauensvolle Bindungen als Schlüssel für den Aufbau von Resilienz. Das ist bei gesellschaftlichen Systemen wie der Wissenschaft nicht anders.

„Es wäre gut, wenn sich Institutionen, Redaktionen und Firmen so aufstellen, dass wir einen guten Umgang miteinander haben. Nur so können wir so stark sein, dass wir Angriffe von außen abwehren können.“ Christina Berndt
Wissenschaftsorganisationen und Institute täten gut daran, Strukturen aufzubauen, bei denen einzelne Unterstützung finden können – gerade, wenn sie öffentlich aktiv und auf sozialen Medien präsent sind. Auch für den Wissenschaftsjournalismus sei es notwendig, dass feste wie freie Journalist*innen in den Redaktionen Rückhalt finden. „Zum Teil ist die Konkurrenz hart, aber letztlich geht es um die gemeinsame Sache, von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn oder von medialen Inhalten und sauberer Recherche zu überzeugen.“ Für Institutionen sei es wichtig, Mitarbeitenden zur Seite zu stehen und auch ein Auge darauf zu haben, wer dauernd krank ist oder andere Anzeichen zeigt, dass etwas im Argen liegt. „Es wäre gut, wenn sich Institutionen, Redaktionen und Firmen so aufstellen, dass wir einen guten Umgang miteinander haben. Nur so können wir so stark sein, dass wir Angriffe von außen abwehren können.“

Ausblick auf den Themenschwerpunkt

Diese und viele andere Aspekte rund um das Thema „Wissenschaft und Resilienz“ werden wir in den nächsten Wochen tiefergehend diskutieren. Auf dem Plan stehen unter anderem Interviews mit Samantha Goldstein von der Crowdfunding-Initiative „Science For Good“ und Katja Bär, Chief Communications Officer der Universität Jena und Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation. Es geht dabei um die Frage der Finanzierung und Unabhängigkeit von Wissenschaft sowie um die Verantwortung von Hochschulen in Zeiten eines zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks. Mit den Wissenschaftskommunikations-Forschender*innen Annette Leßmöllmann und Frank Marcinkowski diskutieren wir in einem Streitgespräch darüber, wie sehr sich Forschende in öffentliche Debatten einbringen sollen – oder eben nicht. Wir beleuchten sowohl individuelle Perspektiven von Forschenden und Kommunzierenden als auch die Frage nach der Resilienz der Wissenschaft als Ganzes. Sollten Sie Ideen und Wünsche dazu haben, was Sie zu dem Thema bei uns lesen möchten, melden Sie sich gerne unter redaktion@wissenschaftskommunikation.de.

Weiterlesen:

Christina Berndt: „Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“, 304 Seiten, dtv, ISBN : 978-3-423-35218-5