Weniger Kanalarbeiten, mehr Kreativität!

Das WÖM-II-Papier greift sehr weit. Und dann doch zu kurz. Ein Kommentar von Annette Leßmöllmann.

Die Akademieempfehlung hat eine klare Zielsetzung: Sie will die Demokratie stärken. Deshalb fragt sie sich, wie moderne demokratische Gesellschaften zu informierten politischen Entscheidungen kommen, und zwar unter Beteiligung einer aufgeklärten Öffentlichkeit – und in Zeiten des Medienwandels. Das ist eine äußerst legitime, ja brennende Frage: Wie treffen wir kluge Entscheidungen im wahrgenommenen Informationsüberfluss, unter Fake-News-Bedingungen, in Zeiten der Wissenschafts-entwertung aus den Mündern von Regierungschefs à la Trump?

Die Frage ist gut. Aber ist auch die Antwort gut?

Die Autorinnen und Autoren analysieren die aktuelle Medienwelt richtig: Das Mediensystem des 20. Jahrhunderts gibt es nicht mehr. Der Journalismus hat als Torhüter im Spiel der öffentlichen Informationen abgedankt und ist nun ein Spieler unter vielen – und daher ständig herausgefordert, seine Kompetenzen und sein Alleinstellungsmerkmal im Kampf um die Aufmerksamkeit zu behaupten. Das neue Mediensystem ist vielstimmig und dialogisch, auch das haben die AutorInnen erkannt. Zudem mutmaßen sie über (hier fehlt es allerdings noch an klarer wissenschaftlicher Untermauerung, das sagen sie selbst) Möglichkeiten, die Wissenschaft als Stimme sicheren Wissens, die Grundlage für begründete, sinnvolle politische Entscheidungen sein soll, zu entwerten. Hier bringt das Papier nun die Politik ins Spiel: Sie ist aufgerufen, sich um diese Problematik zu kümmern, weil ihr, so die Sorge, sonst die Grundlage der Deliberation – des begründeten, wissenschaftlich fundierten Aushandelns politischer Entscheidungen – wegbrechen könnte.

An dieser Analyse ist vieles richtig und wissenschaftlich gut belegt, etwa der Wandel des Mediensystems und der Verlust der Gatekeeper-Rolle des Journalismus. Einige Beobachtungen im Fließtext werden allerdings in der Fußnote relativiert: Ob wir es wirklich und grundsätzlich mit einem Glaubwürdigkeitsproblem der Wissenschaft zu tun haben, belegen einzelne Studien noch nicht ausreichend. In diesem WÖM-II-Papier lohnt es sich also, die Anmerkungen zur Kenntnis zu nehmen – nicht jeder Unkenruf der Autoren ist eine voll und ganz „begründete Beobachtung“, wie sie es selbst ankündigen.

Folgen wir der Analyse aber trotzdem einmal: Was folgt dann daraus?

Hier sehe ich in diesem Papier einige Schwächen. Obwohl es das Dialogische des neuen Mediensystems zur Kenntnis nimmt, münzt es seine Lösungen doch immer noch stark auf die Sender der wissenschaftlichen Botschaften. Es denkt nach wie vor massenmedial und konzentriert sich darauf, Regeln festzulegen, wie man kommunizieren soll, wie man schädliche Kanäle zuschüttet oder gute freischaufelt oder überhaupt alles so reguliert, damit die Informationen im Sinne der Wissenschaft fließen.

Was der Bürger am Ende damit macht, kommt nur am Rande vor. Etwas böse auf den Punkt gebracht: Glaubwürdigkeit schafft man doch nicht durch Kanalarbeiten, sondern dadurch, dass man sich (auch forschend) damit auseinandersetzt, welche Haltung Menschen zur Wissenschaft haben, warum sie diese haben und wie sie sie in die täglichen Abläufe und Entscheidungen einfließen lassen. Und ob sie das überhaupt tun. Und wenn sie es nicht tun, warum nicht. Und auch, wenn sie Wissenschaft in Bausch und Bogen ablehnen – woher stammt die Ablehnung?

Auch in Bezug auf den Umgang mit Wissenschaft auf Empfängerseite (nota bene – der Empfänger ist heute auch Sender!) gibt es, auch das stellt das Papier fest, noch Forschungsbedarf. Hier hätte ihm etwas mehr Demut gut getan: Bevor wir eine ganze Batterie von Regulierungsmaßnahmen über das Mediensystem stülpen, sollten wir vielleicht doch noch einmal genau überlegen, wem diese Maßnahmen nützen. Es kann gut sein, dass der eine oder andere Medienmacher, Politiker und auch Wissenschaftler besser schläft, wenn er das Gefühl hat, die Welt sei wieder in Ordnung, funktioniere wieder ein bisschen so, wie wir uns die 1980er oder 1990er Jahre medial vorstellen – die Informationsflüsse sind kanalisiert, die irritierende Vielstimmigkeit eingedämmt, das „konstruktive Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ läuft rund, alles ist wieder gut …

Aber das ist ein Traum, und er geht an der heutigen Medienrealität vorbei.

Der aktuelle Medienwandel erzeugt ein System, in dem Journalismus eine öffentliche Äußerungsmöglichkeit ist, und er wird vielfach nur wahrgenommen, wenn er sich auf den Sozialen Medien klug tummelt. Soziale Medien sind überall, und nun gilt es, sie zu nutzen und den Journalismus hier schlau zu platzieren. Nicht „Journalismus gegen Social Media schützen“, sondern „Mit Social Media den Journalismus stärken“ (s. Kommentare von Markus Weißkopf und Beatrice Lugger).

Gute Wissenschaftskommunikation in Sozialen Medien wird sich dies auf die Fahnen schreiben. Sie kann z. B. mit Instagram-Influenzern arbeiten. Oder einen brillanten YouTube-Kanal eröffnen. Oder bei einem Onlinemagazin hervorragenden Wissenschaftsjournalismus machen, vorbereitet und flankiert durch den guten Namen, den sich eine Autorin in den Sozialen Medien erarbeitet hat. Das sind nur wenige Beispiele, aber in diese Richtung geht die Zukunft. Diese Zukunft wird nicht funktionieren, wenn die alten Medieninstitutionen komplett wegbrechen, deshalb müssen sie gestärkt werden – ich unterstütze die Forderung des Papiers, dies insbesondere beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu tun –, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie sich medial modern verhalten und nicht die fahrenden Züge verpassen.

Dazu gehört auch, und diese Idee haben die Autorinnen und Autoren dankenswerterweise, zwischen institutioneller Wissenschaftskommunikation (die ja Markenkommunikation, Imagekampagnen, Marketing beinhaltet) und den vielen anderen Formen der Wissenschaftskommunikation zu unterscheiden. Diese Idee sollte man deutlich vertiefen. Denn Wissenschaftskommunikation kann, muss aber nicht auf politische Entscheidungen zielend oder auf Imagekommunikation oder Drittmittelakquise hin unternommen werden. Wissenschaft hat viel mit dem täglichen, komplizierten Alltag der Menschen zu tun, nicht nur mit dem politisch agierenden Bürger. Außerdem ist Wissenschaft: Schiere Lust an der Erkenntnis schüren. Anregen, die Welt anders zu sehen. Etwas Spannendes erleben. Knobeln. Oder einfach nur mal erkennen: „An dem Thema wird geforscht? Darum kümmern sich Forscher? Interessant, wusste ich nicht.“

Und vieles in der Wissenschaftskommunikation ist Verhandlungssache. Diese nennen die Autoren des Papiers: Sie sprechen von widerstreitenden Interessen und Wertvorstellungen in Bezug auf Wissenschaft, aber auch in Bezug auf politische Entscheidungen. Dieses Aushandeln, was gute Wissenschaft ist oder wie sie eine Entscheidung untermauern könnte, gehört wesentlich zur Wissenschaftskommunikation dazu und beginnt bereits in der Wissenschaft – ob die Autoren diesen Schritt tun, kann ich nicht so recht erkennen. Dieser Ansatz würde aber aus der gerichteten, kanalisierten Wissenschaftskommunikation heraus und zu einem echten Dialogmodell führen.

Zwar nimmt das WÖM-II-Papier die Kritik am sogenannten „Defizitmodell“ auf, das widerlegt ist, aber dennoch weiterlebt – also die Vorstellung, dass die Vermittlung wissenschaftlicher Informationen an Bürger ausreicht, um bei ihnen Akzeptanz für Wissenschaft und gute politische Entscheidungen zu erzeugen. Aber haben sich die Autoren wirklich davon verabschiedet?

Ist ihnen wirklich klar, dass das neue Mediensystem von allen Akteuren erwartet, auch ihre Grundannahmen, auch die Wissenschaft an sich, zur Debatte zu stellen – und dann möglichst gute Argumente zu präsentieren? Aber ganz sicher nicht, über zentralistische Plattformen die Informationsflüsse zu regulieren?

Mir fehlt in diesem Papier eine Präzisierung: Es überlegt nicht genau genug, was Wissenschaftskommunikation eigentlich ist. Die Autoren schreiben ihr zu, für Bildung und Aufklärung zuständig zu sein. Das ist gut und richtig, aber was heißt das eigentlich? Sie illustrieren das so, dass Wissenschaftskommunikation über neue Entwicklungen informieren soll und Theorien erklären soll. Dann ist noch von Public Engagement with Science die Rede.

Was aber fehlt, ist das, was Wissenschaft im Innersten ausmacht: Erkenntnis. Und diese Erkenntnis kann man kommunizieren. Hier steckt der Dialog drin: Man kann über sie reden, sie beschreiben, sie nachvollziehen, sie begründen. Und verteidigen, ins Feld führen gegen andere Erkenntnisquellen, argumentieren oder erklären, worin der Unterschied von einer wissenschaftlichen zu einer religiösen, einer intuitiven, einer esoterischen oder „Hat-meine-Oma-immer-so-gemacht“-Erkenntnis liegt. Das ist übrigens eine interessante Aufgabe, diese Debatten zu führen, ohne gleich alle anderen Beteiligten abzuwerten. Hierin sehe ich die aktuelle große Herausforderung für Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation. Diese Debatte um die Erkenntnis muss man führen, sonst wäre Wissenschaft ein Glaubensbekenntnis, das man nachbetet.  Das sollte sie nicht sein.  Es ist sicher sinnvoll, wie Beatrice Lugger es fordert, WissenschaftlerInnen gezielt zu trainieren, solche Dialoge über Wissenschaft zu führen – andere kommunizierenden Akteure übrigens auch. Das wäre eine gute Vorbereitung für Gespräche, die nicht leicht sind, weil es bei ihnen Gegenwind gibt. Die weh tun. Da wird es übrigens interessant.

Und zu Social Media: Jeder Blogpost, der seine Leser durch die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis navigiert und sich auch vor den Tiefenbohrungen nicht scheut, ist ein Gewinn für die Wissenschaft und ihre Kommunikation, weil er zum Kern vordringt. Es geht gar nicht so sehr darum, dass man es menscheln lässt und Forscher mit Kittel im Labor zeigt. Sondern es geht darum, Rationalität in Aktion zu zeigen und mit den Lesern, Usern und Museumsbesuchern zu praktizieren: Welches Messergebnis bedeutet etwas? Und warum? Welches Datum bedeutet nichts? Und warum nicht? Wie hängen Theorie und Methode zusammen? Kurz: Wie kommt man denn zu einer validen wissenschaftlichen Erkenntnis?

Natürlich fliegt durch die Internet-Welt viel Schrott. Das heißt aber nicht, dass diese Welt an sich problematisch ist. Sondern, dass man mit den Werkzeugen dieser Welt gute und relevante Dinge tun kann.

Fazit: Die Autoren haben viel erkannt, aber sie haben für die Lösung der Probleme zum Teil Rezepte präsentiert, die aus einer überkommenen Medienwelt stammen. Und sie haben die Möglichkeiten eines echten Dialogs, die in der Wissenschaft selbst stecken können, noch nicht als nutzbar für die medial vermittelte Kommunikation verstanden. Hier müssen wir deutlich nachlegen, auch in der Forschung – nach der Intensivierung relevanter Forschung rufen die Autorinnen und Autoren des Papiers richtigerweise –, um wirklich genau zu verstehen, was dialogische Wissenschaftskommunikation in der heutigen und zukünftigen Medienwelt bedeutet.

 

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