Foto: Scitech-Media

Higgs.ch – ein neues Businessmodell für Wissen­schafts­journalismus

Wissenschaftsjournalismus als öffentlich getragene Dienstleistung: Das ist das Modell des neuen Portals Higgs.ch. Seit dem 11. Januar ist es online. Ein Gespräch mit Gründer und Chefredakteur Beat Glogger über ein neues Businessmodell im Selbstversuch.

Herr Glogger, warum gründen Sie jetzt ein neues Portal für Wissenschaftsjournalismus, wo doch überall über dessen Krise diskutiert wird?

Genau darum, weil wir aus der Krise einen Ausweg finden müssen. Hintergrund ist, dass ich seit 2009 mit meinem Team von Scitec-Media Wissenschaftsjournalismus für Schweizer Medien betreibe. Wir haben jahrelang mit der Gratiszeitung 20 Minuten zusammengearbeitet. Mit Geldern von der Gebert-Rüf-Stiftung haben wir pro Woche eine niedrigschwellige, aber inhaltlich gute Wissenschaftsseite für das Blatt produziert. Als die Anschubfinanzierung dann auslief, wollte 20 Minuten die Finanzierung nicht übernehmen und das Projekt wurde beendet. Ein ähnliches Projekt läuft gerade mit mehreren überregionalen Tageszeitungen mit unterschiedlich tief gehender Berichterstattung. Die Stiftung finanziert unsere Arbeit, damit auch die Leser jener Zeitungen, die sich keine Wissenschaftsjournalisten leisten können oder wollen, etwas über Wissenschaft erfahren. Gleichzeitig fusionieren immer mehr Zeitungen, die Wissen-Ressorts werden zusammengelegt oder ganz gekürzt. Da gibt es maximal noch vier oder fünf Häuser, die sich diese Seiten überhaupt noch leisten. Wissenschaftsjournalismus ist aufwendig, also teuer, und zieht keine riesige Masse an Lesern an. Mit dem Produkt Higgs.ch gehen wir daher nun auf die Suche nach anderen Quellen, die Wissenschaftsjournalismus finanzieren möchten, damit es eine öffentliche Dienstleistung wird.

Beat Glogger ist Mikrobiologe, Wissenschaftsjournalist und Inhaber von <a href="https://scitec-media.ch/" target="_blank" rel="noopener">Scitec-Media</a>. Nach 14 Jahren in der Wissenschaftsredaktion beim Schweizer Fernsehen (SF) betreibt er seit 15 Jahren mit der Agentur unabhängigen Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz und gründete das Portal <a href="https://www.higgs.ch/" target="_blank" rel="noopener">Higgs.ch</a>, das seit Anfang 2018 online ist. Foto: René Ruis
Beat Glogger ist Mikrobiologe, Wissenschaftsjournalist und Inhaber von Scitec-Media. Nach 14 Jahren in der Wissenschaftsredaktion beim Schweizer Fernsehen (SF) betreibt er seit 15 Jahren mit der Agentur unabhängigen Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz und gründete das Portal Higgs.ch, das seit Anfang 2018 online ist. Foto: René Ruis

Was ist das Prinzip von Higgs.ch?

Wir speisen die Seite im Moment mit den Inhalten, die wir mit den Stiftungsgeldern für die Zeitungen produzieren. Zum Beispiel mit ganz kurzem Content für das junge Portal Nau.ch oder das Fahrgast-TV in öffentlichen Bussen, aber auch längere Texte von 5.000 bis 6.000 Zeichen für Tageszeitungen. Zusätzlich stellen wir Hintergründe, Fotos und auch Videos zur Verfügung. Die Entwicklung der Seite habe ich als Medienunternehmer erst mal vorfinanziert. Wir wollten zeigen, wie das in der Praxis aussieht, um so weitere Förderer und Partner zu gewinnen.

Im Konzept von Higgs.ch steht auch, dass Sie ein „Open Space“ sein möchten. Was bedeutet das?

Die Seite ist kachelartig organisiert, und diese Kacheln wollen wir auch an Partner vergeben. Diese können hier mit ihren Inhalten einsteigen. Unser erster Partner zeigt mit seinem Sohn eine Serie von Experimenten, die Mama oder Papa mit ihren Kindern zu Hause nachmachen können. Die Produktion und Finanzierung muss er selbst übernehmen. Die Plattform für die Veröffentlichung stellen wir. Die Serie geht demnächst online.

Über welche Themen berichten Sie?

Wissenschaftsthemen von A bis Z. Die Recherche läuft wie in anderen Redaktionen auch. Manche Themen bekommen wir zugesteckt, manche sind newsgetrieben, wieder andere finden wir selbst. Inhaltlich bieten wir neben der Berichterstattung über Naturwissenschaften auch viel Psychologie und Sozial- oder Geisteswissenschaften an wie Genderforschung. Es ist sogar erwiesen, dass wir da breiter aufgestellt sind als andere Wissenschaftsredaktionen in der Schweiz: Vinzenz Wyss, Professor am Institut für Angewandte Medienwissenschaft in Winterthur, zeigt in einer Studie, wie sich unser Themenspektrum zusammensetzt: 21 Prozent der Beiträge behandeln Psychologie, Geistes- und Sozialwissenschaften – mehr als in anderen Zeitungen, die vorwiegend Naturwissenschaftlich geprägt sind.

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Wie ist das Feedback bisher?

Wir haben in den ersten fünf Tagen 350 Facebook-Abonnenten gewonnen und das, ohne überhaupt PR zu machen. Alles über Social Media und persönliche Kontakte. Das ist zwar noch eine kleine Zahl, aber ein toller Start. Wir sind zuversichtlich, dass sich das Publikum dafür begeistern wird. Die Reichweitenzahlen müssen wir aber auch halten und noch andere Leser erreichen. Außerdem bekommen wir das Feedback, dass den Nutzern das übersichtliche Design der Seite gefällt und dass es schätzt, dass es keine Werbung gibt. Und sie mögen die Mischung aus kurzen Wissenshäppchen und Long-Reads von bis 10.000 Zeichen.

Wie wird die Finanzierung der Arbeit gesichert?

Wie gesagt, einen Teil leistet Scitec-Media als Vorfinanzierung. Und bis Ende 2018 genießen wir die Unterstützung der Gebert-Rüf-Stiftung. Wir haben also ein Jahr, um zu zeigen, dass sich genug Leute für unsere Inhalte interessieren – und die ersten Tage geben uns bislang recht. Die Gespräche mit potenziellen neuen Partnern beginnen gerade erst. Da möchten wir einen Mix aus Hochschulen, Stiftungen und verschiedenen Philanthropen erreichen, damit wir thematische Einzelinteressen neutralisieren können. Die Prämisse ist, dass keine Einflussname stattfindet.

Wie wollen Sie redaktionelle Unabhängigkeit gewährleisten, wenn Hochschulen selbst zu den Förderern zählen?

Auch hier stützen wir uns auf eine wissenschaftliche Untersuchung. Markus Lehmkuhl von der Freien Universität Berlin hat sich mit den Risiken der Fremdfinanzierung im Wissenschaftsjournalismus befasst. Da gibt es verschiedene Modelle: In der Schweiz gibt es bei der Nachrichtenagentur SDA beispielsweise eine Wissenschaftsredakteurin, die von Schweizer Hochschulen und dem Schweizerisches Nationalfonds finanziert wird. Die Universitäten Genf, Lausanne und Neuenburg finanzieren selbst direkt eine Mitarbeiterin am öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender RTS. Wenn aber die Unis direkt einen Redakteur bezahlen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der nichts gegen diese Universitäten schreibt. Einer Stiftung ist aber egal, ob sich Nanotechnologie durchsetzt oder Gentechnik. Die möchte einfach, dass eine gesellschaftliche Debatte stattfindet. Da wir einen Finanzierungsmix anstreben, der auch Stiftungen umfasst, halten wir unser Modell für wenig risikobehaftet.

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Wenn die Nachrichtenagentur doch eine Wissenschaftsredaktion hat, wieso braucht es dann noch den Content von Higgs.ch?

Zum einen, weil die Zeitungen aus Kostengründen die Agenturdienste abbestellen. Zum anderen, weil die SDA nur Informationen verteilt und nicht ganze Seiten baut. Mike Schäfer von der Universität Zürich hat festgestellt, dass die Wissenschaftstexte von Agenturen oder auch dem Science Media Center (SMC) nur von bestimmten Redaktionen überhaupt genutzt werden. Die Nachrichten der SDA oder des SMC werden hauptsächlich in großen Zeitungen verwendet, die einen Wissenschaftsredakteur beschäftigen, der damit überhaupt etwas anfangen kann. Und selbst in der Neuen Zürcher Zeitung, die eine eigene Wissen-Redaktion hat, stammten in der Studie weniger als zwei Prozent aller Artikel  über Wissenschaft von der SDA. In den großen Zeitungen, die noch eigene Seiten zum Thema Wissen haben, enden schöne Texte der SDA als kurze Meldung. Das ist doch Verschwendung. Kleine Zeitungen wiederum nehmen diese Themen gar nicht erst an, weil sie vielleicht niemanden haben, der sie richtig einschätzen kann. Die haben außerdem gar keinen Ort, wo diese Themen hinpassen: Wenn da manchmal eine kleine Nachricht kommt, dann im Vermischten, neben Sex and Crime. Deshalb ist es wichtig, dass man nicht nur Informationen über Agenturen streut, sondern ein regelmäßiges Angebot für eine ganze Seite vorhält. Und zwar jede Woche. In genau solchen Zeitungen sind wir und wollen noch weitere Partnerschaften dieser Art eingehen.

Warum?

Weil das die Zeitungen sind, die die Leute lesen. Blick am Abend und Blick-Online, unsere neuesten Partner, haben jeden Monat 800.000 bzw. 1,4 Millionen Nutzer. Wenn wir die erreichen, dann hoffen wir, dass einige Nutzer auf Higgs.ch rüberschwappen. Und das möchte ich auch den Kommunikatoren der Hochschulen mit auf den Weg geben: Sie müssen ein Interesse haben, dass ihre Inhalte nicht nur die belesenen Menschen und Leser der Süddeutschen Zeitung oder Die Zeit erreichen. Wir müssen dem Automechanikerlehrling zeigen, dass Wissenschaft und Innovation auch für sein Leben relevant sind. Das Renommee einer Neuen Zürcher Zeitung ist zwar gut, und ich mag es jedem Wissenschaftler gönnen, wenn er da drin ist. Aber wir müssen auch jene Leute erreichen, die sich nicht ohnehin schon für wissenschaftliche Themen interessieren. Also müssen wir auch den Schritt in den Boulevard wagen, natürlich unter Wahrung der wissenschaftlichen Korrektheit.

Und was passiert, wenn Sie keine weiteren Förderer finden?

Dann haben wir es wenigstens versucht. Ich war es einfach leid, dass die ganze Branche jammert. Da ist es besser, mit einer Anstrengung vielleicht unterzugehen, aber vielleicht auch etwas Neues zu etablieren. Die fest angestellten Kollegen bei den Redaktionen sind ja kaum in einer besseren Situation. Wer weiß denn schon, ob er 2019 seinen Job noch hat? Uns tut es in dieser Situation einfach gut, etwas zu machen. Wir sind Feuer und Flamme für Higgs.