Foto: Karo Krämer, Wissenschaft im Dialog

Auf dem Weg zur Republik der Mitforscher?

Bürger wollen mitforschen. Wissenschaft und Politik wünschen sich forschende Bürger. Eine starke Citizen-Science-Kultur wäre eine große Chance für eine Wissens- und Innovationsgesellschaft. Ein Kommentar.

Fragt man die Deutschen, ob sie „gerne einmal an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt mitforschen“ würden, sagen 20 % „stimme voll und ganz zu“ und weitere 20% „stimme eher zu“. – Und jetzt stellen wir uns vor, dass tatsächlich all diese Millionen Menschen von der Nordsee bis zu den Alpen Tagfalter am Stadtrand zählen, Wasserproben aus den Flüssen entnehmen, Umweltdaten auf ihren Balkonen messen oder an archäologischen Ausgrabungen teilnehmen.

Wir denken an die ungeheuren Mengen an Daten und Arbeitskraft, die entstehen, von denen jeder Wissenschaftler nur träumen kann. Auch für Wissenschaftskommunikatoren, Wissenschaftspolitiker und alle, die vor zunehmender Wissenschaftsfeindlichkeit warnen, wäre eine Republik der Mitforscher ein Wunschziel. Denn ein Bürgerwissenschaftler wird sich zwangsläufig mit empirischem Monitoring auseinandersetzen müssen und lernen was „Forschungsdaten“ eigentlich sind. Er sieht, dass anhand der Wasserproben, die er in dem Bach vor seiner Haustür entnommen hat, ein Forschungsteam eine Hypothese aufstellt, überprüft und diese in einem Paper veröffentlicht. Und er wird sich vielleicht eher damit auseinandersetzen, wie wissenschaftliches Arbeiten in unserer Gesellschaft funktioniert.

Denken wir einen Schritt weiter und stellen uns politische Entscheidungen vor, die auf den erhobenen Daten von Bürgerwissenschaftlern beruhen – seien es Naturschutzprojekte in der eigenen Gemeinde oder die große Klimapolitik: Die öffentliche Akzeptanz dieser Entscheidungen könnte so erhöht werden.

Citizen Science und Wissenschaftskommunikation

Das Verstehen dieser Methoden und Strukturen der Wissensproduktion, also die „scientific literacy“,  ist wichtig, wenn man um Vertrauen für die Wissenschaft wirbt. Denn die ausschließliche Kommunikation von wissenschaftlichen Fakten funktioniert nicht immer. Die Gründe hat Arwen Cross von Wissenschaft im Dialog an dieser Stelle in einem Interview mit Joanna Huxter bereits dargelegt und dafür geworben, bei der Wissenschaftskommunikation die „scientific literacy” stärker in den Fokus zu rücken.

Ob Citizen Science tatsächlich die „scientific literacy” stärkt und so das Vertrauen in Wissenschaft fördert, wird noch untersucht. So haben z. B. Menschen, die an einem astronomischen Citizen-Science-Projekt teilgenommen haben, eine positivere Haltung zu Wissenschaft („scientific attitude“), als vor dem Projekt. Um den Zusammenhang stärker zu untersuchen, wurde 2016 auch von der EU eine eigene transdisziplinäre Forschungsinitiative ins Leben gerufen, die sich mit dieser Fragestellung auseinandersetzt: Citizen Science to promote creativity, scientific literacy, and innovation throughout Europe“.

Citizen Science jetzt als das neue, „fancy Tool“ der Wissenschaftskommunikation zu sehen, wäre allerdings zu kurz gedacht und würde von Bürgern schnell entlarvt werden. Genauso scheitern Citizen-Science-Projekte, die nicht von Kommunikations- oder Marketingspezialisten begleitet werden. Vielmehr braucht es eine stärkere Verknüpfung und Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftskommunikatoren — und zwar schon beim Forschungsdesign. Denn obwohl viele Bürger angeben, sie hätten Lust an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt mitzuforschen, gibt es gleichzeitig zahlreiche Citizen-Science-Projekte, die händeringend aktive Bürgerwissenschaftler suchen.

Citizen Science sollte daher präsenter im öffentlichen Diskurs und stärker mit der Gesellschaft verknüpft sein. Citizen Science könnte zum Beispiel ein fester Bestandteil von natur- und geisteswissenschaftlichem Unterricht werden und stärker als eine Form Bürgerschaftlichen Engagements etabliert werden. Daneben braucht es auch schlicht gute Kommunikation und PR für Citizen-Science und Citizen-Science-Projekte.

Bürger schaffen Wissen – Wissen schafft Bürger

Viele neue Citizen-Science-Projekte sind in den letzten Jahren entstanden und einige etablierte haben sich neu aufgestellt. Politik, Medien und die Wissenschaftswelt beschäftigen sich mehr denn je mit Citizen Science.

Einen wichtigen und großen Beitrag dazu hat das Bausteinprogramm für Citizen Science in Deutschland „GEWISS“ geleistet. Zahlreiche Institute, Hochschulen und Wissenschaft im Dialog haben zwischen 2014 und 2016 finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 13 Dialogforen und 4 Trainingsworkshops durchgeführt. Zudem haben sie das Grünbuch „Citizen-Science-Strategie 2020“ verabschiedet und die Handreichung zum Erstellen eines Citizen-Science-Projekts publiziert. Gleichzeitig haben Wissenschaft im Dialog und das Museum für Naturkunde Berlin die Citizen-Science-Plattform www.buergerschaffenwissen.de entwickelt, die inzwischen fast 100 Citizen-Science-Projekte vorstellt und die wichtigste Informationsquelle für Citizen Science in Deutschland geworden ist.

Ein weiterer Schritt Richtung Professionalisierung von Citizen Science wurde durch eine neue Förderrichtline des BMBF getan. Erstmalig werden dieses Jahr gezielt 15 interdisziplinäre Citizen-Science-Projekte mit insgesamt 5 Millionen Euro gefördert. Völlig unerwartet haben sich über 300 Projekte beworben. Das zeigt, dass in den Instituten, den Hochschulen, Nichtregierungsorganisationen und Vereinen eine große Lust herrscht, mit Bürgern zusammen zu forschen. Jetzt müssen die Bürger und Wissenschaftler nur noch zusammenfinden, damit Deutschland zu einer Republik der Mitforscher wird.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.